Krieg in der Ukraine:Wie es Geflüchteten aus der Ukraine in München geht

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4. März 2022: Am Münchner Hauptbahnhof stehen Mitarbeiterinnen der Caritas, um Geflüchtete aus der Ukraine zu empfangen. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Vor einem halben Jahr trafen die ersten Menschen aus dem Kriegsgebiet am Hauptbahnhof ein. Inzwischen sind 15 000 offiziell in der Stadt gemeldet. Die nächste Herausforderung für das Sozialreferat steht unmittelbar bevor.

Von Thomas Anlauf

Erschöpfte Mütter sitzen im Hauptbahnhof auf ihren hastig gepackten Taschen oder Koffern, kleine Kinder laufen nach der langen Bahnreise durch die Halle, um sich etwas zu bewegen. Es ist Anfang März, der Angriffskrieg auf die Ukraine ist erst wenige Tage alt, da kommen auch schon Hunderte Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet in München an. In kürzester Zeit wird ein kleiner Willkommensschalter mit Getränken und ein bisschen Verpflegung aufgebaut. Die Menschen sollen schnell betreut und an einen sicheren Platz gebracht werden.

In einer ehemaligen Pizzeria im Bahnhofsgebäude sind Feldbetten aufgebaut, zu diesem Zeitpunkt gibt es dort nicht mal Strom, geschweige denn Waschmöglichkeiten. Und täglich werden es mehr Menschen, die vor dem Krieg flüchten. Dann, am Nachmittag des Freitag, 4. März, kommt die Nachricht vom Freistaat, München soll ab sofort die Betreuung für die Geflüchteten übernehmen. "Das war mitten in den Faschingsferien", erinnert sich Sozialreferentin Dorothee Schiwy. "Das war natürlich eine große Herausforderung."

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Das Sozialreferat stieß zunächst an seine Grenzen. "Wir mussten schnell Bettplätze schaffen und die Ankunft der Menschen organisieren", sagt Schiwy an diesem Dienstag, ein halbes Jahr nach Beginn dieser bis dahin nie dagewesenen Krisensituation. Innerhalb einer Woche wurde im Hotel Regent gegenüber dem Bahnhof ein erstes provisorisches Ankunftszentrum eingerichtet. Die Lage war zunächst unübersichtlich. Denn im Gegensatz zu 2015, als Tausende Geflüchtete vor allem aus Syrien und Afghanistan am Hauptbahnhof ankamen und hier Schutz suchten, reisten die meist weiblichen Geflüchteten, oftmals mit Kindern und sogar Haustieren, "aus allen Richtungen" an. Viele kamen zwar mit Zügen am Hauptbahnhof an, aber andere waren mit eigenen Pkw auf der Flucht vor dem Krieg, fuhren mit Reisebussen oder privat organisierten Hilfskonvois von der ukrainischen Grenze nach München oder kamen sogar mit Linienflügen hier an.

"Die Situation vor einem halben Jahr hat die Stadt München erstmal überfordert."

Zudem war lange nicht klar, wie viele Menschen aus der Ukraine tatsächlich in München angekommen waren, schließlich können sie als Touristen einfach in Deutschland einreisen, ohne sich zunächst registrieren zu lassen. Die Münchner Freiwilligen und andere Hilfsorganisationen sowie Wohlfahrtsverbände vermittelten Zimmer und Wohnungen, sodass die Menschen zunächst in keiner Statistik auftauchten. "Die Situation vor einem halben Jahr hat die Stadt München erstmal überfordert", sagte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) am Dienstag bei einer Pressekonferenz im neuen Ankunftszentrum für ukrainische Geflüchtete an der Dachauer Straße.

Seit Ausbruch des Krieges sind in München 15 500 Geflüchtete aus der Ukraine gemeldet, genau so viele Menschen, wie zwischen 2014 und 2018 in der Stadt Asylanträge gestellt haben. Die Sozialverwaltung traf die Ankunft von insgesamt etwa 60 000 Ukrainerinnen und Ukrainern mit voller Wucht, auch weil die Mitarbeiter bereits seit zwei Jahren im Ausnahmezustand wegen der Corona-Pandemie und deren Folgen gearbeitet hatten. Gerhard Mayer, Leiter des Amts für Wohnen und Migration, gelang es mit Unterstützung von Berufsfeuerwehr und Mitarbeitern anderer Referate, innerhalb kürzester Zeit Tausende Betten zur Verfügung zu stellen. Die Belegung von Schulturnhallen konnte da nur ein kurzfristiger Behelf sein, Anfang März hatte das Sozialreferat nur 270 freie Plätze in dezentralen Unterkünften, bis kommendes Jahr sollen 4500 längerfristige Bettplätze entstehen, so Mayer.

Lediglich sechs Ukrainisch sprechende Dolmetscher gab es

Auch an anderen Zahlen ist die enorme Herausforderung für das Sozialreferat ersichtlich. Beim Ausbruch des Krieges standen lediglich sechs Ukrainisch sprechende Dolmetscher zur Verfügung, mittlerweile sind es 100. Unter den Geflüchteten sind auch viele Kinder, Jugendamt und Polizei überprüfen bei der Registrierung, die nun im neuen städtischen Ankunftszentrum in den ehemaligen Räumen des Goethe-Instituts stattfindet, ob die mitreisenden Kinder mit den leiblichen Eltern auf der Flucht waren oder ob diese wenigstens glaubhaft machen können, dass die Erwachsenen die Kinder und Jugendlichen betreuen dürfen.

Unbegleitete Minderjährige sind erstaunlich wenige in München angekommen. Laut Sozialreferentin Schiwy sind es insgesamt 167 Jugendliche, die im Young Refugee Center untergebracht sind oder bereits in andere Landkreise oder Bundesländer verlegt worden sind. Vor allem nach Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg werden ukrainische Geflüchtete vom Ankunftszentrum weitergeleitet. Dort an der Dachauer Straße sollen die Menschen lediglich registriert werden, wer spät in München ankommt, findet hier auch einen Schlafplatz, in der Regel reisen die Menschen dann vom Ankunftszentrum kostenlos mit der Bahn auf eigene Faust in ihren ermittelten Zielort.

Die Situation habe sich mittlerweile beruhigt, und "wir sind jetzt in ruhigerem Fahrwasser", sagt Claudia von Stransky vom Jugendamt. Täglich kommen noch zwischen 20 und 40 ukrainische Geflüchtete im Ankunftszentrum an. Dennoch warnt Sozialreferentin Schiwy davor zu glauben, dass bald alles besser werde. "Wir gehen davon aus, der der Krieg noch nicht so schnell vorbei sein wird", sagt sie. Viele Menschen aus der Ukraine würden sich vorerst auf ein Leben in München einstellen. Die nächste Belastungsprobe für das Sozialreferat steht bereits bevor: "Wir sehen mit großer Sorge der Energiekrise entgegen."

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