München:Experiment im laufenden Betrieb

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Ulf Frenzel lädt den Elektro-Lkw. Der Laster kostet etwa das Zweieinhalbfache eines Diesel-Lastwagens. (Foto: Robert Haas)

Um weniger Lärm und Schadstoffe zu erzeugen, setzt BMW in München einen ersten Elektro-Lkw ein - zu Verzögerungen darf es dabei nicht kommen

Von Marco Völklein, München

Natürlich fällt Ulf Frenzel auf mit seinem Truck. Zwischen all den bulligen 40-Tonnern, die gerade entladen werden in der Anlieferzone auf dem Werksgelände von BMW in Milbertshofen. Lenkgetriebe hat Frenzel geladen; auf den anderen Lastwagen stapeln sich große Kisten mit Motoren oder Paletten mit Karosserieteilen. Arbeiter sausen mit Gabelstaplern heran, wuchten die Lasten von den Anhängern. "Schleppen kann der genauso viel wie die anderen", sagt Frenzel, Fuhrparkleiter beim Logistikdienstleister Scherm, und deutet auf seinen Lastwagen. Der Truck sieht nur deutlich anders aus.

Dort wo bei den anderen Lastern ein bulliges Fahrerhaus thront, haben die Ingenieure eine schmale Kabine mit viel Glas vorgesehen. Breite Stufen führen hinauf. "Alles möglichst auf Ergonomie getrimmt", sagt Frenzel. Die großen Fenster bieten eine gute Sicht, über die breiten Stufen kommt der Fahrer rasch und bequem nach links wie nach rechts direkt zum Anhänger. Der wichtigste Unterschied aber versteckt sich kurz vor der Hinterachse des Sattelschleppers. Wo bei den wuchtigen Trucks die großen Dieseltanks hängen, haben die Ingenieure bei Frenzels Laster schwere Batterien verbaut. Denn sein Truck fährt zu 100 Prozent elektrisch.

Auf dem Feld schwerer Lkw ist das nahezu einzigartig. Anfang Juli haben BMW und der Logistikdienstleister den E-Laster auf die Straße gestellt. Acht Mal täglich pendelt er zwischen dem Scherm-Lager in der Wilhelmine-Reichard-Straße und dem Autowerk. Weil auf dem beengten Werksgelände kaum Platz ist für Lagerhallen, hat BMW diese Aufgaben ausgelagert. Bei Scherm werden die Teile in einer großen Halle vorsortiert und dann direkt ans Band geliefert. Der Fachmann spricht dabei von der "Just in Sequence"-Produktion: Wenn ein gelber BMW produziert werden soll, muss Frenzel den gelben Kotflügel auf seinem Truck haben. "Anders geht es nicht", sagt BMW-Logistikleiter Frank Bühler.

Und weil alles so eng getaktet ist, pendeln ständig schwere Lkw zwischen der großen Scherm-Halle und dem BMW-Werk hin und her. Das Pilotprojekt mit dem E-Truck soll ausloten, ob dies künftig nicht auch mit deutlich weniger Abgasen möglich ist. Und mit deutlich weniger Lärm. Gut möglich sei es, sagt BMW-Mann Bühler, dass auch andere Lieferanten irgendwann auf E-Lkw umsteigen. Der Konzern jedenfalls wolle den CO₂-Ausstoß senken. Auch und gerade in der Logistikkette.

Noch allerdings steht das Projekt eher am Anfang. Der E-Truck des niederländischen Herstellers Terberg schafft zwar 40 Tonnen. "Das war auch Bedingung", heißt es bei Scherm, schließlich müssen große Lasten transportiert werden. Auch die Reichweite, die der Hersteller mit 100 Kilometern angibt, reicht für die drei Kilometer lange Strecke im Münchner Norden zwischen der Sortierhalle und dem Werk. Das Tempo aber ist auf 40 Stundenkilometer gedrosselt. Das genügt für die Stadt, aber für lange Strecken tauge der Truck nicht, sagen sie bei Scherm. Vor allem die schweren Batterien sind das Problem: Man könnte zwar einen Lkw mit so vielen Akkus vollstopfen, dass er auch lange Strecken absolviert. Nur bleibt dann kaum mehr Nutzlast übrig für die Ladung.

Das Problem kennt die gesamte Branche, nicht nur bei den schweren Lkw: Auch Paketdienstleister wie DPD, die Post oder UPS experimentieren zwar mit Elektroantrieben in Liefer-Lkw bis zu 3,5 Tonnen Gesamtgewicht. Zu einem flächendeckenden Einsatz kam es aber bisher nicht. So lässt UPS von seinen zwei Niederlassungen im Münchner Umland zwar jeden Tag mehr als 150 Lieferlaster zu Paketkunden ausschwärmen, aber davon ist nur einer mit Elektromotor unterwegs. "Neben der beschränkten Reichweite", sagt Peter Rey von DPD, "sind Gewichtsbeschränkungen die größte Herausforderung."

Ganz abgesehen davon, dass die Stromer teurer sind als Lkw mit herkömmlichem Antrieb. Die Leute von Scherm zum Beispiel haben gut 250 000 Euro für ihren E-Truck gezahlt, ein Diesel-40-Tonner steht mit 100 000 Euro in der Liste. Dennoch lassen sie den Stromer nun laufen. "Wir probieren das jetzt aus", sagt Werkslogistiker Bühler. Aber nur unter einer Bedingung: "Der Lkw muss technisch durchhalten." Ausfälle könne sich BMW nicht leisten. "Wir benötigen die Teile im Werk." 30 Minuten Pufferzeit gewährt er den Scherm-Leuten allerhöchstens. Mehr sei nicht drin. "Andernfalls", sagt Bühler, "steht die Fabrik."

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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