Mitten in Neuhausen:Die Retterin der Bänke

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Wenn Nachbarn gegen irgendetwas protestieren und dann eine Bürgerin im Stadtviertel-Gremium resolut zum Mikrofon greift, sollte man meinen, sie wird ein lautes Nein in die Runde schmettern. Weit gefehlt: Sie ist nicht dagegen, sondern dafür

Kolumne Von Sonja Niesmann

Als Oberbürgermeister Dieter Reiter vor einigen Jahren eine "Sitzplatz-Offensive" ausgerufen hat, konnte er wahrscheinlich gar nicht so schnell schauen, wie sich reihum die Finger hoben. Aus allen Stadtteilen riefen sie: "Hier!", alle wollten so viele Bänke im Viertel wie nur möglich. Auch in der Donnersbergerstraße also kann man sich hier und dort ausruhen, Leute gucken oder einen Plausch halten. Allerdings sitzen da halt nun nicht nur tagsüber, sondern auch (spät)abends Menschen - deren mitunter laute Gespräche Schlafsuchende nerven. Einige Anwohner forderten den Neuhauser Bezirksausschuss deshalb auf, die Bänke vor den Hausnummern 34 und 44 wieder abmontieren zu lassen.

Noch ehe in der Runde der Stadtviertelpolitiker jemand diskussionsmäßig den Hintern heben konnte, marschierte eine nicht mehr ganz junge Zuhörerin - die ganze Person eine einzige Entschlossenheit - von weit hinten in der Turnhalle nach ganz vorne und griff sich forsch das Mikrofon vom gerade vortragenden Rudolf Stummvoll, der seine kurze Irritation tapfer niederkämpfte. Eben wegen dieser Angelegenheit sei sie heute gekommen, erklärte die Frau. Einige altgediente BA-Mitglieder müssen dabei innerlich schon leise gestöhnt haben, in Erinnerung an jenen Empörten, der vor Jahren wiederholt vehement forderte, eine Sitzbank am Leonrodplatz zu entfernen, weil der Anblick der dort gerne verweilenden Stammsteher den Wert seiner Eigentumswohnung mindere.

Aber die Dame tickte ganz anders. Da säßen spätabends gerne Jugendliche, ganz richtig, bestätigte sie. Und wenn sie, eine Taxifahrerin, nachts heimkomme, dann wasche sie denen eben freundlich den Kopf: "Seid's leiser und nehmt's auch euren Müll wieder mit." Und das klappe recht gut, versicherte sie. Sprach's, wedelte mit einem Blatt Papier, auf dem andere Anwohner sich gegen die Entfernung der Bänke ausgesprochen haben, und holte tief Luft, um den BA-Mitgliedern diese, die gegensätzliche Sichtweise darzulegen. Die aber, beziehungsweise ihr Unterausschuss Soziales, hatten eh einstimmig beschlossen: Die Bänke bleiben.

Die Erkenntnis, dass gar keine Überzeugung mehr nötig war, kostete die Dame nur Sekunden des Nachdenkens und innerlichen Umschaltens. Sie atmete wieder aus und begnügte sich mit einem Satz: "Es wäre sinnvoll, noch ein paar Bänke mehr aufzustellen."

© SZ vom 19.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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