München:Lernen, "von allen Nahrungssorgen frei"

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Das Albertinum, zunächst Studienseminar, dann königliches Erziehungsinstitut, heute Tages-Internat, wird 444 Jahre alt. 500 junge Menschen gehen dort ein und aus, darunter Nachwuchskicker des TSV 1860

Von Berthold Neff

Bei einem richtig runden Jubiläum steht normalerweise eine Null oder eine Fünf am Schluss, aber bei der Feier, die an diesem Freitag an der Adresse Westendstraße 300 beginnt, ist es eine Vier. Und weil davor noch gleich zwei Mal die Vier prangt, ist klar: Es geht um den 444. Geburtstag einer Institution - um das Studienseminar Albertinum. Die vielen Buben und Mädchen, die heute dort im Tagesheim ihre Hausaufgaben erledigen und ihre Freizeit sinnvoll gestalten, nennen ihr Zuhause auf Zeit einfach "Albi". Sie waren es auch, "die auf die Idee kamen, die 444 Jahre zu feiern", sagt Diakon Klaus Lermer, der Seminarleiter.

Seinen Ursprung nahm das Albertinum im Jahr 1574, als der Bayernherzog Albrecht V. mit 400 Gulden ein "Seminarium für arme, doch fähige Knaben" stiftete, "damit dieselben unter Aufsicht gestellt, von allen Nahrungssorgen frei, desto besser für die Religion gebildet und in den Wissenschaften unterrichtet werden können". Es ist die Zeit, in der sich Protestanten und Katholiken feindlich gegenüberstehen. In Paris sind zwei Jahre davor, in der Bartholomäusnacht, Tausende Protestanten ermordet worden, der Religionskampf hält Europa in Atem. Die Katholiken versuchen, ihre Macht durch die Gegenreformation zu sichern. Neue Schulen sollen fähige Köpfe hervorbringen, die dieser Aufgabe gewachsen sind. Dazu holen die Wittelsbacher Jesuiten ins Land, sie sollen den Nachwuchs für Kirche, Staat und Militär ausbilden.

Ein historisches Zeugnis: Das Jesus-Gemälde von Jacopo Amigoni hing einst in der Gregoriuskirche, nun ist es ins Albertinum zurückgekehrt. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Albertinum hieß damals Domus Gregoriana, in Anlehnung an die Seminar-Kapelle, die Papst Gregor dem Großen geweiht war. 1646, kurz vor Ende des Dreißigjährigen Kriegs, wurde für die Zöglinge die Gregoriuskirche gebaut, nach dem Vorbild der Michaelskirche. Die Jesuiten prägten die ersten 200 Jahre des Studienseminars, als es noch in der Neuhausergasse lag. Ohne Drill ging dort nichts. Studenten, deren Fleiß zu wünschen übrig ließ, wurden mit Suppe, Brot und Wasser abgespeist. Anstatt Messer und Gabel lag eine Rute neben ihrem Teller, um anzuzeigen, "waß sie eygentlich Verdienet hetten". Während des Essens wurde aus der Bibel vorgelesen. Aufgenommen wurden anfangs nur Söhne von armen Münchner Bürgern. Für sie waren Unterkunft, Verpflegung, Lernmittel und Unterricht frei. Buben begüterter Eltern durften gegen Entrichtung eines Kostgeldes eintreten.

Dann kam die Zeit der Aufklärung, 1773 mussten die Jesuiten gehen, ihr Orden wurde aufgelöst. Im Zuge der Säkularisation wechselte das Studienseminar Standort und Name, es bezog einen Neubau an der Karmeliterstraße und hieß von 1806 an "Königliches Erziehungsinstitut für Studirende in München". Erst 1905 nannte man es nach dem Gründer "Kgl. Erziehungsinstitut Albertinum".

Die Schrecken des 20. Jahrhunderts hätten für das Albertinum fast das Aus bedeutet. Die Gebäude an der Karmeliterstraße wurden im April 1944 durch Bomben zerstört. Die Wittelsbacher hielten jedoch an der Stiftung fest, sie boten dem Albertinum von 1950 an eine Heimat in ihrem Schloss am Tegernsee, verloren aber München nicht aus den Augen. Man verkaufte ein Grundstück an der Kaulbachstraße, wo die Seminaristen Sport trieben, an die USA, die dort ihr Konsulat erbauten. Und man erwarb das Grundstück in Neufriedenheim, wo Herzog Franz von Bayern am 15. Juli 1963 den Grundstein für das neue Albertinum legte, nah am Erasmus-Grasser-Gymnasium und am Ludwigsgymnasium (das einst, 1824, aus dem Albertinum hervorging). Aus dem Internat hatten es die Schüler nicht weit bis zum Unterricht.

Einst ein „Seminarium für arme, doch fähige Knaben“: Heutzutage muss man weder männlich noch katholisch sein, um im Albertinum unterzukommen. (Foto: Stephan Rumpf)

Große Einschnitte kamen Anfang der 1990er-Jahre. Das Internat wurde 1994 geschlossen, man holte, um die Kosten zu decken, Mieter ins Haus, die Domsingschule und den Fußball-Nachwuchs des TSV 1860 München. Im Büro von Seminarleiter Klaus Lermer, der vor 25 Jahren ans Albertinum gekommen ist, hängen noch heute die Fotos von Spielern wie Marcel Schäfer, Christian Träsch oder Daniel Baier. Heute sind nur noch fünf junge Löwen hier als Internatsgäste, außerdem wohnen 72 Studenten im Haus, meist angehende Mediziner. Mehr als 500 junge Menschen gehen dort ein und aus, reden miteinander, lernen voneinander, denn das Tagesinternat wird von etwa 200 Buben und Mädchen genutzt, gegen eine Gebühr von 185 Euro im Monat, dazu 75 Euro Essensgeld. Den Grundsatz, nur Buben katholischen Glaubens aufzunehmen, gibt es nicht mehr. 1970 akzeptierte man das erste Mädchen, 1971 das zweite, viele Schüler gehören heute anderen Konfessionen an. Geblieben ist der Brauch, ein Tischgebet zu sprechen. Und noch etwas ist so wie früher: das von Jacopo Amigoni für die Gregoriuskirche gemalte Gnadenbild von 1750 mit dem in Rosen gebetteten Jesuskind mit dem durchstoßenen Herzen Jesu. Das Jesusbild war früher Ziel von Pilgern, dann war es zwei Jahrhunderte lang verschollen. Nun hängt es im Erdgeschoss hinter Panzerglas.

Zur Wortgottesfeier an diesem Freitag, dem Tag des Herz-Jesu-Festes, wird Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg erwartet. Uraufgeführt wird dabei auch das Albi-Lied, das die Schüler seit Monaten proben.

© SZ vom 08.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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