München hat gewählt:Krach statt Kooperation

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Obwohl Bezirksausschüsse, die geschlossen auftreten, von jeher am erfolgreichsten sind, werden die Interessen in vielen der 25 lokalen Gremien weiter divergieren

Von Thomas Kronewiter

Die Grünen, die großen Gewinner der Bezirksausschuss-Wahl am 15. März, sind die Verlierer der Bezirksausschuss-Konstituierung im Mai. Hatten sie im März in 15 von 25 Stadtbezirken die jeweils meisten Stimmen bekommen, stellen sie nun, keine zwei Monate später, nur in zehn Stadtbezirken auch den Vorsitzenden. Immerhin werden sich beim jährlichen Treffen des Oberbürgermeisters mit den Chefs der untersten kommunalpolitischen Gremien künftig doppelt so viele Grüne wie bisher einfinden. Die Grafik - insbesondere das Ergebnis der Vorsitzenden-Wahl im Vergleich zur Stärke der Fraktionen - zeigt zugleich, wie schwierig Politik in München schon auf dieser untersten Ebene geworden ist.

Konsens und der unbedingte Wille zur Zusammenarbeit zum Wohle des eigenen Viertels sind selten geworden zwischen Allach und Zamdorf. Im westlichen Schwabing hat diese jahrzehntelange Tradition Bestand gehabt, in Au-Haidhausen hat man sich, nach einem grün-grünen Sparring, ebenso zusammengerauft wie in Pasing-Obermenzing. In Schwabing-Freimann ging der Wechsel vom jahrzehntelangen SPD-Vorsitz an einen CSU-Politiker ohne Blessuren ab. Im Streit auseinander gegangen sind aber doch recht viele der 683 Gremiumsmitglieder: in der Altstadt, dem mit 15 Mitgliedern kleinsten Bezirksausschuss ebenso wie in der Maxvorstadt und in Laim. In Bogenhausen fanden die Fraktionen gerade einmal 20 Minuten vor der Sitzung eine Lösung für eine festgefahrene Situation, die neuen Streit in sich birgt - etwa wenn man an das Riesenproblem der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) und die unterschiedlichen Positionen der Fraktionen dazu denkt.

Die Gremien, die zerstritten in die Amtsperiode gestartet sind, dürften an dieser Gemengelage noch länger laborieren. Besonders bitter ist dies in Vierteln, in denen die Probleme groß sind, die Kompromissbereitschaft aber klein. Aubing-Lochhausen-Langwied mit dem riesigen Neubaugebiet Freiham ist ein Beispiel, da zerbrach die ohnehin schon marginalisierte SPD-Fraktion nur Wochen nach der Wahl, Bogenhausen mit der SEM ist ein zweites.

Den Grünen ist es nicht gelungen, in allen Stadtvierteln, in denen sie eindrucksvolle Stimmenergebnisse eingefahren hatten, diese in politische Münze zu verwandeln. Angst vor der eigenen Courage wie in Sendling und Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln und politische Naivität wie in Schwabing-Freimann mischten sich mit Pech, wie in Sendling-Westpark - wo der eigene Machtanspruch nach zweimaligem Wahl-Patt erst durch das Los im Keim erstickt wurde.

Von den beiden großen Volksparteien ist die CSU noch halbwegs glimpflich aus den konstituierenden Sitzungen gekommen. Sie behält den Vorsitz in acht Bezirksausschüssen, 2014 war es nur ein Stadtbezirk mehr gewesen - allerdings haben die Konservativen ihre Hochburgen nicht durchweg behauptet: Nur die Hälfte dieser acht Stadtbezirke hatte die CSU 2014 bei der Vorsitzenden-Wahl ebenfalls für sich entschieden. Das zeigt, wie sehr sich das politische Mikroklima geändert hat. Gleich geblieben ist die Dominanz der Konservativen am Stadtrand.

In immerhin sieben Vierteln (von elf unter SPD-Vorsitz 2014) haben die Sozialdemokraten die Chefrolle behaupten können. Dass dies mitunter nur durch pfiffige Bündnis- oder trickreiche Machtpolitik funktioniert hat, zeigen die Beispiele Sendling, Sendling-Westpark, Laim, Allach-Untermenzing. Dieser Erfolg auf der Zielgeraden kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Genossen, die nur mehr in Moosach und Milbertshofen-Am Hart die jeweils stärkste Fraktion stellen, die Machtbasis vollkommen erodiert ist.

In den Jahren 2020 bis 2026, die von Corona und seinen (nicht nur finanziellen) Folgen, von Verkehrs-, Wohnungs- und Wachstumsproblemen geprägt sein dürften, werden die Interessen der 25 Stadtbezirke weiter divergieren - zwischen Innenstadt und Randlage, zwischen kompromissorientierten Gremien und Machtpolitikern, zwischen Bezirksausschuss-Chefs mit und ohne Hausmacht, zwischen größeren Fraktionen und kleinen Splitterparteien oder gar Einzelkämpfern, die möglicherweise sogar mit gezielten Provokationen Profil zeigen wollen. Deswegen ist der Blick auf die Fraktionen in der Grafik ebenso wichtig wie der auf die Einfärbung der Viertel (nach der Parteizugehörigkeit des jeweiligen Vorsitzenden). Auf diese beiden Machtfaktoren kommt es an: auf die Chefs und die ihnen zufallenden Kompetenzen - das Recht auf Eilentscheidungen ebenso wie die alleinige Außenvertretung der Bezirksausschüsse einerseits. Auf das Stimmverhalten des jeweiligen Plenums andererseits - wobei die Gremien, die geschlossen auftraten, immer schon am erfolgreichsten ihre Bürger repräsentierten.

Persönlichkeiten, denen ihre Kollegen Integrität und integrierende Fähigkeiten zubilligten, hatten deshalb keine Mühe, gewählt oder bestätigt zu werden, ungeachtet der realen Machtverhältnisse: Im westlichen und im östlichen Schwabing zeigt sich dieser Effekt beispielhaft, wenngleich unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen: Schwabing-West führt künftig eine an Ausgleich und Kooperation interessierte, langjährig schon im Vorstand aktive Grüne mit starker Fraktion hinter sich, Schwabing-Freimann ein CSU-Politiker ohne wirkliche Hausmacht, dem man aber die gleichen Attribute zuschreiben kann.

Alle übrigen Posten, mit denen sich Neu- und Wiedergewählte haben abfinden lassen, sind eigentlich nur Pöstchen - mit viel Arbeit und, im besten Fall, verbesserter Einbindung in den Informations- und Kommunikationsfluss. Wer maßgeblich mitgestalten will in Münchens Stadtviertelpolitik, kann dies nicht aus der Rolle des Stellvertreters oder eines Unterausschuss-Vorsitzenden heraus tun, sondern nur von der absoluten Spitze oder aus der Mitte einer starken Fraktion heraus. Das müssen die für diesen Lernprozess wohl allzu schnell erstarkten Grünen vielfach erst noch lernen.

© SZ vom 20.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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