München:Endlich in Sicherheit

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Der Sozialdienst katholischer Frauen bietet an der Verdistraße Frauen mit Kleinkindern ein Obdach auf Zeit, bis sie eine Sozialwohnung gefunden haben

Von Ellen Draxel

Lina ist erst ein paar Wochen alt. Sie wird heiß geliebt, war ein Wunschkind - obwohl sie der Grund dafür ist, dass ihre Mama jetzt ohne Wohnung dasteht. Aber um nichts in der Welt hätte Janine Z. sich gegen ihr Baby entschieden. Ihr Freund, den sie seit fünf Jahren kannte und für den sie extra aus Niederbayern nach München zog, setzte die junge Frau vor die Tür, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Das Paar hatte zwar über Kinder geredet. Aber für den Vater kam das Elternsein noch nicht in Frage.

Seit zwei Monaten lebt Janine Z. deshalb nun in einem sogenannten Beherbergungsbetrieb des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) an der Verdistraße. Das Haus ist ihre zweite Station, zuvor hatte man sich im Frauenobdach Karla 51 um sie gekümmert. Die Unterkunft in Obermenzing nimmt ausschließlich Schwangere und Frauen mit kleinen Kindern bis maximal vier Jahren auf, das Heim eröffnete im Juni. Zuvor gab es für diese Zielgruppe kein spezielles Haus. "Lieber wohne ich jetzt hier, als dass ich eine Sekunde ohne Lina bin", betont die 21-Jährige immer wieder.

Lina, im Arm ihrer Mutter Janine, hat ein Zuhause gefunden. (Foto: Catherina Hess)

Janine Z. ist keine durchschnittliche Heim-Bewohnerin: Sie verfügt über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Altenpflegerin, hat einen Job und besitzt einen Führerschein. Aber als Alleinerziehende mit geringem Verdienst kann sie sich in München keine Wohnung auf dem freien Markt leisten. "Dafür sind die Preise zu hoch." Eine Sozialwohnung bekam sie bislang keine, obwohl sie sich seit Monaten darum bemüht. Und zurück nach Niederbayern möchte sie nicht, dort würde sie sich fehl am Platze fühlen. Die junge Mutter ist Halbwaise, sie wurde von ihrer Ur-Oma erzogen, die vor drei Jahren verstarb. Und ihr Vater hat inzwischen eine neue Familie gegründet.

Im Gegensatz zu Janine Z. hat Sandra O. eine Familie in München, eine Mutter und drei Schwestern. Aber in der Pension, in der ihre Verwandten leben, ist kein Platz mehr für sie und ihre inzwischen einjährige Tochter Annabella. Sandra O. ist gebürtige Nigerianerin, hat lange in Italien und anschließend in Deutschland gelebt. Sie will mit dem Vater von Annabella zusammenziehen, sobald er oder sie eine Wohnung gefunden haben.

Das sind zwei Beispiele von vielen in München. Rund 8900 Menschen sind, Stand Oktober, in der bayerischen Landeshauptstadt derzeit akut wohnungslos. Darunter 376 alleinstehende Frauen ohne Kinder und 304 mit bis zu sechs Kindern. Besonders alarmierend ist die Zahl der wohnungslosen minderjährigen Kinder, sie liegt bei 1678. Innerhalb der vergangenen acht Jahre hat sie sich mehr als vervierfacht, Tendenz steigend.

Die kleine Annabelle ist endlich in einem sicheren Zuhause (Foto: Catherina Hess)

Wohnungslosigkeit, weiß Einrichtungsleiterin Eva Brunnemann, kann jeden treffen. "Manche der Frauen, die zu uns kommen, haben vorher noch bei ihren Eltern gewohnt, konnten da aber nicht bleiben, als sie schwanger wurden." So wie Sandra O. Andere, wie Janine Z., hatten Streit mit dem Partner. Andere wiederum verlieren ihr Zuhause aufgrund psychischer Erkrankungen: Bleibt das Gehalt aus, können irgendwann die gemieteten vier Wände nicht mehr bezahlt werden.

Auch Gewalt ist häufig eine der Ursachen dafür, dass Frauen Hilfe brauchen. "Ein Baby zu bekommen", erklärt Simone Ortner, die den Bereich Wohnungslosenhilfe beim SkF leitet, "ist in solchen Fällen für die Frauen oft ein Grund zu sagen, es reicht, ich gehe jetzt, ich muss mein Kind schützen." Einen Platz in der Herberge an der Verdistraße erhalten aber auch Frauen aus Gemeinschaftsunterkünften: Das Haus verfügt über 16 Zimmer für 16 Frauen und maximal zehn Kinder, für jede Bewohnerin gibt es zum Schutz der Privatsphäre eine eigene Toilette und eine eigene Dusche. "Frauen, die schwanger sind oder kleine Kinder haben", sagt Ortner, "sind in einer besonders verletzlichen Situation". In großen, von Männern dominierten Unterkünften litten werdende und junge Mütter häufig unter Stress und Angst, was meist auch die emotionale Bindung zu ihren Kindern beeinträchtige.

Sozialpädagogin Hannelore Nimz hilft in Obermenzing, wenn die Frauen Unterstützung bei der Beantragung des Kindergelds brauchen, Ämter besuchen oder zur Schwangerschaftsberatung gehen wollen. "Ganz wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit der Hebamme und der Kinderkrankenschwester." Vorrangigstes Ziel von Einrichtungsleiterin Brunnemann und Sozialpädagogin Nimz aber bleibt es, die Frauen wieder "in Wohnung zu bringen". Was hat zum Verlust der Wohnung geführt? Es gehört zu den zentralen Aufgaben der Betreuerinnen, die Ursachen dafür zu finden und die Probleme Schritt für Schritt zu lösen. In der Regel geht Nimz auch bei den Wohnungsbesichtigungen mit.

Damit die Frauen selbständig auf der städtischen Plattform "Sowon" eine Sozialwohnung suchen können, steht ihnen seit ein paar Tagen ein Computer zur Verfügung. Was noch fehlt, ist ein verschließbarer Schreibtisch dazu. Auch einen großen Gefrierschrank mit abschließbaren Fächern würde sich Brunnemann für die Bewohnerinnen wünschen. Und natürlich brauchen die Mütter eine Säuglings-Erstausstattung samt Babyfell und Kinderwagen, den sie mitnehmen können, sobald sie aus dem Haus an der Verdistraße in eine eigene Mietwohnung umziehen.

Janine Z. und Sandra O. hoffen, dass das nun bald der Fall sein wird. "Vielleicht", meint Linas Mama, "kommt mein Freund ja wieder zu Besinnung". Die Kleine hat er zumindest schon mal gesehen. Er war begeistert.

© SZ vom 27.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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