München:Die Absurditäten des Wahlkampfs

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Das Wahlplakat der ÖDP sorgt für Erheiterung. (Foto: Melanie Staudinger)

Die Wahlplakate, die derzeit Münchens Straßen schmücken, sind mitunter an Absurdität nicht zu übertreffen. Und mancher hat sogar Slogans aus früheren Jahren geklaut.

Ganz viel Äh-Motion

Ein gewisser Gaga-Faktor sorgt für Erheiterung auf winterlich grauen Straßen und Plätzen. Wer morgens auf dem Weg in sein todlangweiliges Büro an spaßigen Plakaten vorbeikommt, auf denen - beispielsweise - "Flatrate statt Flatulenz" steht, kommt beschwingt und positiv denkend am Schreibtisch an. Der Spruch stimmt ja auch. "Wortwitz statt Wortwahl" wäre schon etwas nachdenklicher, "Smarties statt Smartphone" ein ebenso verzweifeltes wie einsames Plädoyer für den analogen Lebensstil. Die ÖDP hat sich für "Emotion statt Emission" entschieden, was zunächst einmal einleuchtend klingt, weil das eine ja wirklich irgendwie besser ist als das andere (allerdings gehören auch Wutanfälle und schlechte Laune zu den menschlichen Emotionen).

Bildet man vor dem Plakat einen Sitzkreis, kommt man nach Stunden ausgiebigen Biergenusses möglicherweise auf den Trichter, mit Emotion könnte auch E-Motion gemeint sein. Also Elektromobilität. Das ist die Form der Fortbewegung, bei der die Emission nicht über den Auspuff, sondern über den Kraftwerkskamin in die Atmosphäre gelangt. Was den Spruch irgendwie unrund werden lässt. Also doch Emotion, ganz ohne Elektro. Die kann man notfalls für sich behalten. Und so Gefühls-Emissionen vermeiden. Von Dominik Hutter

Sprüche von gestern

Das Motto der Freien Wähler ist geklaut. (Foto: Melanie Staudinger)

Gut möglich, dass mancher glaubt, beim Anblick dieses Plakats ein Déjà-vu-Erlebnis zu erfahren. Ist aber nicht so. Denn bei dem Gefühl, etwas schon einmal erlebt zu haben, handelt es sich um eine Sinnestäuschung - das Motto der Freien Wähler ist aber tatsächlich geklaut. Eins zu eins, einfach so. Damit München München bleibt. Mit diesem Spruch zog die SPD 2014 in den Kommunalwahlkampf, ließ sich für ihre angebliche Retro-Liebe schelten und beteuerte, diese Interpretation sei ein Missverständnis.

Das hinderte die CSU nicht daran, sechs Jahre später das vielbelächelte Motto für die nun anstehende Wahl zu recyceln - heraus kam "Wieder München werden". Den Freien Wählern ist offenbar selbst das Recycling zu mühsam, sie haben die Formulierung einfach unverändert übernommen. Nur kein allzu großer Aufwand. Diesen Vorwurf kann man der Partei im aktuellen Wahlkampf aber ohnehin nicht machen. Auch das Programm wirkt eher wie eine auf dem Sofa entstandene Ideensammlung mit Mut zur Lücke. Bei der es offenbar auch komplett egal ist, ob darüber überhaupt im Münchner Rathaus entschieden werden kann. Von Dominik Hutter

Eine Frage der Diskriminierung

Die CSU ist streng zur politischen Konkurrenz - und gnadenlos zu sich selbst. Wie könnte es sonst sein, dass die oberste Regierungspartei sich selbst vorwirft, früher diskriminierend agiert zu haben? Inzwischen aber hat sich die Partei gebessert, deshalb steht im aktuellen Wahlprogramm - nichts. Nichts dazu, wie die CSU die Integration von Flüchtlingen (von denen in den letzten fünf Jahren etwa 15 000 geblieben sind) oder von anderen Ausländern in München (445 000 an der Zahl) befördern will. War kein Platz mehr auf einer der 85 Seiten des Wahlprogramms? Oder hat die Partei von Ministerpräsident Markus Söder und OB-Kandidatin Kristina Frank schlicht vergessen, ein Kapitel einzufügen, das man mit Migration und Integration hätte überschreiben können? Keineswegs.

