München:Ein Dach über dem Kopf

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Hartes Leben: Zu viele sind ohne Obdach in der Stadt unterwegs. (Foto: Steffen/dpa)

Unterbringung und Betreuung der Menschen ohne Wohnung kosten die Stadt jährlich 35 Millionen Euro

Von Stefan Mühleisen, München

Scheinbar unaufhaltsam wächst München zu einer Metropole heran - und nicht nur die Stadt selbst hat Mühe, damit zurechtzukommen. Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist immens, und es lastet auf der Rathauspolitik, das in den Griff zu kriegen. Im Windschatten dieser rasanten Entwicklung geraten immer mehr Menschen ins Hintertreffen, sie werden zu Opfern dieser Umwälzung - und sind von Wohnungslosigkeit bedroht. Nach Angaben des Sozialreferates hat sich die Zahl der akut Wohnungslosen seit 2008 nahezu verdoppelt auf aktuell 6000 Menschen (Stand: Juni 2016). Tendenz: steigend.

Wie viele dieser Menschen auf der Straße leben, kann das Sozialreferat nur schätzen; die Behörde geht seit vier Jahren von konstant 550 faktisch Obdachlosen aus, bis 2006 waren es sogar noch 50 Menschen mehr. Von 2007 bis 2011 waren es mit stetig 340 Menschen ohne Obdach etwas weniger. Überdies dürften es in neuerer Zeit ohnehin viel mehr sein, die kein Dach über dem Kopf haben. Denn die Behörden wissen wenig über den Verbleib der Armutsmigranten, jene Zuwanderer aus EU-Staaten, die mitunter irgendwo wild campieren oder in Abbruchhäusern leben. Wie ein Behördensprecher mitteilt, soll im kommenden Jahr eine Untersuchung aufzeigen, wie viele Menschen in München tatsächlich auf der Straße leben.

Das Gros der Wohnungslosen kommt in einer der 66 Einrichtungen des sogenannten Sofortunterbringungssystems der Stadt unter. 5573 Plätze stehen laut Sozialreferat derzeit zur Verfügung: 725 in Notquartieren, 337 in Clearinghäusern, 292 in sechs geförderten Unterkünften sowie 4219 in 49 Beherbergungsbetrieben. Das System steht auf wackligen Füßen, und das nicht nur wegen des umkämpften Wohnungsmarktes, auf dem auch die Stadt um Angebote konkurrieren muss. Die Zahl der Wohnungslosen steigt nicht nur mit den Armutsmigranten, sondern auch durch sogenannte Fehlbeleger - gemeint sind Asylbewerber, die trotz ihres anerkannten Aufenthaltsstatus in Flüchtlingsunterkünften wohnen, deshalb dort ausziehen müssen und oft in die Obdachlosigkeit entlassen werden. Das Sozialreferat geht davon aus, dass in diesem und im nächsten Jahr 1700 zusätzliche Plätze bereitgestellt werden müssen: "Aus heutiger Sicht erscheint es möglich, den prognostizierten Bedarf zu decken", sagt ein Behördensprecher.

Kurzfristig könnte diese Prognose sogar zutreffen, denn die Weichen dafür sind bereits gestellt. Im Sommer 2015 hat der Stadtrat ein Wohnheimprogramm beschlossen, demgemäß 2000 neue Plätze entstehen sollen. Die Heime sollen von Trägern der Münchner Wohnungslosenhilfe betrieben werden. Laut Sozialreferat sind fünf Wohnheime bereits in Planung, drei weitere in der Vorprüfung. Das erste Projekt soll im Laufe des Jahres 2017 fertig sein. Allerdings weiß die Behörde jetzt schon, dass das nicht reichen wird. Das Sozialreferat arbeitet nach eigener Aussage bereits an einer Vorlage, das Programm um 1000 Plätze aufzustocken. "Mit diesem Programm soll einerseits eine nachhaltige Nutzung der Immobilien erreicht (. . .) und andererseits eine größere Unabhängigkeit vom Beherbergungsgewerbe erzielt werden", teilt ein Behördensprecher mit.

Stolz ist die Stadt indessen auf die geleistete Fürsorge für jeden Einzelnen. "Die sozialpädagogische Betreuung wohnungsloser Frauen, Männer und Familien bewegt sich in München schon seit vielen Jahren auf einem im bundesweiten Vergleich hohem Niveau." Auch das Kälteschutzprogramm gilt der Verwaltung als republikweites Vorzeigeprojekt. Keine andere Großstadt in Deutschland, so verlautet aus dem Sozialreferat, "hat ein derartiges umfangreiches Kälteschutzprogramm". Im vergangenen Jahr wurden die Zahl der Schlafplätze von 800 auf 1000 aufgestockt; zur Verfügung stehen sie den bedürftigen Menschen von November bis Ende März, viele auf dem Gelände der Bayernkaserne.

Die Kosten für die Unterbringung und Betreuung akut Wohnungsloser beziffert die Stadt jährlich auf insgesamt 35 Millionen Euro.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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