München:Faszination Bühne

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Münchner Schüler studieren unter Anleitung von Schauspielern und Profi-Musikern eigene Inszenierungen ein. Das Publikum zeigt sich bei der Präsentation der zweijährigen "Tusch"-Partnerschaften begeistert

Von Helena Ott, München

Im Licht der tiefblauen Scheinwerfer sind die Darsteller auf der Bühne kaum zu erkennen. Stimmen erheben sich: "Wann fängt die Zukunft an? Kann ich meinen Freunden vertrauen? Ist Weltfrieden möglich? Wie viel können wir verstehen?". Fragen über Fragen, sie überschlagen sich, bis nur noch lautes Stimmengewirr zu hören ist. Dann eine kurze Tanzsequenz, asynchron und ungebändigt, zu den Zeilen von Beyonce "It's so crazy right now". Die Schüler der Anita-Augspurg-Berufsoberschule (BOS) zeigen zum ersten Mal ihr Stück "Wat se Fuck - Oder das glückliche Huhn" vor Publikum.

Die Darsteller gehören zu einer von sieben Schülergruppen, die zeigen, was sie in einem Jahr Theaterworkshop auf die Beine gestellt haben; angeleitet werden sie von professionellen Schauspielern von Münchens Bühnen. Das große Event in der Turnhalle der Grundschule Blumenauer Straße ist die Jahrespräsentation der zweijährigen "Tusch"-Partnerschaften; Tusch steht für "Theater und Schule". Fünf Münchner Theaterhäuser kooperieren mit Schulen unterschiedlicher Ausprägung und führen Jugendliche aller Altersstufen an die Bühnenarbeit heran.

Blaues Wunder: Die Schüler der Mittelschule an der Walliser Straße agierten auf der Bühne während ihres Auftritts wie die Profis. (Foto: Catherina Hess)

Die Theatergruppe der Berufsoberschule betreuen Eli Wasserscheid und Philipp Moschitz vom Metropoltheater. "Wir haben von Eli und Philipp hauptsächlich gelernt, mutig und selbstbewusst zu sein", erklärt die BOS-Schülerin Elisabeth Beier. Sie hätte nicht gedacht, dass das Stück einmal so stark auf das Publikum wirken könnte - in den Zuschauerreihen ein fasziniertes Auditorium. Ohne sperriges Bühnenbild, fast ohne Kostüme und Requisiten kommt die Gruppe aus. Jede der zweiminütigen Sequenzen rüttelt satirisch überhöht an gesellschaftlichen Ungereimtheiten wie Fremdenfeindlichkeit, skurrile TV-Castings und übermäßigem Handykonsum. Zum Beispiel ein Sketch über die Kennenlern-App "Tinder", der zeigt, wie verrückt es ist, dass unzählige App-Nutzer ihre Partner mit stoischem Wischen auf dem Display suchen.

Die Schüler tanzen und spielen sich durch verschiedenste Theaterelemente; auch ein Poetry Slam gehört dazu. Stephen Obu steht - umringt von seinen sitzenden Mitschülern, grell von ihren Displays angeleuchtet -, auf der Bühne: "Trotzdem sind wir ständig am Telefon, anstatt mal mehr zu reden, das Handy auszuschalten, sich gegenseitig auszuhalten und nach Liebe streben". So lautet eine Zeile des selbst geschriebenen Slam-Textes.

Aber damit nicht genug, auch die Schüler der sechs anderen Schulen geben vor dem Turnhallenpublikum alles: Die vielfältigen Theaterkreationen zeigen, was man durch Disziplin und mit der Hilfe professioneller Trainer schaffen kann. Die zentrale Organisation von Tusch München liegt in Händen von Ilona Herrmann vom Pädagogischen Institut München. Aber wie die Schulen und Theater ihre Partnerschaften inhaltlich ausgestalten, entscheiden sie in Eigenregie.

Harte Arbeit: Große Disziplin und viel Fleiß führten beim Auftritt zum Erfolg. (Foto: Catherina Hess)

Bei der Jahrespräsentation dabei ist auch die dritte Klasse der Grundschule Blumenauer Straße. Mit Trainerin Jana Linzmeier vom Staatstheater am Gärtnerplatz hat sie eine "Peter Pan"-Inszenierung einstudiert. Das Stück mündet im Kampf um die Insel, dargestellt durch einen wilden Tanz. Auf der einen Seite der gefürchtete Käpt'n Hook und seine Piraten, auf der anderen Seite Peter Pan samt seiner Freunde und den mit ihm verbündeten Indianern. Zusätzliche Dynamik geben die schnellen Klavierstücke von Ines Aigner mit bekannten Soundtracks aus dem Fantasyfilm "Fluch der Karibik".

Die acht Gruppen der Ludwig-Thoma-Realschule zeigen ihr Theaterprojekt rund um das Thema Zukunft in einer Videodokumentation. Unter Anleitung eines mehrköpfigen Teams der Münchner Kammerspiele probten alle 86 Schüler der neunten Jahrgangsstufe obskure Szenen zu Labor-Erdbeeren oder dem vermeintlichen Traumjob. Bei nachfolgender Präsentation wummert der Bass durch die Halle. Von der Resonanz selbst zusammengebauter Cachons, Kunststofffässern und Regenmachern der Gruppe "Rhythm and Dance" vibriert der Hallenboden. Trainiert wird die Percussion-Tanz-Gruppe vom Coach-Duo "Double Drums", ebenfalls vom Staatstheater am Gärtnerplatz.

Nach der Pause muss sich das Publikum entscheiden: Die Projektpräsentationen gehen, in drei Räume aufgeteilt, weiter. Wer Lust hat, in das Geschehen auf der Bühne aktiv einzugreifen, schaut sich die Impro-Gruppe "Snaps" vom Fürstenrieder Gymnasium, an. Betreut wird sie seit einem Jahr durch das Tatwort Improvisationstheater. Angelehnt an Arthur Millers "Hexenjagd" vom Residenztheater, setzt sich die Theater-AG des Theresia-Gerhardinger Gymnasiums in ihrem Stück mit Ungerechtigkeit und Lügen auseinander. Für die Schüler vom Albert-Einstein-Gymnasium ist es keine Premiere: Sie konnten mit ihrem Stück "Projekt 1" in der Pasinger Fabrik und beim Schultheaterfestival schon Bühnenerfahrung sammeln: ihr Partner sind die Münchner Kammerspiele.

© SZ vom 29.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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