München:Lob und Kritik auf gelben Kärtchen

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Die Entwürfe der Preisträger des Ideenwettbewerbs zur Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme im Nordosten stoßen auf große Resonanz. Alle Pläne eint ein großer Gedanke: das Grün zu bewahren

Von Nicole Graner, München

Klitzekleine Häuschen aus Holz stehen auf großen Modellen. Und viel größere, graue. Sie stehen für die neue Bebauung der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) im Münchner Nordosten, für Ideen und Visionen, einen riesigen, 600 Hektar großen, urbanen Raum östlich von Daglfing, Johanneskirchen und Englschalking zu einem lebenswerten Quartier zu machen. Eine sehr große Herausforderung, wie die Architekten sagen. Denn es gilt, einen gewagten Spagat zu versuchen: ländliche Strukturen, viel Grün und die alten Ortskerne zu bewahren, zu verdichten, ohne Bestehendes zu verdrängen. Es gilt, Mobilität zu gewährleisten, Schulen und Kindergärten zu bauen. Und vor allem eine Einheit zu schaffen: Zwischen den Menschen, die schon lange dort wohnen und denjenigen, die hinzukommen werden. Zwischen kleinen Häusern und großer Bebauung. Die Ängste der Menschen sind seit Jahren groß, Gegner der SEM gibt es viele, aber auch Befürworter. In einer Ausstellung im Isarforum sind nun die Arbeiten des Architekten-Ideenwettbewerbs zu sehen: Die Pläne und Modelle der drei Preisträger, die eine Jury vor einer Woche gekürt hat, sowie die Entwürfe, die anerkennend gelobt worden sind.

Sehr viele Besucher informierten sich im Isarforum über die Ideen und Visionen der Planer. (Foto: Privat)

"Modelle bitte nicht berühren" steht auf einem weißen Zettel. Doch das ist schwer. Denn sehr viele Menschen sind am Montag gekommen, um sich die Entwürfe anzusehen. Die meisten stehen rund um das Modell des ersten Preisträgers, des Düsseldorfer Büros Rheinflügel Severin und der Berliner BBZ Landschaftsarchitekten. Sie beugen sich über die Modelle, zeigen mit den Fingern auf die kleinen Häuschen - ihre. Etwa Helmut Schneider und seine Frau, die beiden wohnen in den Reiterhöfen und sind nicht begeistert vom Entwurf. "Wir empfinden diese dichte Bebauung zunächst mal als eine klare Wertminderung für unsere Häuser", sagen die Schneiders. Laut Plan führe dann außerdem die Straßenbahn direkt an ihrem Haus vorbei. "Ich kann die Verdichtung in dieser Idylle nicht verstehen", sagt die Ehefrau und schüttelt den Kopf. Wie Schneiders artikulieren viele ihre Kritik auf gelben Zetteln an Pin-Wänden. "Wir sind sehr enttäuscht!", heißt es da. Oder: Der Entwurf nähme zu wenig Rücksicht auf die vorhandene Bebauung. Ein Kritiker fragt nach der Verkehrsanbindung an die Autobahn. Und immer wieder beklagen die Bürger die "Masse" der Besiedlung und äußern ihre Zukunftsängste. "Wir haben all unser Geld in unser Grundstück investiert." Dieses Ängste können auch Schneiders gut verstehen. Und sie ärgern sich über die Informationspolitik der Stadt, der Planer. "Wir wurden nicht gut informiert!". Am Anfang sei das alles wirklich "bodenlos" gelaufen, bestätigt die Vorsitzende des Bezirksausschusses Bogenhausen, Angelika Pilz-Strasser (Die Grünen). Doch dann sei die Öffentlichkeit mit Workshops und Infoveranstaltungen eingebunden gewesen. Sie lobt den Entwurf des Düsseldorfer Büros als "positive Idee". "Ich finde den respektvollen Umgang mit dem Hüllgraben sehr gelungen wie auch das grüne Freizeitband, das immer breiter wird, je mehr Menschen zuziehen." Das Spannendste sei aber, so lobt Pilz-Strasser weiter, die Idee des Badesees. Es ist wichtig, wenn man den Menschen schon Dichte zumutet, ihnen auch Weite zu schenken."

Tatsächlich eint die drei Sieger-Entwürfe ein großer Gedanke: das Grün zu bewahren und die bestehenden Ortskerne. In die landwirtschaftlichen Flächen soll, so das Düsseldorfer Büro, so gut wie nicht eingegriffen werden. Das Wasser spielt ebenfalls bei allen drei Büros eine große Rolle. Das Stuttgarter Büro Performative Architektur (Platz drei) will Naturräume schaffen, Brauchwasser in Bachläufen fließen lassen - was vielen gefällt. "Die Wasserwege" werden auf einem Kärtchen gelobt. Wie überhaupt wohl einige diesen Entwurf als den "besten" bezeichnen. Die Idee, Brauchwasser zu nutzen, findet eine Besucherin "wunderbar". Gelobt wird der "sorgfältige" Umgang mit den Grünflächen, aber auch die gute Verkehrsplanung mit Radwegen, Tram und Fußwegen.

Allmende - eine grüne Mitte für alle sieht der zweite Preisträger in seinem Entwurf vor. Simulation: Cityförster Architecture+Urbanism (Foto: N/A)

Wasser, also die Aufwertung der Hüllgrabenlandschaft, ist auch dem zweiten Preisträger, dem Büro Cityförster architecture+urbanism aus Hannover, sehr wichtig. Die Planer legen sehr viel Wert auf ein Miteinander im neuen Quartier. "Allmende" ist das Stichwort, also die Schaffung von Gemeinschaftsgut. Was heißt: Mitten im Quartier soll es einen Ort geben, den sich alle Bewohner teilen. Mit Gärten, Schulen und Reitställen. Es geht um eine neue Mitte, in der beides möglich ist - Rückzug und Gemeinschaftsleben. Die Verbindung Urbanität mit dörflichen Strukturen sei durch diese Allmende sehr gut gelungen, schreibt ein Besucher.

Alles ist ein Anfang, und alle Entwürfe sind bis jetzt nur Ideen. Die aber, wie Pilz-Strasser sagt, "auf Augenhöhe" mit allen Beteiligten weiter entwickelt werden müssen. Keine leichte Aufgabe für den neuen Stadtrat nach der Kommunalwahl. Und auch nicht für die Bürger. Denn die sind dann im Herbst zu einem weiteren großen Bürgerdialog eingeladen.

Der Münchner Nordosten: Planungen und Modelle des Ideenwettbewerbs. Ausstellung im Isarforum, Museumsinsel 1. Zu sehen bis 16. Februar. Öffnungszeiten: täglich von 14 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag von 12 Uhr an. Informationen unter: www.muenchen.de/nordosten.

© SZ vom 05.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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