München:Im Hörrausch

Lesezeit: 3 min

Zeichnung: Christina Koormann (Foto: N/A)

Wie klingt er eigentlich, der typische Sound dieser Stadt? Wer die akustische Landschaft Münchens erkundet, dem dringen mehr als nur Blasmusik, Prost-Rufe und Isar-Rauschen ans Ohr

Von Jutta Czeguhn

Viele Menschen kommen in diesen Ferienwochen nach München. Aus Reiseführern haben sie sich mit allen möglichen Bild-Ikonen versorgt über Go-to-must-see-Schauplätze wie den Englischen Garten, das Hofbräuhaus, die Allianz-Arena oder das Reich der Eisbach-Surfer. Auffällig ist die Dominanz des Visuellen in diesen Touristen-Tipps: Abgesehen von abgenudelten Klischees wie dem Glockenspiel im Rathausturm oder der Blasmusik beim Chinesischen Turm werden den Besuchern kaum akustische Attraktionen in der Stadt verheißen. Wie aber klingt München? Wie hört er sich an, der Sound dieser Stadt? Gibt es ihn überhaupt? Für eine Sommerserie hat sich das Stadtviertel-Team der Süddeutschen Zeitung auf Hör-expeditionen durch München begeben. Es waren Ohren öffnende Erfahrungen mit Wohllauten, Klangwundern, akustischen Irritationen - und Stille.

"Stellen Sie sich vor, Sie wären blind.

Sie könnten die Stadt nicht sehen,

sondern nur hören und riechen.

Klingt die Stadt dann anders

als andere Städte?"

In ihrem poetischen Film-Essay "München - Geheimnisse einer Stadt" aus dem Jahr 2000 umkreisen der Regisseur Dominik Graf und der 2011 verstorbene Filmkritiker Michael Althen diese Frage. Bittet man Graf im Sommer 2016 darum, den Klang seiner Heimatstadt zu beschreiben, dann kommt der Vorschlag "Wäre sowas Anti-Idyllisches wie ,Unter der Donnersbergerbrücke' recht?" ( siehe rechts). Nur zu! Wie gerne hätte man auch erfahren, was Michael Althen, ebenfalls gebürtiger Münchner, heute aus dieser Stadt herausfiltern würde. Zweifellos hätte er einen soghaft schönen Ton noch für den größten Krach gefunden.

Auch für die Sound-Sucher im Stadtteil-Team stellten sich grundsätzliche Fragen: Soll man den breit getretenen Trampelpfaden der Reiseführer folgen, aber quasi mit dem Stethoskop um den Hals? Sehr Reizvolles könnte sich daraus ergeben. Oder wäre es angebrachter, der Herde den Rücken zu kehren und in die entgegengesetzte Richtung zu laufen? Es sprach viel für beide Strategien. Und so wurde die Liste der Expeditionsziele ins Münchner Klangreich länger und länger. Sollen Expeditionen gelingen, müssen sie gut vorbereitet sein. Bei den Kollegen konnte man in dieser Einstimmungsphase merkwürdige Veränderungen wahrnehmen. Mit Kopfhörern in der S-Bahn zu sitzen, um sich in der eigenen Soundwolke durch diese überlaute Stadt zu bewegen, das kam nun nicht mehr in Frage. Also Entstöpseln! Man belauschte nun, Wissenschaftlern gleich, Gespräche der Mitreisenden, analysierte Rhythmus und Rattertonlage des fahrenden Zuges. "Das Umblättern von Zeitungsseiten, wie hört sich das an?", grübelte ein Kollege und faltete unter demonstrativ lautem Rascheln ein SZ-Tageswerk zusammen. "Wie Laub." - "Nein, Regen." - "Eindeutig wie das Knistern von Kaminfeuer", kamen die Vorschläge. Aus anderen Zimmern drangen dadaistische Geräusche, die an die Sprech-Lyrik von Ernst Jandl erinnerten: "Pschiiii, Püff! Tschong, Ffffft."

Die Klangjäger versuchten alles, um die Ohren frei zu bekommen für die Sound-Abenteuer. Sie begannen, vertraute Lauschmuster zu hinterfragen, Töne präzise zu deuten. Dabei blieb die bange Frage, ob man angemessene Worte finden werde für all das, was man nun zu hören bekomme. War man bislang doch eher auf die Beschreibung visueller Eindrücke geschult.

Münchner, die man wie Dominik Graf befragte, waren da unbekümmerter. Für Johannes Moser, der als Professor für Volkskunde und europäische Ethnologie zum München-Sound geforscht hat, klingt die Stadt "nach B lumentopf und Jesper Munk, nach Arbeitseifer und Feierabendlaune, nach SUVs und Fahrrädern, nach ,Mia san mia'-Engstirnigkeit und Internationalität". Der Musiker Titus Waldenfels hat sich auf einem seiner Alben mit "Stadtklängen/City Sounds" beschäftigt. München, das sind für ihn "Kirchenglocken, einzelne Blasmusik-Motive aus der Ferne, das Geräusch von Wasser und bewundernden Rufen bei den Eisbach-Surfern, und über all dem liegend alle Arten von Musik aus den USA, die von GIs und anderen Amerikanern nach München gebracht wurden." Anja Uhlig, Galeristin im ehemaligen Pissoir an der Großmarkthalle, beschreibt den München-Klang dort so: "An sich ein stiller Ort. Aber sobald man was ganz Leises machen mag, etwa eine Vorlesung über vernachlässigte Lebensformen, da hören wir den Sound: Der Bus kommt, hält, und fährt wieder los. Ein Motorrad gibt nach der 30er-Zone kurz richtig Gas - und die Glocken läuten am Gotzinger Platz. Ein Stapler fährt vom Großmarkt mit seinem leisen Brummen vorbei, der Fahrer wirft dem Pförtner ein paar Worte zu." Und Uli Oesterle, Illustrator und Comiczeichner, hat auf seinem täglichen Weg mit dem Radl ins Atelier nur ein Geräusch im Ohr: "Quiiiietsch!"

Die Kollegen sind schließlich losgezogen: zum Zentralen Omnibusbahnhof mit seinem babylonischen Sprachgewirr oder zu den Löwen in den Tierpark nach dem Raubkatzen-Diättag. Die Philharmonie gab akustische Geheimnisse preis, ein Nobelrestaurant ließ sich in die Töpfe horchen. Im Dantebad wurden Schwimmstile plötzlich hörbar, ebenso der Teufelstritt im Dom und das Drehen des Olympiaturms. Im Museum herrschte turbulente Stille, im Schlachthof-Viertel mischte sich das Schreien der Rinder mit dem Klirren von Champagner-Gläsern. Boulekugeln klackten im Hofgarten, Hufe klackerten auf der Galopprennbahn, im Hofbräuhaus . . .

Die meisten von uns kamen von den Klang-Expeditionen in einer Art Hörrausch zurück. Noch ist er uns frisch im Ohr, der Sound der Stadt. Und nun sind alle eingeladen, mitzuhören.

Am Dienstag lesen Sie: Der Sound am Zentralen Omnibusbahnhof

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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