Prozess in München:"Der Einzige, der am Ende verletzt war, war ich"

Lesezeit: 2 min

In der Parkstadt Schwabing wurden drei Taxis aufgebrochen (Symbolfoto). (Foto: Robert Haas)

Der Kunde eines Taxifahrers steht vor Gericht, weil er den Mann mit der Autotür angegriffen haben soll. Glaubt man den Aussagen des Angeklagten, ist die Sache allerdings deutlich anders abgelaufen. 

Von Susi Wimmer

Die Erinnerung kann uns manchmal ganz schöne Streiche spielen: Man nehme ein Ereignis, befrage mehrere Personen - und am Ende erhält man etliche unterschiedliche Versionen von ein- und demselben Geschehen. Das mag vielerlei Gründe haben, etwa dass jeder den Fokus auf etwas anderes setzt oder dass der Verstand einfach Schlussfolgerungen zieht, die er als logisch erachtet, die so aber gar nicht stimmen. Für Marcelo R. jedenfalls mündete dieses Phänomen darin, dass das Verfahren gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht eingestellt wurde.

Beginnen wir mit den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft: Diese ging davon aus, dass der aus Schwaben stammende Marcelo R. einen Taxifahrer verletzt hatte. Der 41-jährige Tatverdächtige war an jenem Aprilabend mit Freunden zu Besuch in München, sah sich das Basketball-Spiel Bayern gegen Barcelona an und wollte nach feucht-fröhlicher Feier in der 089-Bar in Richtung Hotel aufbrechen. Gegen vier Uhr früh stieg er am Maximiliansplatz in ein Taxi.

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Kurz darauf, so die Staatsanwaltschaft, kam es zum Streit mit dem Taxifahrer. Im Bereich des Stachus hielt der Wagen an, Marcelo R. stieg aus. Der Taxifahrer habe ebenfalls aussteigen wollen, da habe R. die Taxitür gegen den Körper des Fahrers geschlagen. Die Ermittlungsbehörde verschickte einen Strafbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung, Marcelo R. legte Einspruch ein.

Denn nach seinen Aussagen war die Sache etwas anders: Vor der Bar hätten er und sein Freund noch geplaudert, in der Zwischenzeit seien die anderen beiden Freunde zu Fuß in Richtung Hotel aufgebrochen. Man sei ins Taxi gestiegen und wollte in die Senefelderstraße am Hauptbahnhof, also direkt ums Eck. Während der Fahrt habe man die anderen beiden entdeckt und auf Höhe des Stachus den Fahrer gebeten, anzuhalten, um sie auch mitzunehmen, was der Taxler jedoch aufgrund der Corona-Regeln abgelehnt habe.

Die diffusen Zeugenaussagen machen den Fall nicht gerade einfacher

Daraufhin sei ein heftiger Streit über die kurze Taxifahrt entbrannt - und er sei ausgestiegen, so Marcelo R. "Der Taxifahrer dachte, wir prellen ihn um den Fahrpreis", berichtet er vor Gericht. Der Taxler sei aggressiv gewesen - und von der Erscheinung her eher korpulent. "150 Kilo plus x", schätzt Verteidiger Florian Engert. Sein Mandant habe "aus Angst vor Schlägen und zum Eigenschutz" die sich öffnende Tür zugedrückt. "Aber nicht zugeschlagen", ergänzt der Angeklagte.

Dann habe er sich etwas entfernt, um die Situation zu deeskalieren. Da der Taxifahrer um Hilfe rief, wurden Passanten auf die Situation aufmerksam. Sie eilten herbei, hielten Marcelo R. fest, einer nahm ihn in den Schwitzkasten. Dabei, so sagt Marcelo R., habe er eine Schienbeinprellung erlitten. "Der Einzige, der am Ende verletzt war, war ich."

Der Taxifahrer, so sagt die Amtsrichterin, habe sich nach dem Vorfall schriftlich geäußert, "aber sehr diffus". Da ist von einem Faustschlag gegen den Hals die Rede und von einer zugeschlagenen Autotür. Es folgen die Zeugen: Der Freund von Marcelo R., der mit ihm hinten im Taxi war, kann sich an seine Sitzposition nicht mehr erinnern. Eine Studentin, die das Geschehen von der anderen Straßenseite aus beobachtete, erklärt, dass in dem Taxi zwei Männer und eine Frau gesessen hätten. Sie sagt, die Tür des Taxis habe ganz offen gestanden, als R. sie zuschlug. Eine andere Zeugin spricht von einer Frau und einem Mann im Taxi, und dass der Taxler mit einem Bein schon ausgestiegen war. Vermutlich.

"Schwierig", sagt am Ende die Richterin. Der Taxifahrer ist mittlerweile in seine Heimatstadt Thessaloniki zurückgekehrt und nicht erreichbar. Die ganze Sache wird eingestellt, die Kosten trägt die Staatskasse. Marcelo R. muss für seine eigenen Ausgaben selbst aufkommen.

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