Geflüchtete und Helfer erzählen:Deutsch pauken mit Paten

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Geflüchtete sollen beim Unterricht, der vom Malteser Hilfsdienst angeboten wird, mit Symbolwürfeln Geschichten erzählen. Und in einigen Münchner Stadtvierteln tobt der Streit um die gerechte Verteilung von Containerunterkünften. (Foto: Catherina Hess)

Mehrere Zehntausend Geflüchtete hat München seit 2015 aufgenommen. Zuletzt kamen viele aus der Ukraine. Wer sind diese Menschen, und wer hilft ihnen, sich einzufinden ins Leben hier?

Von Benjamin Probst

Mehr als 60 000 Geflüchtete in Oberbayern, überforderte Kommunen - Zahlen, Fakten und auch politische Diskussionen, bei denen die einzelnen Personen und ihre Schicksale blass bleiben. Wer sind die Menschen, die in München ankommen? Sie sind aus Kampfgebieten geflohen, zu Fuß über Berge gelaufen und kommen in der deutschen Bürokratie an. Viele Ehrenamtliche sind in der Landeshauptstadt aktiv, um Geflüchtete bei Sprachkursen, Integration und Arbeitssuche zu unterstützen. Vier Geschichten über Flucht und Hilfsbereitschaft.

Matin Rasoli: Der Kampf mit dem Amt

Als sich 2015 viele Menschen auf den Weg nach Deutschland machten, war Matin Rasoli einer von ihnen. Seit 2016 ist er in München. Er hat viele Hindernisse überwunden: zu Fuß und ohne Essen und Trinken über die iranischen Berge, mit Schleusern über verschiedene Grenzen und mit dem Boot über das Meer. Nach der Flucht aus der afghanischen Provinz Lugar kam das nächste Hindernis: ein jahrelanger Ritt durch die deutsche Bürokratie. Wenn es um Formulare und Ämter geht, spricht Rasoli, Anfang 30, schneller, regt sich auf, scherzt aber auch mal.

Zum Beispiel beim Führerschein: Weil seine Duldung noch in Bearbeitung war, fehlten ihm Dokumente, um zur Theorieprüfung anzutreten. Oder bei der Berufsschule: Seinen Ausbildungsplatz als Krankenpflegehelfer kündigte er, weil er drei Lehrjahre gebraucht hätte, um vor einer Abschiebung sicher zu sein, erklärt er. Mit seinem abgelehnten Asylantrag erschien ihm die Ausbildung beim Bio-Supermarkt Basic attraktiver als das lediglich einjährige Programm im Krankenhaus.

Für die Berufsschule suchte er einen Nachhilfelehrer, den er in Florian Bohle fand. Er wolle gerne direkt mit einem Menschen zu tun haben, anstatt nur regelmäßig an das SOS-Kinderdorf zu spenden, erklärt Bohle. Der 32-jährige studierte Betriebswirt und selbständige Unternehmer hat schon zu Schulzeiten Nachhilfeunterricht gegeben. "Matin ist jemand, der lernen wollte, deswegen hatte ich einen recht dankbaren Job", meint er. In der Zeit vor den Abschlussprüfungen haben die beiden oft fünfmal die Woche gemeinsam gelernt. Auch bei amtlichen Angelegenheiten gab Bohle Hilfestellung. Man erreiche die Ämter fast nicht, sagen beide. Auch als Muttersprachler habe er oft nachfragen müssen, wenn es um juristische Fachbegriffe gegangen sei, sagt Bohle.

Inzwischen ist Rasoli in Deutschland geduldet. So konnte er im vergangenen August endlich in eine eigene Wohnung ziehen. Zuletzt hatte er mit Bohle auf die theoretische Führerscheinprüfung gelernt, die er nun auch erfolgreich abgelegt hat. Mit Ausbildung, Wohnung und Führerschein kommt er immer besser an im neuen Leben.

Natalia Inshyna: Mit Kindern in die neue Heimat und den Sprachkurs

Natalia Inshyna (rechts) aus der Ukraine und ihre Kinder werden von Anja Döring beim Deutschlernen unterstützt. (Foto: Catherina Hess)

Natalia Inshyna hatte sich in der ukrainischen Stadt Charkiw gut eingerichtet: ein kleiner Laden mit Kinderbekleidung und Spielsachen, eine eigene Wohnung mit ihrem Mann und den zwei gemeinsamen Kindern. Aber nach einem halben Jahr kommt der Krieg. Zehn Tage halten sie es in der fast eingekesselten Stadt aus, dann entscheidet sich die 43-Jährige, Charkiw zu verlassen. Die Kinder kann sie mitnehmen, ihr Mann bleibt in der Ukraine zurück. Sie hat eine Freundin in München. Dort will sie hin. Und tatsächlich nimmt eine Familie sie dort für neun Monate auf.

Im vergangenen November haben die drei dann eine eigene Wohnung gefunden. Der 18-jährige Sohn Konstiantyn will eine Ausbildung zum Elektroniker machen, Natalia Inshyna arbeitet in einer Konditorei. Sie kann ihre Gespräche inzwischen größtenteils auf Deutsch führen.

Vor allem das direkte Sprechen und Zuhören helfe, sagt sie. Dafür trifft sie sich seit August vergangenen Jahres mit der Ehrenamtlichen Anja Döring. Die 48-jährige Rechtsanwältin hatte bereits während Corona den Wunsch, als Sprachpatin aktiv zu werden. Als sich im vergangenen Sommer die Infektionslage entspannte, wagte sie dann endlich den Schritt und betreute zunächst ukrainische Kinder - an der Schule, an der sie einst selbst ihr Abitur abgelegt hatte. Viele der Übungen, die sie dort kennengelernt hat, macht sie jetzt mit Inshyna und ihren Kindern. Sohn und Tochter sind bei den Treffen fast immer dabei. Sie seien ein gutes Team, sagt Döring.

Dank der heiteren Übungen werden die Altersunterschiede überwunden. Meist müssen anhand von Symbolwürfeln Geschichten erzählt werden. Die zwölfjährige Tochter wird spielerisch mitgenommen, und der schnell lernende Sohn wird gefordert. Er muss seine Geschichten in den verschiedensten Zeitformen erzählen, damit er es nicht zu einfach hat.

Mittlerweile möchte Inshyna nicht mehr nach Charkiw zurück, auch wenn der Krieg endet. Sie habe München und die Leute, die ihr geholfen haben, lieb gewonnen, sagt sie. Ende Mai legen Insyhna und ihr Sohn die B1-Deutschprüfung ab, mit der beide ein mittleres Sprachniveau erreichen. Die Treffen mit Döring werden damit aber wohl nicht enden, denn die wöchentlichen Stunden sind Teil des Familienalltags geworden.

Sarkawt Palani: Nach dem Studium zurück in die Ausbildung

Sarkawt Palani lernt mit Ina Markowitz für seine Pflegeausbildung. Am Ende sollen seine irakischen Bachelor-Abschlüsse anerkannt werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Viele Kollegen aus seiner Heimat im Nordosten des Irak haben ihn nicht verstanden: Wieso bleibe er in Deutschland, wenn doch sein Abschluss dort nicht akzeptiert werde? In den USA gäbe es viel bessere Chancen. Der heute 37-jährige Sarkawt Palani kam nach Deutschland, weil es hier sicher ist und will auch deswegen hier bleiben. Im Irak erlebte er Stromausfälle, Korruption, Bewaffnete in den Hörsälen und hatte am Ende 20 000 Dollar für geleistete Arbeit nicht ausbezahlt bekommen. Zu den anderen Gründen seiner Flucht schweigt er, um andere zu schützen. Nur wenige Wochen nach Beginn seines Masterstudiums geht er also 2019 nach Deutschland.

Zu diesem Zeitpunkt hat er eine beachtliche Ausbildung: einen Bachelor-Abschluss in Krankenpflege, mehrere Jahre Erfahrung als Dozent an der irakischen Universität in Suleimania, Weiterbildungen in der Türkei und praktische Erfahrung auf verschiedenen Krankenhausstationen. In Deutschland sitzt er aber erst mal in der Unterkunft für Geflüchtete fest. Das Einzige, was ihm bleibt, ist, in der Unterkunft bei Medizinfragen zu übersetzen - auf Englisch, denn seine Anträge auf Deutschkurse werden zweimal abgelehnt. Bis heute verstehe er nicht, wieso man ihn nicht habe lernen lassen, sagt Palani.

Erst nach einem Jahr darf er einen Kurs mitsamt B1-Prüfung besuchen. Über eine städtische Beratungsstelle kommt er mit den Maltesern und so mit der Anästhesistin Ina Markowitz in Kontakt. Die Malteser organisieren eine Ausbildungsstelle im Krankenhaus Dritter Orden und Markowitz, Mitte 50, hilft ihm, für die Ausbildung zu lernen. Als Russland die Ukraine angriff, habe sie zunächst bei einer Notunterkunft für Ukrainer geholfen, erzählt Markowitz. Zu einem Termin mit Palani habe man sie erst überreden müssen, gibt sie zu. Eigentlich wollte sie sich im vergangenen Sommer etwas zurücknehmen. "Beim ersten Treffen mit Sarkawt hat es dann aber direkt gepasst", erzählt sie. Inzwischen kennt Palani auch Markowitz' Familie, und die beiden waren das ein oder andere Mal im Biergarten.

Da Krankenpfleger im Irak auch ärztliche Aufgaben übernähmen, reiche Sarkawt Palanis Wissen teilweise über ihres hinaus, sagt Markowitz. Bei Schachtelsätzen und Wortungetümen wie "Choledochojejunostomie" - einer Operation, um Galle in den Dünndarm zu leiten - brauche es dann aber doch noch etwas Unterstützung.

Obwohl sein Asylantrag 2022 abgelehnt wurde, ist der 38-Jährige aufgrund der Ausbildung inzwischen "gestattet". Im Mai darf er endlich zur Prüfung im Dritten Orden antreten. Er hat nur diese Chance, damit seine Qualifikationen aus dem Irak als Krankenpfleger anerkannt werden - einmal kann er die Prüfung wiederholen.

Liliana Babenkova: "Der Körper ist in Deutschland, das Herz in der Ukraine"

Irena Werner und Liliana Babenkova treffen sich einmal pro Woche. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Eigentlich wollte die Ukrainerin Liliana Babenkova seit ihrer Jugend in der Sowjetunion im Ausland leben und arbeiten. Da sie in der Ukraine aber ihre große Liebe und späteren Ehemann fand, sei sie dort geblieben, erzählt die 56-Jährige mit einem Lächeln auf den Lippen. Vor vier Jahren sei dann ihr Mann gestorben und danach der Krieg gekommen. Sie floh wie Natalia Inshyna am 5. März aus Charkiw. Auf den vereisten Straßen, die aus der Stadt herausführten, seien mehrmals Autos zusammengestoßen und es habe immer wieder Luftalarm gegeben. Mit stockender Stimme beschreibt sie ihre Flucht als "wirklich schrecklich".

Obwohl Deutschland als Fluchtziel gewählt war, seien sie und ihre 84-jährige Mutter ins "Nichts", ins Unbekannte, gefahren, erinnert sie sich. Die Hilfsbereitschaft habe sie überrascht. Immer wieder bedankt sie sich bei ihren Helferinnen und Helfern.

Ihre neueste Unterstützerin ist Irena Werner, mit der sich Babenkova zum Deutschlernen trifft. Werner ist nur ein Jahr jünger als Babenkova. Die gebürtige Polin hat zu Ostblockzeiten Germanistik studiert und lebt seit Langem in Deutschland. Jetzt, wo ihre Kinder allmählich die Schule beenden, hat sie sich für Babenkova Zeit genommen. Einen Abend pro Woche sitzen sie also in der Stadtbibliothek und lernen für den Deutschkurs. Mehr Zeit sei leider nicht drin, meint Werner.

Eigentlich wollen sie sich ausschließlich auf Deutsch unterhalten. Weil beide aber auch Russisch sprechen, wird bei schweren Fragen dann doch das ein oder andere Mal die Sprache gewechselt. "Liliana, du kannst das schon besser", motiviert Werner Babenkova immer wieder.

Babenkovas Ziel ist es, die B1-Deutschprüfung abzulegen und dann eine Arbeit zu finden. Auf die Frage, ob sie in die Ukraine zurückkehren will, wird Babenkova nachdenklich. Eigentlich will sie hierbleiben, solange der Krieg tobt. Vielleicht ihren Sohn besuchen, der mit den Enkelkindern in der Ukraine geblieben ist. Sie ist zwischen ihrer Heimat, in der sie ihr ganzes Leben aufgebaut hat, und dem sicheren Deutschland hin- und hergerissen. "Der Körper ist in Deutschland, das Herz in der Ukraine", sagt sie.

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