Band der Woche:Wilde Banalitäten eines jungen Lebens

Lesezeit: 2 min

Siamese Twin trifft mit seiner "The Cure"-Attitude gerade einen Nerv. (Foto: Enid Valu)

Tianping Christoph Xiao ist in Shanghai aufgewachsen. Jetzt lebt er in München und schreibt atmosphärische Songs über Isolation

Von Clara Löffler, München

Es gibt Musiker, die warten ein Leben lang darauf, von einem großen Plattenlabel unter Vertrag genommen zu werden. Und dann gibt es solche, die nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Musiker wie Tianping Christoph Xiao zum Beispiel. Christoph ist erst 21 Jahre alt und hat bereits sein eigenes Plattenlabel namens NakedNuns gegründet, wo er seit vergangenem Jahr als Siamese Twin Musik veröffentlicht. Mit fünf Jahren begann er, Klavier und Klarinette zu spielen, mit zwölf gründete er seine erste Band, damals noch in Shanghai, wo er aufgewachsen ist. Weil er weit weg von der Schule und seinen Freunden lebte, verbrachte er viel Zeit allein, hörte Musik und schrieb erste eigene Songs.

Isolation ist auch eine immer wiederkehrende Thematik in Christophs Musik. Auch als er für sein Studium nach München kam, habe er sich zunächst als Außenseiter gefühlt, sagt Christoph: "Viele Dinge werden hier in Deutschland anders definiert. Ich kannte viele Begriffe nicht, wie Leute hier sie kennen. Den Begriff Indie habe ich zum Beispiel komplett anders verstanden. Hier wird das als Genre gesehen. Ich dachte, das ist eine Art des Musikmachens, dass man alles selbst macht."

Coming-of-Age, Erwachsenwerden, das ist ebenfalls großer Bestandteil von Christophs neuer EP "teenitus", wie der Name bereits vermuten lässt. Doch versucht der Musiker nicht zwanghaft, seine Songs symbolisch aufzuladen oder die Jugendjahre zu romantisieren. "Ich erlebe eigentlich nicht so viel", sagt er. Vielmehr geht es um Banalitäten, ein Glas Wasser wie im gleichnamigen Song oder um einen Freund, wie in "ferdinand" - Banalitäten eines jungen Lebens eben.

"Sehr oft, wenn man darüber reden möchte, wie man sich fühlt, redet man über etwas anderes, zur Ablenkung", sagt er. Den Hörer erwartet vielmehr eine Achterbahn der Gefühle, wie auch jeder in der Pubertät sie erlebt haben dürfte. Wenn man meint, einen Song in seinem Aufbau verstanden zu haben, überrascht er plötzlich mit neuen Stil-Elementen: mit Sprecheinlagen, Raketendonner und Gitarrensoli, die bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden. Mal ist Christophs Musik atmosphärisch und ruhig, mal rockig und laut. Die Liste der Einflüsse ist lang, sie reicht von der Vergangenheit über die Gegenwart bis hin zur Zukunft: Shoegaze, Dream Pop und Electronica sind nur drei der Stilrichtungen, die hier eine einzigartige Symbiose eingehen. Unvollkommenheit erzeugt Christoph bewusst, durch den Einsatz eines Kassettenrekorders.

Das ist Teil der Lo-Fi-Ästhetik, die er auch mit seinem Plattenlabel propagiert. Er wolle jungen Musikern eine Plattform bieten, um frei von Konkurrenz und gesellschaftlichen Konventionen experimentieren zu können: "Hier in Deutschland hat man oft das Gefühl, dass man schnell erwachsen werden muss. Als ich hierherkam, musste ich mich plötzlich um Versicherungen kümmern. Das ist krass, wie viel Bürokratie es hier gibt." Das Label hat für Christoph aber auch einen politischen, inkludierenden Charakter: Niemand solle davon ausgeschlossen werden, Musik zu machen. Musik, sagt er, sei schließlich für alle da.

Siamese Twin

  • Stil: Shoegaze, Dreampop, Electronica, Lo-Fi-Rock
  • Besetzung: Tianping Christoph Xiao
  • Aus: München
  • Seit: 2020
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: