München:Grüße aus der Vergangenheit

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Es gibt sie noch, die schönen Bilder: Sebastian Winkler, Antiquitätenhändler und ein Mann mit dem besonderen Blick, verlegt Postkarten mit Motiven aus dem alten München

Von Renate Winkler-Schlang

Weißblau biegt die 10erTram in der Kurve am Stachus vor dem Pini-Haus in die Sonnenstraße ab. Drei glänzend polierte Oldtimer warten. Die Fußgängerin im Hintergrund trägt ein altmodisches Kostüm, die Handtasche unter den Arm geklemmt. Typisch München, diese Aufnahme aus den Fünfzigerjahren. Oder der Blick vom Alten Peter auf den Marienplatz, auf dem noch Schienen liegen zwischen Mariensäule und Rathaus. Schwarz-Weiß. Die dralle Kellnerin mit den vielen Steingutkrügen, die Schlittschuhfahrer auf der Theresienwiese, die wie ein Scherenschnitt erscheinen: Solche Aufnahmen sammelt Sebastian Winkler. Nicht nur zur eigenen Freude, denn: Der Antiquitätenhändler teilt diese Eindrücke, diese Grüße aus der Vergangenheit mit anderen Nostalgikern. Er bringt sie in seinem kleinen Verlag als Postkarten heraus, eine oftmals augenzwinkernde Liebeserklärung an München, an bayerische Lebensart.

Postkarten gibt es viele, Winklers Karten stechen heraus. Die Motive sind mit Bedacht gewählt, die Bilder haben eine eigene Ästhetik. Manche regen durchaus zum Schmunzeln an - wie die sechs Herren in überdimensionalen, gestreiften Badehosen, Brust raus, Bauch rein, die Schnurbärte gezwirbelt, die Füße teilweise noch in Socken. Andere sind richtig witzig - wie zum Beispiel der wohlbeleibte Bastler, der aus welchem Grund auch immer in den Kofferraum seines VW Käfer kriecht. Das Schöne ist, dass die Bilder nie plump, niemals aufdringlich krachert sind. Auf erbauliche oder ratgebende, womöglich gereimte Zweizeiler verzichtet Winkler ganz. Dabei hätte er den feinen Humor, der zu seinen Karten passt, das zeigen die kleinen Titel auf der Rückseite. Da streckt zum Beispiel eine gut gepolsterte Schöne mit großem federdekoriertem Hut dem Fotografen ihr über und über dekoriertes Dekolleté entgegen, die Tätowierung auf dem Busen zeigt die Kaiserfamilie. "Kaiserfleisch" hat Winkler diese Ansicht betitelt.

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(Foto: Stephan Rumpf)

Es geht voran: Auto,...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...Tram...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...oder die Erfüllung des Fernwehs auf dem Flughafen Riem - mobiles Leben als Schnappschuss.

Eine Sammlernatur ist der 57-Jährige seit jeher. "Von einem Schatz zum nächsten" habe es ihn früher getrieben. Sammeln sei eine sehr emotionale Angelegenheit, mit richtiggehenden Jagderlebnissen, mit Trophäen, über die man sich definieren könne. Winkler sitzt in seinem kleinen Antiquitätenladen an der Auenstraße im Glockenbachviertel mit Blick auf die Isar. Ein Laden mit schönen Dingen aus verschiedenen Epochen, liebevoll präsentiert - und gar nicht so voll und zugestellt, wie man es kennt in dieser Branche.

"Alterthümer" hat er seinen Laden genannt. Die Karten, die Alben, seinen Verlagsfundus bewahrt er in den beiden hinteren Räumen, sorgsam sortiert in grauen Schachteln, auch hier dominieren Ordnung und Übersicht. Er habe mit den Jahren gelernt, dass es wichtig sei, eine Sammlung zu besitzen und nicht von ihr besessen zu werden, sagt er. Leichten Herzens gebe er heute auch Dinge an Menschen, von denen er weiß, dass sie ihnen viel bedeuten. Hauptsache, die Objekte leben weiter: "Ich weiß inzwischen, dass immer wieder etwas nachkommt."

Auch ein Münchner Motorradfahrer in Schwarzweiß findet sich unter den Motiven. (Foto: Stephan Rumpf)

"Schulzeit nicht sehr erfolgreich", so beginnt Winkler über sein Leben zu erzählen. Nach dem Wehrdienst folgt eine Schreinerlehre in der romantischen Hoffnung, eigene Kreationen verwirklichen zu können, doch "semiindustriell" sei das gewesen. Dann eine kaufmännische Lehre. Zwei Jahre Bühnentechnik für die Kammerspiele brachten ihm Arbeitszeiten, die seinem Rhythmus entgegenkamen, aber er wollte etwas Eigenes: "Dann handele ich halt". Er nutzte seine Ausbildung, machte sein Hobby, das Sammeln zum Beruf, eignete sich das Wissen über Epochen, Stilrichtungen, Künstler oder Manufakturen selbst an und ist stolz darauf: "Das Wissen war damals denen vorbehalten, die es sich mit Leidenschaft und Interesse erarbeitet haben." Heute könne ja jeder sofort alles googeln.

Auch die Wertigkeit von Fotografie habe sich verändert, von der Rarität zum Massenphänomen. Seine Ehrfurcht gilt eindeutig den Kamerakünstlern von damals, denen zu verdanken sei, dass man sich die Vergangenheit nicht nur anhand von überlieferten Worten vorstellen muss. Es ist spannend für ihn, zu entdecken, wie Fotografen wie Philipp Kester ihre Welt gespiegelt haben. Winkler hat seinen Blick geschärft, sucht Aufnahmen, die mehr sind als romantisch-verklärend oder einfach nur die doch immer ähnlichen Familienerinnerungen von Hochzeiten, Baby auf Bärenfell oder runden Geburtstagen mit Jubilar und Geschenkkorb. "Weil ich nun mal in München lebe", darum habe er sich auf München-Motive spezialisiert - wenngleich in früheren Jahrzehnten Städte wie Wien oder Berlin noch weit mehr zu bieten hatten, wie er findet. Neben den Motiven aus der City und einigen Stadtvierteln legt er sein Augenmerk auf Technik und Verkehr, Handwerk und Gastronomie, einfach auf Überraschendes: "Kein Kitsch, das Bild muss eine Geschichte erzählen."

Mit scharfem Auge: Sebastian Winkler. (Foto: Stephan Rumpf)

Leben kann Winkler nicht von seinen Postkarten, die er nur in einigen Münchner Läden und via Internet vertreibt und für die er einen Euro verlangt: "Eine Nebenerwerbsgeschichte." Inzwischen aber ist er so bekannt, dass manchmal Agenturen anklopfen, wenn sie einen originellen Background für Werbung oder eine Publikation brauchen.

Bei Trödlern oder auf Märkten hat er seine Motive gefunden, aber dank seiner guten Kotakte zu den Verantwortlichen auch im Stadtmuseum und im Stadtarchiv. Schätze, die längst nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind. Ab und an bringt jemand sein altes Album in den kleinen Laden an der Auenstraße - aufmerksam geworden durch Annoncen oder einfach durch die Gelben Seiten. Das sind dann die aufregenden Momente. Winkler bleibt dran, 470 Motive hat er im Angebot. Und die Auswahl, welche Aufnahme es auf eine seiner Postkarte schafft, trifft er nicht nur mit dem Verstand: "Es muss einfach klick machen."

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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