Das ist bewusste CSU-Politik, heißt es in einem schriftlichen Statement aus der Zentrale der Münchner CSU: Alle Münchner hätten doch "dieselben Interessen und Bedürfnisse", egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Also habe man das Programm "nach Themen geordnet, die für alle in unserer Stadt Lebenden gelten - egal, woher sie kommen. Alles andere würden wir als diskriminierend empfinden." Folglich ist es "diskriminierend", so müsste man meinen, wenn sich andere Parteien über Dolmetscher, Einbürgerung oder die Hilfe für traumatisierte Flüchtlinge Gedanken machen, weil der Bio-Münchner ja dieselben Bedürfnisse hat.

Also ist es auch diskriminierend, was eine Partei vor der letzten Kommunalwahl gefordert hat: "Wir wollen in München miteinander und nicht nebeneinander leben. Deshalb dürfen sich keine Parallelgesellschaften entwickeln." Oder: "Die Beherrschung der deutschen Sprache ist die zentrale Voraussetzung für jede Integrationsbemühung." Oder: "Wir brauchen in München eine Willkommenskultur." Alles überflüssig, alles "diskriminierend", sagt die CSU des Jahres 2020 dazu, was die CSU im Jahr 2014 ins damalige Wahlprogramm geschrieben hat. Damals hatten gut ein Drittel der Münchner einen Migrationshintergrund, heute sind es schon 45 Prozent, 700 000 Menschen. Von Bernd Kastner

Das geht auf den Keks

Ein Plakat, das Fragen aufwirft. (Foto: Anna Hoben)

Freies Assoziieren und Wortspielereien können ja beim Schreiben oder Gestalten zu genialen Ergebnissen führen, zu Aha-Erlebnissen beim Leser oder Betrachter. Sie können aber leider auch zu Ergebnissen führen, die das genaue Gegenteil eines Aha-Erlebnisses hervorrufen - nämlich ein Hä-wie-bitte-Erlebnis. Ein solches stellt sich ein beim Betrachter des oben abgebildeten Wahlplakats von Jusos und SPD. Was sieht man da? Eine Überschrift, Weiß auf Rot: "Wohnraum ist kein Spekulationsobjekt." Einen Wohnungsgrundriss. Das Foto eines leeren Ohrensessels, auf dem eine Zeitung oder Zeitschrift liegt. Und ein kleineres Foto, das eine Schale mit Keksen zeigt. Hä, wie bitte? Grübeln.

Kann es sein, dass die Kekse aussehen wie Spekulatius, obwohl die Weihnachtszeit längst vorbei ist? Moment: Spekulation, Spekulatius - ernsthaft, SPD? Wenn das der Zusammenhang ist, dann steht der Ohrensessel wahrscheinlich für Wien. Schließlich gibt es einen dort spielenden Roman von Thomas Bernhard, in dem der Ich-Erzähler die ganze Zeit in einem Ohrensessel sitzt und auf die Welt und die Wiener Gesellschaft schimpft. Und Wien, da wollen beim Thema Wohnen in München ja alle Parteien hin, denn in Wien läuft es super. Darauf einen Keks. Von Anna Hoben

Einsam im Nebel

Nebelduschen will die FDP? Das erledigt im Wahlkampf das Wetter. (Foto: imago/Arnulf Hettrich)

Wahlkampf ist bis zu einem gewissen Grad natürlich auch Glückssache. Beispiel FDP: In ihrem an fantasievollen Vorschlägen reichen Wahlprogramm ist die Forderung nach Nebelduschen in der Stadt sicher eine der fantastischsten. Weil es wegen des Klimawandels in deutschen Innenstädten immer heißer werde, so erfährt der interessierte Wähler im Kapitel "Umwelt/Klima", sollten derlei öffentliche Luftbefeuchter den Bürgern Erleichterung verschaffen. Offenbar handelt es sich hier um eine jener Innovationen, mit der die Liberalen dem Klimawandel begegnen wollen, statt Verzicht zu predigen. Klar ist jedenfalls, dass die Zeit für solche Vorschläge gerade ungünstiger kaum sein könnte.

Seit Tagen geht ein feucht-kalter Nieselregen über der Stadt nieder und es ist keine Änderung in Sicht. Die Gruppe der Münchner, die gerade davon träumen, dieser Zustand möge das ganze Jahr über andauern, dürfte so klein sein, dass sie in der Nebelkammer des Nordbads locker Platz fände. Hätte die Wahl dagegen während der letzten Hitzewelle stattgefunden, wären der FDP mit diesem Vorschlag wohl dreißig Prozent sicher gewesen. So aber könnte sich die Partei an Hesse erinnern: "Voll von Freunden war mir die Welt/Als noch mein Leben licht war; Nun, da der Nebel fällt/Ist keiner mehr sichtbar." Von Julian Hans

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