Mitten in Ramersdorf:Treffen der Jäger und Sammler

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Hofflohmarkt im Viertel. Warum tun wir uns das nur jedes Jahr wieder an?  Weil es eine echte Win-win-Situation ist:  Der alte Kruscht kommt weg, und der  Partner freut sich, dass die Angetraute vor lauter Verkaufen nicht dazu kommt zu schauen, was die Nachbarn alles so anbieten.

Von Renate Winkler-Schlang

Warum eigentlich tun wir uns das jedes Jahr wieder an, dieses zwanghafte Entrümpeln, bloß weil in unserem Viertel, in Ramersdorf, am Samstag wieder Hofflohmarkt ist? Klar, es gibt ganze Bibliotheken voller Ratgeber, die von der heilsamen Wirkung des Wegwerfens schwärmen. Es gehe um Strukturen, übersichtliche Schubladen werden da in Beziehung gesetzt zu aufgeräumten Arealen im Stammhirn. Nur wer loslasse, habe die Hände frei. Und so weiter. Wieso trägt keiner diesen ganzen Belehrungsschmarrn auf den Flohmarkt?

In Wirklichkeit nämlich gibt es Menschen, die geschaffen sind fürs Pure und Klare und Reduzierte - Architekten zumeist. Die haben sowieso nie irgendetwas angeschafft, von dem sie sich wieder trennen müssten, oder sie haben es längst ohne jeglichen Skrupel in der Hausmülltonne entsorgt. Sie hören nicht das Wehklagen der weggeworfenen Dinge. Andere aber fühlen sich geborgen inmitten von all ihrem Shabby-Schick im Wohnzimmer - oder wie die Kollegin aus dem Schwabenland sagen würde: mit all ihren "Krüschtla" (das ist die liebevolle Verniedlichungsform von Kruscht, also überflüssigem, wundervollem Zeug).

Für solche Wegwerf-Phobiker kommt Ausmisten oftmals einer Amputation gleich, denn sie hängen an ihren Dingen. Sonst hätten sie sie ja nicht in ihr Leben gelassen. Jede Vase eine Erinnerung. Und sei es nur die, dass sie eben immer schon auf diesem Regalbrett stand. Und gibt die Erfahrung ihnen nicht Recht? Da hat man kürzlich - unter dem Druck des Partners - den hübschen Teewagen von Oma Agnes den Passanten auf der Straße zum Mitnehmen angeboten, schon offeriert der neue Ikea-Katalog ein ähnliches Möbel, und man schluchzt auf: Wir hätten es behalten und weiß streichen können . . .

Warum also macht man dennoch immer wieder mit beim Hofflohmarkt? Weil Münchner Häuser nicht aus Gummi sind? Weil der Rock aus dem Abi-Jahr nun wirklich nicht mehr passt, der Krimi aus der Vor-Internet-Zeit langweilt? Nein, es kommen einfach nette Leute in den Garten: alles Gleichgesinnte! Und der Partner freut sich, dass die Angetraute vor lauter Verkaufen nicht dazu kommt zu schauen, was die Nachbarn alles so anbieten. Eine echte Win-win-Situation.

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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