München:Ein Leben als Drahtseilakt

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In sechster Generation ist Zirkusdirektor Joshi Frank mit seinem Familienbetrieb unterwegs. Allein von den Vorführungen können die modernen Nomaden aber nicht mehr existieren. Ein Besuch in der Manege

Von Andreas Sommer

Dennis Frank zieht sich an den Gurten des blauen Zirkuszelts nach oben, läuft über die Dachplane und erklimmt flink einen der beiden Masten. Dort befestigt er ein Plakat mit der Aufschrift "Zirkus Ganz Spontan". Ein Seil zur Sicherung? Braucht er nicht. Er hat die Gewandtheit im Blut, Höhenangst kennt er nicht.

Dennis Frank ist schließlich schon sein Leben lang Artist im Zirkus "Bambino" seines Vaters. Joshi, sein Vater, schaut noch nicht einmal hoch, wie sein Sohn in einigen Metern Höhe herumturnt. Er weiß, was Dennis kann. Auch er selbst ist bereits mit fünf Jahren in der Manege aufgetreten. Er und Dennis wurden in den Zirkus hineingeboren. Wie Joshis Vater und sein Großvater vor ihm. Der Großvater des Großvaters hatte mit dem Ganzen angefangen. Und heute? Ist der 66-Jährige bei den Vorstellungen nicht mehr so oft auf der Bühne, dafür treten bereits die ersten Enkelkinder auf. Es ist eine Zirkusdynastie.

Der Familienbetrieb hat derzeit auf einem Grundstück an der Oberbiberger Straße in Harlaching Station gemacht. Dort arbeitet er derzeit mit dem Verein "Spiellandschaft Stadt" zusammen, der bis zum 30. August verschiedene Zirkusangebote für Kinder bereithält. Doch auch hier bleiben sie nicht lange. Die Freunde, die er, seine Kinder und Enkel finden, müssen sie bald hinter sich lassen. Anders kennen die Franks es nicht. Sie sind immer auf Achse, Nomaden der Unterhaltung.

Joshi Frank, der Seniorchef, hat in jungen Jahren fast das gesamte Repertoire eines Zirkusdarstellers erlernt: Mit fünf turnte er beim Stehendreiten auf dem Rücken eines Pferdes, war geübt in der Handstandakrobatik, war Dompteur für verschiedene Tiere. Nur die Raubtierdressur und das Jonglieren haben Joshi Frank nie besonders gelegen. Mit 25 entdeckte er sein Talent für die Clownerie. "Clown sein, das kann man nicht lernen." Zwar könne man auf Schulen Gesten, Mimik und einzelne Nummern lernen, "aber das Clownsein, das muss von hier kommen", sagt Frank und fasst sich an die Brust.

Höhenangst kennt Dennis Frank...

...als Sohn von Zirkusdirektor Joshi Frank nicht.

Auch Enkelin Giselle ist bereits fleißig am Üben mit ihrer Mutter Juliana.

Dennis Frank hat inzwischen viele Arbeiten in...

...und um den Zirkus übernommen.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Von links: Dennis Frank, Mama Sonja Frank, Schwiegertochter Juliana Frank mit Töchterlein Giselle und der Chef Joshi Frank im Wohnwagen.

Fast alles, was Frank heute braucht, haben ihm seine Eltern und Verwandten beigebracht. Durch die häufigen Umzüge haben es Zirkuskinder besonders schwer in der Schule. Einen Schulabschluss habe er deshalb nicht, sagt Joshi Frank, doch das habe ihn nie gestört. Aber er nahm Schauspielunterricht beim großen Theaterschauspieler George Tabori, als dieser Auftritte in einem Zelt der Familie hatte. Tabori lehrte Joshi Frank Slapsticknummern und andere Kniffe der Theaterkunst.

Aber beim Clownsein ist es nie geblieben. Zirkusleute sind auch Handwerker, müssen anpacken, sind ihre eigenen Finanzmanager. Natürlich bauen sie auch das Zelt selber auf - mit viel Muskelkraft. Und das alles für ein Kinderlächeln. Kinder seien für ihn immer schon ein ganz besonderes Publikum gewesen, sagt Frank. Sie seien die offensten Kritiker und auch deshalb beziehe er sie gerne in seine Vorführungen mit ein. Er selbst habe schon immer einen guten Draht zu Kindern gehabt, sagt er. Ein Grund dafür sei bestimmt auch seine Körpergröße - er sei "gesegnet mit dem Gardemaß von 1,52 Metern". Wenn die Kleinen einmal nicht mehr über ihn lachten, sagt er, wolle er ganz aufhören mit der Clownerie, auch bei den Zirkuswochen in Unterschleißheim. Die richtet der Frank-Clan seit 1990 aus.

