Der grüne Schal passt genau zu ihren blaugrünen Augen. Die Lippen sind geschminkt - in einem leichten Orangeton. Eine Farbe, die sich auch in der Tönung ihrer Haare wiederfindet. Perfekt komponiert, denkt man, irgendwie alles in Balance. Einer Balance, die vom ersten Augenblick an ihr Gegenüber mitzieht und der man sich in der Begegnung mit ihr kaum entziehen kann. Und dann sieht man ihre Bilder an den Wänden des Kulturhauses Milbertshofen. Rosa Quint, die nicht über ihr Alter sprechen will, weil es nicht wichtig sei, wie sie sagt, komponiert. Sie strukturiert, teilt Räume auf und begrenzt sie durch das Gerade, die Linie. Sie setzt Formen und Muster in einen Dialog. Und es ist die Begegnung mit Farbe, ihrer Wirkung und Kraft, die die in München und Italien lebende Künstlerin braucht. Sie spricht dann gerne von "der richtigen Intuition", die einfach zu ihr gehöre. Von dem, was ihr einfach gegeben sei.
Aber da ist noch etwas, das in Quints Arbeiten immer eine große Rolle spielt. Es geht um Raumwechsel und den Blick darüber hinaus. Das Gegebene mit Neuem zu füllen, Sichtweisen hinzuzugewinnen - am besten gelingt einem das wohl, wenn man das Alltägliche hinter sich lässt, reist. Quint reist. Immer und immer wieder. Nach Italien, nach Griechenland, Mexiko oder Peking. "Sites" (Orte) heißt dann auch ihre Ausstellung. Und das, was sie an jenen Orten sieht - nie im Original, sondern stets abstrahiert -, das, was sie empfindet, wenn sie im Zug von Helsinki nach St. Petersburg sitzt, verarbeitet sie in ihren meist großformatigen Öl-Bildern.
"Karelian Train" nennt sie einen Bilderzyklus, der den grauen und immer schwer zu bebildernden Wänden des Saals im Kulturhaus Milbertshofen eine eigene Atmosphäre verleiht. Denn es sind Hinterglasbilder - Öl auf Plexiglas. Weil Quint auf ihrer transparenten Leinwand immer Räume ausspart, wirft das durchscheinende Licht Schatten auf die Wand. Der Betrachter blickt durch Zugfenster und glaubt - weil Farbe und Form alles sein können: Wiesen, Seen und Gestein - durch die Farben Finnlands zu reisen. Die Bilder "fransen" aus, haben vermeintlich keine Grenzen und scheinen sich zu bewegen - so als führe man einfach im Zug mit, als sollten die Begegnungen auf jenen gedanklichen Spaziergänge nie endlich sein.
Quint geht es in ihren Arbeiten nicht um Abbildung, sondern um die Verquickung von Gesehenem und Gefühltem. Als sie zu einem Mapping-Projekt nach Genua reist und die Straßenkarte studiert, entdeckt sie, dass darin die kulturellen Sehenswürdigkeiten alle in violett eingetragen sind. Sie folgt den lila Spuren, skizziert Details, Straßenzüge, Hausnummern. Und sie legt oder klebt sie zwischen Plexiglasscheiben. Ein Genua-Mobile entsteht, "Violet Spaces", wie Quint die Installation nennt, die im Kulturhaus von oben herunterschwebt.
Ja, und da wäre etwas, das Quint - obwohl sie so systematisch arbeitet - besonders liebt: Wirrwarr, Verhau, Ungeordnetes. Wie Kabelsalat zum Beispiel. Kabelknäuel aller Arten -"ich liebe so etwas", gibt Quint zu. Dass ihr dann jene willkürlich "verlegten" Kabel in Peking ins Auge stechen, dass sie die gedrehten, gewickelten, an Strommasten einfach aufgehängten Leitungen dann auch gleich in ihren Bildern verarbeiten muss, liegt auf der Hand. Sie hat Reise-Fotografien auf hauchdünnes Papier kopieren lassen und nachbearbeitet. Hat Farbe aufgetragen, wo keine war, Kabel-Wirrwarr hinzugefügt. Es entstehen fast plastische Arbeiten, die Kabel scheinen sich aus dem Bild herauszuschlängeln - hin zum Betrachter.
Jemand, der stets auf Reisen ist und Bilder festhalten will, die das Auge und die Seele faszinieren, braucht ein Gedächtnis aus Papier. Rosa Quint geht nie ohne ihr Skizzenbuch aus dem Haus. Und zum Beweis holt sie es aus ihrer Handtasche, legt es auf den Tisch: Ein schwarzes Buch, von einem Gummiband zusammengehalten, die Seiten fast zur Gänze gefüllt, voller Skizzen, kleinen kolorierten Bildern, Zahlen, Geschriebenes. Es ist Reise- und Lebensbegleiter, ein Miniatur-Bildarchiv, aber auch Erinnerungsstütze. "Ich schau' darin öfters nach", sagt die Künstlerin, "wie ich an Bilder, die ich vor langer Zeit mal gemalt habe, herangegangen bin". Einen kleinen Stoffbeutel hat sie auf Reisen auch immer dabei. In ihm: Farbstifte, weiße Farbe, Kleber. Ihn wird sie bald wieder einpacken dürfen, wenn es wieder losgeht - nach Kuba und Kolumbien.
Seit vielen Jahren teilt Rosa Quint am Institut für Kunstpädagogik mit Studenten ihre Liebe zur Farbe, zeigt ihnen, wie ästhetische Prozesse erlebbar sein können. Und sie arbeitet mit ihnen an der "Entwicklung des Blicks", also an der Lust, dem Kleinen im Großen nachzuspüren und dem richtigen Gefühl für das, was gut und schlecht ist für ein Bild. Dieser Blick - auch das ist für sie Kunst. Besonders ist es der Dozentin dabei wichtig, den jungen Studenten Mut mitzugeben, nicht auf andere künstlerische Ausdrucksformen zu schauen, sondern eine eigene Sprache zu entwickeln. Eine wahrlich gute Lehrmeisterin haben sie. Denn die eigene Sprache hat Quint schon lange für sich entdeckt. Es ist das stets wiederkehrende Spiel mit der Form, der Ornamentik, dem Transparenten auf Plexiglas - und dem Grün im Grün.
"Sites": Ausstellung von Rosa Quint, Kulturhaus Milbertshofen, Curt-Mezger-Platz 1, zu sehen bis zum 13. März. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, von 10 bis 18 Uhr.