Florian Schmaltz wirkt heute noch bestürzt, wenn er sich an seinen Besuch im Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie vor gut einem Jahr erinnert. "Ich hatte Schlimmes erwartet", erzählt der Historiker vom MPI für Wissenschaftsgeschichte, "aber was ich dann gesehen habe, hat meine Befürchtungen noch übertroffen."
Den Wissenschaftlern um Schmaltz, die im Februar 2016 auf Geheiß der Führung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) das Archiv des MPI für Psychiatrie besichtigten, war bewusst, dass sie hier wahrscheinlich Funde aus schlimmen Zeiten machen würden. Fassungslos machen sie die Umstände, wie das geschah.
Die Wissenschaftler rechneten vor allem mit Hirnschnitten von Opfern der nationalsozialistischen Euthanasie-Programme. Hauchdünne Gewebeteile, präpariert auf feinen Glasträgern - solche Schnitte werden auch heute noch angefertigt, um sie haltbar zu machen und unter dem Mikroskop studieren zu können. Doch in der Nazi-Zeit wurden auch Gehirne von Kranken und Behinderten aus Heil- und Pflegeanstalten verwendet, die dafür gezielt getötet wurden. Es ist internationaler Konsens, dass solche Präparate zu bestatten sind.
Das aber ist mit einigen Präparaten der MPG, anders als lange gedacht, offenbar nicht geschehen. Viele Jahre hieß es, die MPG habe ihre Präparate von NS-Opfern 1990 endlich, auf nicht nachlassenden Druck von Historikern und Opferverbänden hin, auf dem Münchner Waldfriedhof beerdigt. Doch dem war nicht so, wie die Medizinhistoriker Wolfgang Eckart von der Universität Heidelberg und Robert Jütte vom Institut der Geschichte der Robert-Bosch-Stiftung Ende 2015 im Auftrag des MPG-Präsidenten feststellten. Ihr Bericht ist so erschütternd, dass er seither in der MPG unter Verschluss ist. Offenbar wurden manche Gewebeproben von NS-Opfern 1990 bewusst zurückgehalten, um weiter an ihnen forschen zu können.
Immerhin setzte der Bericht eine ausführliche Untersuchung aller einschlägigen Institute in Gang, die in München mit der Begehung vom Februar 2016 begann. Ein unabhängiges Forschungsprojekt unter Beteiligung des Medizinhistorikers Gerrit Hohendorf von der TU München soll alle Aspekte der Euthanasie in der MPG erfassen. Auch der Umgang mit den Präparaten nach 1945 soll dabei geklärt werden.
Das ist auch nötig. Denn im Jahr 2001 tauchten im Berliner MPG-Archiv plötzlich rund hundert Hirnschnitte aus fragwürdiger Zeit auf, von denen zumindest manche unter Euthanasie-Verdacht stehen. Sie wurden dort offenbar einfach in den Bestand aufgenommen, eine Beisetzung wurde nicht in Betracht gezogen. Es lag nahe, dass Ähnliches auch in München zu finden sein würde.