Wo sind die Grenzen des Umgangs zwischen Lehrern und Schülern?
Christians: Genau das fragen wir uns gerade. Bislang haben wir intuitiv entschieden, jetzt arbeiten wir an Leitlinien. Das Lehrer-Schüler-Gespräch auf dem Schulgelände ist völlig normal. Auch, dass man eine Klasse mal zu sich nach Hause einlädt zum Grillen oder so was. Das möchte ich auch in Zukunft nicht ausschließen. Schwierig wird es immer in einer Kleingruppe oder in einer Eins-zu-Eins-Situation. Aber auch dann kann ein persönliches Treffen außerhalb der Schule noch immer nötig und sinnvoll sein. Nur man muss es dann auch gegenüber Kollegen kommunizieren. Es geht jetzt tatsächlich auch darum zu definieren, wie viel Nähe nötig und wie viel Distanz zu wahren ist.
Also kann ein gemeinsamer Angelausflug in Ordnung sein?
Christians: Selbst ein privater Ausflug kann mit zehn, 15 Kindern in Ordnung sein, wenn wir Eltern mitnehmen oder Kollegen. Mittelpunkt des pädagogischen Wirkens muss jedoch die Schule sein, und kein Ort außerhalb.
Hat es Signale gegeben, die Sie nicht bemerkt haben?
Christians: Den Eindruck habe ich nicht. Natürlich kann man jetzt sagen, da hätte ich, hätten wir alle, aufmerksamer sein können. Aber der angezeigte Lehrer galt als wertgeschätzter Kollege und als erfahrener Pädagoge.
Melden sich jetzt auch Schüler, die längst aus der Schule raus sind und denen erst durch die Vorfälle ihre eigene Vergangenheit bewusst wird?
Pfeil: Wir sind hier erst am Anfang der Aufarbeitung, wissen nicht, was noch kommt, und haben auch keinen Einblick in die Ermittlungsakten.
Die Schule hat eine Hotline eingerichtet. Es ist Ihre Handynummer, Herr Christians. Was kann man mit Ihnen da besprechen?
Christians: Es besteht nach wie vor ein großes Informationsbedürfnis von Eltern und ehemaligen Schülern über alles, was die Schule betrifft. In solchen Fällen kann ich weiterhelfen. Möglicherweise auch mit Nummern von der Polizei und dem Kinderschutzbund.
In Berichten über sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen geht es auch um einen Begriff, den man als 'Distanz auf Armlänge' bezeichnen kann. Was halten Sie davon?
Pfeil: Wenn ein Kind etwa hinfällt und weint, dann muss man es trösten. Wenn wir da Abstand halten, ist das völlig ungesund. Als Mutter wünsche ich mir eine gesunde Nähe, ohne Angst, dass da gleich Verdächtigungen aufkommen, wir müssen alle auf sehendes Vertrauen setzen.
Christians: Ob ich ein Kind umarmen darf, wenn ich es tröste, möchte ich nicht in Regeln fassen. Die Kinder gehen schon selbst auf Distanz, wenn sie es nicht wollen. Das kann man nicht auf ein Alter festlegen. Nähe ja, aber es muss klar sein, dass das dann für alle gilt, nicht exklusiv ist. Trotzdem hat man körperliche Grenzen zu wahren.
Auch wenn das hier nur verkürzt geht: Was ist anders an einer Waldorfschule?
Christians: Die Entwicklung der Kinder und ihr Lernen steht bei uns in deutlicherem Zusammenhang. Unsere Schulgemeinschaft wird von Schülern, Eltern und Lehrern gemeinsam gestaltet. Wir sind eher Partner im Lernen, und es ergibt sich dadurch ein engeres Verhältnis.
Was kann man durch den Fall lernen? Wie Prävention betreiben?
Christians: Wir hatten schon immer Prävention und Aufklärung und konnten es trotzdem nicht verhindern. Deshalb ist der Vorfall ja auch so erschütternd. Hinschauen und schnelles Reagieren ist wichtig und richtig.
Sprechen Sie an der Schule auch darüber, was legitime körperliche Zuneigung, was sexueller Missbrauch ist?
Christians: Wir diskutieren gerade über Grenzüberschreitungen. Wann und wo sie anfangen. Eigene Grenzen kennt man ja für gewöhnlich. Die Schüler können und sollen klar sagen, was ihnen zu nah ist. Darauf müssen wir hören und uns entsprechend verhalten.
Wann, glauben Sie, kommt die Schule wieder zur Ruhe?
Christians: Eine gute Frage. Im Moment wissen wir es nicht. Das hängt auch mit dem Abschluss des Strafverfahrens zusammen. Erst dann ist klar, um welchen Umfang es sich handelt und dann zeigt sich, ob und wie wir wieder zur Ruhe kommen.
Ist Ihr offener Umgang damit auch der Wunsch nach einer Art Katharsis?
Christians: Es kann eine Chance sein, wir hoffen darauf und arbeiten daran. Manches wird nicht angenehm werden.