Meine Woche:Liebevolle Frau Doktor

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(Foto: Friedrich Bungert)

Kleine Augem, neue Kleider: Gertraud Stadler restauriert Puppen und Stofftiere. Egal wie viel Zeit sie braucht - Hauptsache, das gute Stück wird wieder schön.

Kolumne von Lea Hruschka

Gertraud Stadler setzt Augen wieder ein, näht Arme und Beine neu an oder flickt Löcher im Kopf ihrer Patienten. Zu den schwersten Fälle zählten Hundebisse, erklärt die Puppendoktorin. Sie sitzt mittwochs, donnerstags und freitags in ihrer Puppenstube und restauriert dort alles, was man ihr bringt - von Stofftieren bis zu Porzellanpuppen. Auch Hausbesuche macht die Puppen-Ärztin, wenn Kunden im hohen Alter ihre Lieblinge nicht mehr selbst in den Laden an die Luisenstraße 68 bringen können. Die Besuche erledigt sie zusammen mit der Post-Arbeit am Montag. Denn auch zugesendete Puppen verarztet Stadler: "Ich bin die einzige, die so was noch macht."

Was sie nicht im Laden restaurieren kann, nimmt sie mit nach Hause. Dort hat die Handwerkerin eine kleine Werkstatt, in der sie an diesem Dienstag die Nähmaschine anwirft und neue Gewänder für zwei Marionetten näht. Zuerst muss sie die beiden Patienten jedoch zerlegen. "Zum Teil sind da auch Motten drin." Dann sucht Stadler einen Stoff aus, eventuell auch Spitze oder Knöpfe, die dem Original nahe kommen. "Darauf legen die Leute Wert", betont sie. Manchmal brächten Kunden "Ruinen" vorbei, die Reparatur stehe dann preislich gar nicht mehr im Verhältnis zum Wert der Puppen - der emotionale Wert überwiege jedoch, meint Stadler. In letzter Zeit sind häufig junge Frauen unter Stadlers Kunden, die ihre eigenen alten Puppen für ihre Kinder restaurieren lassen wollen. Die Restaurierung einer "Ruine" kann dann von wenigen Stunden bis zu mehreren Monaten dauern. "Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich das überhaupt reparieren soll und überlege erst einmal Wochen." Denn Stadler muss kreativ werden, wenn die Ersatzteile schon lange nicht mehr produziert werden, wie bei ihrer ältesten Puppe aus dem Jahr 1850. Wenn sie selbst in ihrem großen Sammellager nicht findig wird, improvisiert sie mit Pappmasché, Keramik, Stoff oder Stroh. "Das ist auch für mich eine Herausforderung."

Wesentlich einfacher stellt sich da der Verkauf von Puppen dar, den sie drei Mal pro Woche selbst übernimmt. An den anderen beiden Tagen hält Stadlers Schwester die Stellung im Laden. Auch die Verkaufsstücke fertigt Stadler selbst. Das Handwerk hat sich die Münchnerin Stück für Stück selbst beigebracht, denn eine Ausbildung zur Puppendoktorin gibt es nicht: "Also muss man viel können, viel wissen, viel ausprobiert und viel kaputt gemacht haben." So wirft Gertraud Stadler mit 46 Jahren Erfahrung die Nähmaschine an und näht den Marionetten ein neues Gewand.

© SZ vom 26.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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