Katholische Kirche:"Ich werde nicht schweigen"

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Ein Bischof in der Hängematte wird auf dem Marienplatz zum Symbol für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. (Foto: Catherina Hess)

Das Gutachten zum Missbrauch an Kindern in der Münchner Erzdiözese wird an diesem Donnerstag veröffentlicht. Betroffene klagen das jahrelange Vertuschen der Verbrechen an.

Von Bernd Kastner

Just am Mittwochmorgen habe sich ein Bekannter gemeldet, erzählt Wolfgang Rothe. Sie kennen sich seit Langem, haben zusammengearbeitet. Und nun erzählt dieser Mann, dass er auch ein Betroffener sei, betroffen von Missbrauch in der katholischen Kirche. "Dieser Teil unserer Geschichte war der Sprachlosigkeit zum Opfer gefallen", sagt Rothe, der selbst als Priester in Ramersdorf arbeitet. "Diese Sprachlosigkeit muss überwunden werden." Er gehört zu den Engagierten in der katholischen Kirche, die für eine offensive Aufarbeitung von Missbrauchsfällen kämpfen. Am Nachmittag wird er auf dem Marienplatz stehen, wo ein überdimensionierter Bischof in einer Hängematte lümmelt, darauf die ironische Anmerkung: "12 Jahre schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle!"

Die Aktion von verschiedenen Betroffeneninitiativen aus Deutschland findet statt, weil an diesem Donnerstag das lange erwartete Missbrauchsgutachten zur Erzdiözese München und Freising veröffentlicht werden soll. Die Kirche hat vor zwei Jahren die Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl mit der Untersuchung beauftragt. Darin soll es unter anderem um die Verantwortung der Münchner Erzbischöfe gehen: Was wussten Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., Friedrich Wetter und Reinhard Marx? Was taten sie, um die Täter zu stoppen und zu sanktionieren?

"Machtmissbrauch, Intransparenz, Willkür": Diese Begriffe schreiben die Aktiven aus dem Aktionsbündnis dem "System Kirche" zu. Das Bündnis, zu dem die bundesweit bekannte Initiative "Eckiger Tisch" gehört, kritisiert die bisherigen Untersuchungen in der Kirche als "Aufarbeitung nach Gutdünken durch eigene Gutachten" und fordert: "Es braucht endlich eine durch den Staat garantierte unabhängige Aufklärung und Aufarbeitung der systematischen Verbrechen an Kindern und Jugendlichen und ihrer Vertuschung durch bischöfliche Verantwortungsträger." Zudem solle die Kirche Geld geben, um Betroffenen die Selbstorganisation zu ermöglichen. Kritisiert wird auch die Praxis des kirchlichen Verfahrens zur "Anerkennung des Leids". Es sei intransparent und willkürlich, die ausgezahlten Beträge orientierten sich daran, "was sich die Kirche leisten will, nicht danach, was gerecht und angemessen wäre".

Wer wegschaue, wer Täter schütze, der sei selbst schuldig

Priester Rothe sagt, er engagiere sich bewusst "als Vertreter eines Systems, das Missbrauch lange ignoriert und vertuscht hat". Als solcher wolle er Stellung beziehen. Und sich dafür einsetzen, eine der Ursachen für systematischen Missbrauch zu beseitigen, die Sexualmoral der Kirche.

Agnes Wich gehört zu jenen von Missbrauch Betroffenen, die Worte für das allzu oft Unaussprechliche findet. Es ist eine Anklage, die sie vorbereitet hat für den Marienplatz. Als Neunjährige, berichtet sie, wurde sie in ihrem Heimatort von einem Pfarrer missbraucht, später habe sie lernen müssen, ihre "Träume, Wünsche, Hoffnungen" ans Leben aufzugeben und einen neuen Weg ins Leben zu finden. "Wer wegsieht, macht sich schuldig", sagt Agnes Wich, "wer vertuscht und Täter schützt, ist schuldig." Wen sie meint, ist klar: die Verantwortlichen in der katholischen Kirche. Der Täter sei nie rechtskräftig verurteilt, stattdessen geschützt worden. "Ja, das ist eine Anklage", sagt sie. "Ich werde nicht schweigen."

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