Kinder lernen hier eine Woche lang, ihre Talente für die Manege zu trainieren, und präsentieren Eltern und Freunden das Gelernte in einer Vorführung. Jonglieren, kleine akrobatische Kunststücke und lustige Clownsketche, jeder soll das tun, was am meisten Spaß macht. Zu Beginn gibt es allerdings erst noch eine Vorstellung von den Profis. Die Kinder sollen sehen, was sie lernen können, aber auch über das staunen, was darüber hinausgeht.

Und selbst Profis aus dem Entertainment staunen über den Familienzirkus der Franks. Bei einem Treffen in den Achtzigerjahren mit dem FC Bayern München durfte der Elefant Sahib, der größte dressierte Elefantenbulle weltweit, im Elfmeterschießen gegen den damaligen Torwart Jean-Marie Pfaff antreten. "Neun von zehn hat er getroffen", erinnert sich Frank grinsend. "Und beim zehnten hat er nur den Anlauf verstolpert."

Sahib hatte zu diesem Zeitpunkt schon einiges miterlebt. Er musste 1957 mit Teilen der Familie und den meisten anderen Tieren in der DDR bleiben, als der Zirkus "Atlas", der große Familienzirkus der Franks, in der Bundesrepublik einen Auftritt hatte. Joshi Franks Großvater rief aus dem Osten bei der westdeutschen Polizei an, seine Familie solle im Westen bleiben. Er selbst wolle mit der übrigen Familie, den Tieren und dem Material per Zug flüchten. Kurz vor der Grenze wurden sie jedoch von den Vopos gestoppt. Der Großvater schaffte es mit zwei Töchtern über die Grenze, doch die Waggons wurden zurück in die DDR gezogen. Die Familie stand ohne einen Großteil ihrer Ausrüstung und mit großen Verlusten kurz vor dem Ruin. Den indischen Elefanten Sahib musste die Familie Frank gegen andere dressierte Zirkustiere aus der DDR zurücktauschen. Befreundete Zirkusdirektoren boten den Franks ihre Hilfe an und gaben ihnen einige ihrer Tiere als Tauschmittel. Mit Sahib als Hauptattraktion schaffte es der Zirkus Atlas dann wieder in die schwarzen Zahlen. Mit Tieren arbeitet Frank schon länger nicht mehr. Einige Zeit habe er noch Ponys gehalten. Die waren gar nicht Bestandteil der Show, sondern nur Haustiere und Begleiter des Zirkus. Immerhin sei er mit Tieren aufgewachsen. "Aufgewachsen, nicht groß geworden, das wäre gelogen", sagt Frank und lacht.

Im Zirkus Atlas waren einst nicht nur Pferde ein Teil der Vorstellung. Frank hat Elefanten dressiert, Zebras, Giraffen. Er hat mit Affen gearbeitet und mit Hunden. Heute sei für viele Gemeinden schon ein Ausschlusskriterium, dass der Zirkus Ponys halte, selbst wenn die nicht einmal in der Show auftreten. Also trennte Frank sich schweren Herzens von ihnen.

Der 66-Jährige bedauert, dass Tiervorstellungen häufig in einem so schlechten Licht gezeichnet würden. Er habe von seinem Vater gelernt, wie man die Tiere beobachten, teilweise ihr Verhalten imitieren muss. So erkenne man Charaktere und Talente und könne ihnen human, ohne Zwang oder Bestrafung, Kunststücke beibringen. Ein guter Dompteur agiere da nicht anders in den Methoden als ein Lehrer der Spanischen Hofreitschule in Wien.

Die Zeiten aber haben sich geändert - und sie werden immer schwieriger. Zirkusse haben Probleme, sich allein über die Vorführungen zu finanzieren. Sie müssen zu anderen Einnahmequellen greifen, vermieten ihre Zelte, bieten Workshops an, leisten technische Hilfe bei anderen Veranstaltungen. Aktuell ist die Familie Frank auf der Suche nach einem Lager für Zelte, Wohnwagen und anderes Material. Grund für die finanzielle Misere vieler Zirkusse ist auch ein Relikt aus der Nazi-Zeit: Der Zirkus zählt seitdem in Deutschland, anders als in vielen anderen europäischen Ländern, nicht mehr als Kulturgut. Mit dieser Klassifizierung würden nicht nur größere finanzielle Förderungen einhergehen, auch organisatorische Dinge wie die Platzmiete wären unkomplizierter.

© SZ vom 24.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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