Lärm in der Stadt:"Da kann man höchstens ein Rock-Konzert dagegensetzen"

Lesezeit: 3 min

Gunhild Preuß-Bayer bei einem Spaziergang zum Tag des Lärms im Westend. Immer mit dabei: das Schallpegelmessgerät. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Zwei Münchnerinnen ziehen durch die Viertel und messen den Lärm in der Stadt. Warum an lauten Straßen mehr Herzinfarkte auftreten und wie Hitze die Lärmbelästigung beeinflusst.

Interview Von Lea Hruschka, München

Lärm macht krank - darüber klären die Mitarbeiterinnen des Gesundheitsladens München Maria Ernst und Gunhild Preuß-Bayer bei ihren Hör-Spaziergängen auf. Mit einem Schallpegelmessgerät in der Hand ziehen die beiden zusammen mit Exkursionsteilnehmern durch verschiedene Viertel der Stadt, erst vor ein paar Tagen wieder. Dabei zeigen sie den Münchnern laute und leise Orte und wie man sich vor Lärm schützen kann.

SZ: Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ich wohne an einer viel befahrenen Straße, wie der Landsberger Straße, mein Schlafzimmer zeigt zur Straße und es gibt keine Maßnahmen zum Lärmschutz. Was heißt das für meine Gesundheit?

Gunhild Preuß-Bayer: Es bedeutet, dass du nachts durch den Lärm immer wieder in deinen Schlafphasen gestört wirst und dadurch nicht gesund in deinem eigenen Rhythmus durchschlafen kannst. Dein Schlaf ist nicht erholsam. Es bedeutet, dass - je nachdem, welche Geräusche von außen hereinkommen, das sind auch sehr plötzliche, laute Geräusche - Stressreaktionen kommen, die auf Dauer, wenn sie sich wiederholen, auf das Herz-Kreislauf-System durchschlagen. Es ist bekannt, dass an lauten Straßen etwa zehn Prozent mehr Herzinfarkte auftreten. An der Landsberger Straße vielleicht noch mehr, weil sie eine der sehr lauten Straßen ist.

Gibt es Personengruppen, die besonders unter Lärm leiden?

Preuß-Bayer: Generell gibt es Menschen, die insgesamt lärmempfindlicher sind, schneller aus der Fassung geraten und nicht so stressresistent sind. Und es gibt Menschen, die sich sagen, sie stecken es weg, blenden es aus und hören es nicht. Das stimmt allerdings nicht, denn auch sie hören Lärm, auch bei ihnen gibt es Reaktionen. So sind die Reaktionen also unterschiedlich, aber sie sind bei allen Menschen da, die hören können. Gesunder Schlaf ist sehr wichtig, damit die Informationsverarbeitung im Gehirn gut läuft.

Maria Ernst: Auch Kinder leiden unter der Lärmbelastung. Es gibt Untersuchungen, wonach sie Lernverzögerungen erleiden, weil sie sich nicht gut konzentrieren können.

Bei Ihrer Exkursion im vergangenen Jahr sagten Sie, Frau Ernst, bereits: "Man muss das Thema im Zusammenhang mit der Hitze betrachten". Wie beeinflusst Hitze, wie wir sie aktuell immer wieder erleben, die Lärmbelastung für die Bewohner?

Ernst: Es gibt den Zusammenhang: Wo es laut ist, ist es meistens auch heiß, weil wir dort eine sehr dichte Bebauung haben. An der Landsberger Straße stehen zum Beispiel links und rechts der Straße Häuser. Die Straße selbst ist zuasphaltiert und heizt sich im Sommer entsprechend auf. Zusätzlich haben wir durch diese enge Bebauung ein großes Lärmproblem. Parallel ist es auch so, dass die ruhigen Gebiete meist auch die schattigen, kühlen Gebiete sind, wie ein Park oder eine Grünfläche. Damit gibt es schon zwei Gründe, kleine Grünflächen unbedingt zu schützen.

Preuß-Bayer: Und weitere anzulegen!

Bei einem Ihrer Spaziergänge haben Sie auch das Konzept "Soundscaping" erwähnt. Dabei übertönen angenehme die lauten und störenden Geräusche. Ist das eine geeignete Strategie für Bürger, um sich selbst vor Lärm zu schützen?

Preuß-Bayer: Teils, teils. Wir haben zum Beispiel am Gollierplatz einen Brunnen und in den umliegenden Straßen Verkehr. Je näher man am Brunnen sitzt, der ja ein gleichmäßiges Rauschen hat - ein Geräusch, das die meisten Menschen als angenehm empfinden -, desto mehr überdeckt dieses Geräusch die Geräusche vom Verkehr. Insofern kann man mit solchen Geräuschen den Lärmteppich angenehmer machen. Andererseits wird es dadurch ja nicht leiser. Man nimmt nicht Geräusche heraus, sondern man macht Geräusche unhörbar, indem man angenehmere, etwas lautere Geräusche einspielt. Man bekommt sehr laute Stellen aber nicht wirklich angenehm. Da kann man höchstens ein Rock-Konzert dagegensetzen - und das finden viele Leute auch nicht so entspannend (lacht).

Der Tag gegen Lärm hat bereits 24 mal in Deutschland stattgefunden, auch Ihr Gesundheitsladen veranstaltet seit vielen Jahren die Hörexkursion. Kann Ihr Engagement denn etwas am großen Problem Lärm für die Münchner verändern?

Ernst: Ja, es ist unser Anliegen und auch das Anliegen des "Tags gegen Lärm", die Menschen zu sensibilisieren, damit sie den Lärm nicht einfach hinnehmen, sondern sich engagieren, ruhige Plätze wertschätzen und pflegen. Die Absicht ist, gerade auch Entscheidungsträger dafür zu sensibilisieren, dass man etwas machen muss - und machen kann. Wir wollen, dass es langfristig gesünder wird.

Zeigen die Daten, die Sie bei den Exkursionen sammeln, eine erfolgreiche Sensibilisierung?

Preuß-Bayer: Die Stadt sagt, sie habe einige Stellen leiser gemacht und lärmbelastete Personen durch verschiedene Maßnahmen entlastet. Wie gut diese Entlastung ist, können wir nicht beurteilen, dazu müssten wir systematisch messen. Es gibt jedoch Maßnahmen, die wirken sehr eindeutig. Am Mittleren Ring im Osten gab es beispielsweise viele Stellen, wo Häuserzeilen quer zur Straße standen und der Lärm der Straße sehr tief zwischen die Häuser eingedrungen ist. Dort sind jetzt sukzessive die meisten dieser Stellen mit Bauten ergänzt worden, die parallel zur Straße laufen und diese offenen Zeilen abschirmen, sodass dahinter halb-offene Hinterhöfe entstehen, die vor Lärm geschützt sind. Die Häuser, die vorne neu gebaut worden sind, wurden von Anfang an so geplant, dass man auf den Lärm eingegangen ist. Es gibt also sehr gute Lärmschutzfenster auf der Straßenseite und die Räume sind so angeordnet, dass die empfindlichen Räume wie Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer zur Hofseite schauen. Zur Straßenseite hin sind Treppenhäuser, Laubengänge, Küchen, Bäder und Toiletten angeordnet. Das ist eine Maßnahme, die sehr wirksam ist.

© SZ vom 19.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: