München:Ein netter, depressiver Abend

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Der Autor Rudi Stumberger und der Blues-Musiker Rusty Stone begeben sich im Kaffee Giesing "on the Road" mit Jack Kerouac. Mit ihrer beinahe bierernsten Hommage an das Kultbuch outen sich die Freunde als "öffentliche Melancholiker"

Von Jutta Czeguhn

Normalerweise sind alte Taschenbuchausgaben von Jack Kerouacs "On the Road" (deutsch: "Unterwegs") im wahrsten Sinne des Wortes Gebrauchsliteratur: abgelesen, zerfleddert, bekritzelt, mit Flecken auf den Seiten, über deren Ursprung man nicht einmal nachdenken möchte. Das Rororo-Büchlein, das Rudi Stumberger neben ein schwarz eingerahmtes Foto von Kerouac auf den Tisch gelegt hat, ist vergleichsweise gut beieinander. Dabei stammt es aus dem Jahr 1974. "Ich habe das gleiche", bemerkt Rusty Stone, nur finden könne er es grad nicht. Das wäre auch zu viel verlangt. Stones Aubinger Wohnung, in der er sich zusammen mit Stumberger auf ihren "Hey, Jack"-Abend an diesem Samstag im Kaffee Giesing vorbereiten, ist anheimelnd voll gestopft mit Gitarren (35!), CDS, Platten, Notenblättern. "Wozu brauchst du so viele Gitarren?", knurrt Stumberger vorwurfsvoll. "Du hörst dich an wie meine Mutter!", patzt Stone zurück. Dann erzittert der Raum von ihrem Lachen. So gehen zwei miteinander um, die sich seit über 40 Jahren kennen.

Sie waren zusammen auf der Schule: Rudi Stumberger, der "habilitierte Bildungsunfall aus dem Hasenbergl", wie er sich selbst beschreibt, heute Brille, schütteres Haar, Dreitagebart. Und Rusty Stone aus der Dachauer Straße, der damals noch nicht so hieß, aber diesen Musiker-Namen wohl schon irgendwie unter dem Herzen trug. Heute hat er immer noch halblange Haare, er trägt ein rotes Holzfällerhemd, die Unterarme sind tätowiert. "Wir haben uns nach der Schule Jahrzehnte nicht gesehen, bis wir uns irgendwann bei einem Konzert über den Weg gelaufen sind", erzählt Stumberger.

Kerouacs Grab in Lowell ist heute eine Pilgerstätte. (Foto: Stummberg/Münchner Pressebüro)

Sie sind beide Jahrgang 1956. Der Simon & Garfunkel-Song "Old Friends" kommt in den Sinn. Die Geschichte von zwei nicht mehr jungen Männern, die wie Buchstützen auf einer Parkbank sitzen und verwundert darüber sind, wie die Zeit verflogen ist. "Preserve your memories, they 're all that's left you ." Sich der Melancholie hingeben - Rudi Stumberger hat immerhin die Lizenz dazu. "Ich bin am 18. November zwischen Volkstrauertag und Totensonntag geboren", sagt er mit Totengräbermiene, und es gelingt ihm sogar, dabei ernst zu bleiben. Aber Selbstergriffenheit über depressive Befindlichkeiten permanent zur Schau zu tragen, nein, das würde den beiden dann doch zu weit gehen. Sie wollen ja schließlich niemanden langweilen mit ihrer Hommage an Jack Kerouac, die auch eine Persiflage sein soll.

Allerdings gibt Jack Kerouac schon einiges her für schwermütig verschattete November-Seelen. Er war einer der "Kings of the Beats" neben Allen Ginsberg und William S. Burroughs, jenen jungen Poeten, die das in Konformität erstickende Nachkriegsamerika aufmischten und mit einer anderen Sprache, einer anderen Sexualität und Spiritualität experimentierten. Kerouac, Jahrgang 1922, Sohn franko-kanadischer Einwander, war aber nie ganz Teil dieser New Yorker Boheme, so als plagte ihn ein schlechtes Gewissen, ob seiner einfachen Herkunft. Doch auch er trieb sich in den Jazz-Bars und Bebob-Kneipen herum, nahm Drogen, und vor allem trank, trank, trank. "On the Road", so geht die Legende, hat Kerouac in einem Rausch und Schreib-Fieber-Schub in nur zwölf Tagen auf 37 Meter einer Rolle Endlospapier in seine Schreibmaschine gedroschen.

Rusty Stone und Rudi Stumberger widmen dem Autor Kerouac einen Abend im Kaffee Giesing. (Foto: Florian Peljak)

Mit einer assoziativen Sprache und dem lakonischen Grundgestus schlug das Roadtrip-Abenteuer 1957 ein wie eine literarische A-Bombe. Und Kerouac wurde zum Star. Auf Youtube kann man TV-Schwarz-Weiß-Schnipsel aus jenen Jahren anschauen. Ein reichlich scheuer, James-Dean-hafter junger Mann wird da von altväterlichen Moderatoren vorgeführt wie ein seltsames, exotisches Tier. Ein paar Jahre später sieht man Kerouac dann als menschliches Wrack, aufgedunsen, oft volltrunken-lallend, hält da einer mit seinem Ekel über die Welt nicht zurück. Er führt ein antisoziales Dasein, lebt im Haus seiner Mutter, legt nun einen verqueren Konservatismus an den Tag, spart nicht mit antisemitischen Tönen, spricht sich für den Vietnam-Krieg aus. Jack Kerouac, die Literatur-Ikone, stirbt 1969 an seiner Alkoholsucht.

Auf die Idee, diesem widersprüchlichen Autor einen literarische-musikalischen Abend zu widmen, kam Rudi Stumberger auf einer Amerika-Reise. Sie führte ihn auch nach Lowell, Massachusetts, wo Kerouac aufgewachsen ist und begraben liegt. Dort hat der Münchner etwas von der Aura des Beat-Autors aufspüren wollen. Für Kerouac-Anhänger aus aller Welt ist der Edson Cemetery in Lowell so etwas wie der Pariser Friedhof Père Lachaise für Jim-Morrison-Pilger. Die Fotos, die Stumberger von Kerouacs Grab gemacht hat, wirken fast schon arrangiert, sind es vielleicht auch, wenn auch nicht von ihm: Eine leere Bierflasche auf dem Stein, daneben ein paar Münzen und - wie ein ferner Gruß von einem Toten zum anderen - eine Ausgabe von Allen Ginsbergs "Kaddish".

Genial, sensibel und ein notorischer Trinker: Jack Kerouac starb mit nur 47 Jahren. (Foto: John Cohen/Getty Images)

Rudi Stumberger hat auf dem Friedhof Roger getroffen, der Kerouac-Touristen betreut. Bei der Lesung am Samstag wird man Roger im O-Ton hören können. Und natürlich Textauszüge aus "On the Road", die sich abwechselnd mit Stumbergers eigenen kleinen Geschichten. Über einen Mann etwa, der in der Müllverbrennungsanlage Ingolstadt den Kran bedient, über einsames Trinken in Bahnhofskneipen, schäbige Hotels in Bukarest und das Verschwinden von Wurstbuden. Den Soundtrack, den Rusty Stone zu dieser literarischen Tonspur liefert, wird auch nicht gerade heiteren Charakters sein: Es gibt einige seiner eigenen Kompositionen in "Low-down-Blues"-Manier zuhören, dann ein bisschen Bob Dylan und Townes Van Zandt. Von dem ist ja der erbauliche Satz überliefert: "Ich glaube nicht, dass all meine Lieder traurig sind, einige sind auch hoffnungslos."

Was wird das nun werden, am Samstag im Kaffee Giesing? Eine Konvention aller "öffentlichen Melancholiker" der Stadt? Werden Taschentücher gereicht, Anti-Depressiva? Nun, Rudi Stumberger und Rusty Stone haben eine Definition für den Abend gefunden, die ihnen gefällt. "Analog zur arte povera machen wir cabaret provero, also ein Kabarett der armen Schweine", erklärt Stumberger. In München, dieser blank polierten Stadt, in der alle so furchtbar erfolgreich seien, der FC Bayern, die CSU, die BMW-Fahrer, brauche dringend ein Alternativprogramm. Bei allem Ernst der Gemütslage soll es aber sehr kurzweilig zugehen, versprechen die Freunde: "Wir werden uns alle zusammen einen netten, depressiven Abend machen."

"Hey, Jack" mit Rudi Stumberger und Rusty Stone, Samstag, 28. November, 20 Uhr, Kaffee Giesing, Tegernseer Landstraße 96, Eintritt zwölf Euro.

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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