Massenpetition zur dritten Startbahn:Abweichen für die Glaubwürdigkeit

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Bei einer Massenpetition im Landtag wollen mehrere CSU-Abgeordnete gegen ihre Partei stimmen. (Foto: dpa)
  • Die dritte Startbahn für den Münchner Flughafen ist Thema im Bayerischen Landtag: Drei CSU-Abgeordnete wollen offen gegen die Parteilinie stimmen.
  • Umweltministerin Ulrike Scharf, der innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, Florian Herrmann, und der Abgeordnete Bernhard Seidenath sind Flughafenabweichler.

Von Frank Müller, München

Worum es im Landtag geht

Wer sich im Landtag vor einer unangenehmen Abstimmung drücken will, der hat mehrere Möglichkeiten. Er kann rechtzeitig auf die Toilette gehen, plötzlich erkranken, gar nicht erst kommen - das sind die bequemen Varianten. Oder aber: Der oder die Abgeordnete zieht die Sache eben durch und spart sich dadurch ganz nebenbei 25 Euro Strafe für eine verpasste namentliche Abstimmung. An diesem Donnerstag steht im Landtagsplenum für ein paar CSU-Parlamentarier aus dem Großraum München ein solches nicht ganz einfaches Votum an: Sie wollen beim Thema dritte Startbahn für den Münchner Flughafen offen gegen die Fraktionslinie stimmen und eine Protestpetition der Anwohner mittragen.

Die Sache wird dadurch besonders pikant, dass es nicht um Hinterbänkler geht. Mit Umweltministerin Ulrike Scharf verlässt sogar ein Kabinettsmitglied die Regierungslinie, mit Florian Herrmann der innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion gleich noch dazu. Sie und die anderen eint, dass sie aus der Flughafenregion kommen. Scharf hat den Stimmkreis Erding, Herrmann kommt aus Freising, auch der Dachauer Abgeordnete Bernhard Seidenath ist ein Flughafenabweichler.

Kritische Haltung zur Startbahn

Die örtlichen CSU-Abgeordneten haben ihre kritische Haltung zur geplanten Startbahn schon öfters dokumentiert. Am Donnerstag steht der spektakuläre Fall einer Massenpetition an. 82 000 Menschen haben sie unterschrieben, im Wirtschaftsausschuss des Landtags hatte die CSU sie noch abgebügelt. Dort sitzt aber auch keiner der regional Zuständigen.

Nun kommt es im Plenum zum Schwur, und Scharf und Herrmann sind entschlossen, ihre abweichende Meinung durch ein Ja zur Petition zu dokumentieren. Scharf hatte sich das Recht dazu bei Regierungschef Horst Seehofer ausbedungen, bei ihrer Berufung im Herbst. Nun ist sie erstmals als Ministerin so frei. "An meiner Haltung hat sich überhaupt nichts geändert", sagt sie. "Ich bin ganz eindeutig gegen diese Startbahn." Herrmann formuliert es ähnlich: "Ich kann die Startbahn als Stimmkreisabgeordneter nicht mittragen, weil ich dadurch meine Leute im Stich lassen würde."

Warum ihre Haltung ungewöhnlich ist

Wer die Frage rein nach dem Inhalt der Verfassung beurteilt, könnte meinen, das sei keine große Sache: "Die Abgeordneten sind Vertreter des Volkes, nicht nur einer Partei", heißt es in Artikel 13. "Sie sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden." Doch wie überall in der Politik ist auch im Landtag Praxis, dass Fraktionen ihre Haltung erst intern festlegen und dann gemeinsam abstimmen.

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Niemand hat das besser auf den Punkt gebracht als der legendäre Chef der SPD-Bundestagsfraktion Herbert Wehner: Wer sich auf sein Gewissen berufe, solle sich auch von diesem aufstellen lassen. Abweichler, gar prominente, bei einem Kernthema wie der Startbahn sind deshalb die Ausnahme. Herrmann betrachtet die Piste sowieso nicht als Gewissensfrage. Sondern als ganz nüchterne Abwägung: Bedeutung des Flughafens hier, Schutz der Anwohner dort.

Wie die Abgeordneten argumentieren

Druck auf sie gebe es nicht, versichern Scharf und Herrmann übereinstimmend. Dazu mag beitragen, dass die CSU im Landtag eine komfortable Mehrheit hat: Sie stellt 101 Abgeordnete, die Opposition 79. Da müssten also einige Parlamentarier mehr ihr Herz für die Anwohner entdecken, damit es für die Partei brenzlig wird.

Denn die CSU-Staatsregierung bleibt nach wie vor bei den Ausbauplänen, anders als die Stadt München, die nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren auf Distanz dazu gegangen war. Bayern brauche die Startbahn, um seine internationale Spitzenposition zu halten, sagt etwa CSU-Wirtschaftsexperte Erwin Huber. Parteichef Seehofer zieht sich öffentlich auf die Position zurück, man müsse die ausstehende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den Bau abwarten, bevor der Freistaat endgültig entscheide. Innerhalb der CSU aber sendet er deutlich klarere Signale aus.

Gleich zweimal sprach er in dieser Woche laut Teilnehmern das Thema an, beim Parteivorstand am Montag und in der CSU-Fraktion am Mittwoch. Bei deren Sitzung habe er die dritte Startbahn als das "mit Abstand wichtigste Infrastrukturprojekt Bayerns" bezeichnet, hieß es. Mitunter liebäugelt Seehofer damit, sie zum Thema der von ihm gewünschten neuen Volksbefragungen zu machen. Ausbaufreunde in der Regierung drücken schon aufs Tempo: "Da muss in diesem Jahr noch eine Entscheidung fallen", sagt ein Kabinettsmitglied.

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Nachtrag: Der Landtag wird über die Massenpetition gegen die dritte Startbahn erst am 3. Februar debattieren. Der ursprüngliche Zeitplan, die Petition bereits beim Donnerstags-Plenum zu behandeln, ließ sich wegen Verzögerungen im Sitzungsablauf nicht halten, das Thema wurde vertagt.

© SZ vom 29.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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