München:Gemeinsam hoch hinaus

Lesezeit: 2 min

Sprachbarrieren spielen an der Wand keine Rolle: Hier ist Konzentration gefragt. Wahidullah aus Afghanistan kämpft sich nach oben. (Foto: Catherina Hess)

Die Bouldergruppe ist nur eine von 250 Flüchtlings-Patenschaften. Sie alle feiern sich bei einer Projekt-Gala

Von Julian Raff, München

Nach gut zwei Stunden winkt Saddam dann doch ab. Kraft hätte er schon noch, aber die Fingerkuppen brennen vom Kontakt mit den rauen Kunststoffgriffen, an denen der junge Somalier gerade so gelenkig und flüssig hochgeturnt ist, als wäre er längst Stammgast in der "Boulderwelt West". Über bewegungshungrige Naturtalente können Konrad Meinl und Max Müller fast jeden Freitag staunen, wenn sie hier mit Flüchtlingen aus der zehn Gehminuten entfernten Freihamer Unterkunft bouldern gehen.

Wie sonst höchstens noch die "Weltsprache" Fußball eignet sich das seilfreie Kurzstreckenklettern für ein sportliches Integrationsprojekt - aus den selben Gründen, warum es seit Anfang des Jahrzehnts hierzulande boomt: So hart die Profis auch trainieren, so ausufernd sie über ihre Bewegungsrätsel fachsimpeln, so "voraussetzungsarm" sei zunächst der Einstieg, erklärt Meinl: Es genügen ein Paar Leih-Kletterschuhe und der Hinweis, dass ein Boulder-"Problem", also eine Route, aus jeweils gleichfarbigen Griff- und Trittelementen besteht. Der Rest ist Ausprobieren und Nachmachen. Sprachbarrieren spielen an der Wand keine Rolle, die Grundtechniken lassen sich sowieso am besten mit Händen und Füßen erklären. Nicht jeder muss gleich so durchtrainiert einsteigen wie jener junge Afghane, der in Kabul auf dem Bau gearbeitet hat und kürzlich mit seiner Fitness alle beeindruckte. Gerade an diesem Freitagnachmittag zeigt sich vielmehr: Bouldern ist gerecht. Saddam aus Somalia ist groß, schlaksig und gelenkig, sein Kollege Mohammed aus Afghanistan eher bullig und kräftig gebaut. Wahidullah, auch er Afghane, ist einen guten Kopf kleiner als die beiden anderen, aber er ist damit nur scheinbar im Nachteil, schließlich zählen im Überhang oft die günstigeren Hebelverhältnisse.

Als Boulderwelt-Kenner finden die beiden Betreuer für jeden das passende "Problem". Frustriert oder gelangweilt ist noch niemand heimgegangen, seit Konrad Meinl das Projekt im Sommer startete. Auf dem Weg von seiner Wohnung am Westpark ins alte Aubinger Bahngelände, wo die Boulderwelt vor zwei Jahren in einem Backsteinbau eröffnete, war der 25-jährige Jurastudent immer wieder an den Wohncontainern vorbeigekommen. Seine Idee für einen Bouldertreff mit den Bewohnern nahmen die Sozialarbeiter der Einrichtung umso dankbarer auf, als das riesige Neubaugebiet ansonsten nicht mit Freizeitmöglichkeiten glänzt. Mit Kletterkumpel Max Müller, der mit 26 kurz vor dem Medizin-Staatsexamen steht und regelmäßig aus Nordschwabing hierher kommt, fand sich schnell ein Unterstützer - schließlich treffen oft sieben oder mehr Kletterer zusammen. Im Schnitt sind es um die fünf.

Die Hallenbetreiber unterstützen das Projekt, indem sie unabhängig von der Teilnehmerzahl den Gruppentarif von fünf Euro berechnen. Richtig in Schwung kam die Sache aber erst, als sich die "Bürgerstiftung München" als Sponsor einschaltete und seither den für die Flüchtlinge nicht unerheblichen Beitrag übernimmt.

Das ist nur eine von mittlerweile 250 Flüchtlings-Patenschaften. Das Prinzip dabei: Bürger geben Zeit, Fachkenntnisse und ansteckende Begeisterung, die Stiftung übernimmt beispielsweise MVG-Tickets oder Eintrittsgelder. Die Paten helfen bei Amtsgängen oder mit Babysitting. Vielfach geht es um Freizeitangebote, auf jeden Fall um geteilte Lebenszeit und Lebensfreude und nicht um Selbstaufopferung, oder darum, sich als Helfer-Profi aufzuspielen: "Ich sehe mich nicht als Sozialarbeiterin", bringt es Serena Widmann auf den Punkt, die seit fünf Jahren Ankommende in der Bayernkaserne unterstützt und mit der Stadt vertraut macht, womit sie als Pionierin der Flüchtlingshilfe in München gelten kann. Wer sich informieren-, das Patenschafts-Projekt unterstützen und/ oder mit Flüchtlingen und Aktiven feiern will, ist eingeladen zu einer Projekt-Gala, die an diesem Montag um 18 Uhr im "Einstein Kultur", Einsteinstraße 42, beginnt. Neben einem bunten Kulturprogramm wird ein Film über die Patenschaften gezeigt. Der Eintritt ist frei.

"Boulderwelt West": Vorherige Anmeldung, vor allem bei Gruppen, erwünscht. Kontakt: buero@buergerstiftung-muenchen.de oder Telefon 20 23 81 11.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: