Luftverschmutzung in München:"Dann ist alles schwarz"

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An vielen Stellen in München liegt die Belastung mit Stickstoffdioxid weit über dem zulässigen Grenzwert. Auf den Bistrotischen am Baldeplatz sind die Schadstoffe sogar sichtbar.

Von Andreas Schubert

Unten an der Isar sind die Lastwagen weit weg. Anders als an schönen Sommerabenden findet man an diesem Mittwochvormittag noch bequem Platz für sein Strandtuch. Der Verkehr auf der Wittelsbacher Brücke wird vom Flussrauschen übertönt, lässiger, denkt man sich, kann es in München gerade nirgends zugehen. Dass sich da oben eine viel befahrene Verkehrsachse vom Giesinger Berg Richtung Kapuzinerstraße zieht, interessiert hier unten niemanden. Auch oben im Restaurant Fugazi No.15 sitzen die Menschen entspannt im Baumschatten vor ihren Nudeltellern und stören sich nicht an dem Lärmteppich, der sich hier ganztags über das Viertel legt. Lastwagen um Lastwagen, Auto um Auto schiebt sich hier vorbei. Immer wieder staut sich der Verkehr in die Kreuzungen am Baldeplatz und an der Thalkirchner Straße hinein. Man riecht die Abgase, keine Frage. Aber die Menschen, die hier trotzdem abhängen, haben sich offenbar an Lärm und dreckige Luft gewöhnt.

Je weiter man sich von der Isar entfernt und der Lindwurmstraße nähert, da wo es nicht mehr so schöne große Bäume wie am Baldeplatz gibt, fällt die Kapuzinerstraße nicht gerade durch eine hohe Aufenthaltsqualität auf. Sie ist nach den jüngsten Erhebungen des Landesamtes für Umwelt eine jener Verkehrsachsen in München, die die höchsten Stickstoffdioxid-Werte aufweisen. Der Jahresmittelwert soll laut einer Berechnung bei mehr als 60 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen, das sind 20 Mikrogramm über dem Grenzwert. Gesundheitsschädlich kann das Reizgas, das vor allem Dieselfahrzeuge in die Welt blasen, schon bei der Hälfte des Grenzwertes werden, sagt das Umweltbundesamt.

Womöglich liegen die berechneten Werte in München sogar noch höher. Zwar wurde das potenzielle Schadstoffaufkommen mit einem komplizierten Verfahren ermittelt, das zum Beispiel den Anteil von Lkw und Bussen berücksichtigt sowie die verschiedenen Schadstoffklassen der Fahrzeuge, die umliegende Bebauung und noch einige andere Faktoren. Das Münchner Umweltreferat hält die Berechnungen des Freistaats aber für veraltet, weil die Angaben der Autobauer zu ihren Emissionen nicht der Realität entsprechen, wie sich gezeigt hat.

Es könnte also noch schlimmer sein, man weiß es nicht genau. Fest steht aber: Es ist schlimm genug. Etwa 25 000 Autos und Lkw fahren hier täglich durch. Das sind zwar rund 9000 weniger als noch im Jahr 2005, aber immer noch ausreichend viele, um den Leuten, die hier wohnen oder arbeiten, ziemlich auf die Nerven und die Atemwege zu gehen.

2013 hat die Stadt hier zwei neue Radstreifen eingerichtet, seitdem ist die Straße sicherer für Radler und wird auch deutlich mehr von ihnen genutzt. Dafür stehen nun die Autofahrer mit laufenden Motoren im Stau, gerade im Berufsverkehr tut das der Luft nicht gerade gut. Für Roswitha Wagner, die hier seit sieben Jahren zusammen mit Monika Berse den Imbissladen "Speis Girls" betreibt, ist die Verkehrssituation eine "Katastrophe". Sie wundere sich, sagt sie, warum hier immer noch so viele Autos durchkommen. Viele, nimmt sie an, könnten über den Mittleren Ring ausweichen. Aber wie das halt so ist: Autofahrer bevorzugen den direkten Weg, Stau hin oder her. In Wagners Laden riecht es angenehm nach Fleischpflanzerl und Leberkäs, die Tür bleibt auch im Sommer zu, der Dieselqualm von der Straße soll draußen bleiben. "Wir fangen hier um halb sechs an, da geht's noch", sagt Wagner. "Aber wenn es halb sieben wird, ist hier stehender Verkehr." Vor dem Laden stehen kleine Tische, die Wagner mehrmals am Tag abwischen muss, weil auf ihnen die Abgase sichtbar werden. "Dann ist alles schwarz", sagt sie. "Dreck pur - wenn meine Kinder hier aufwachsen müssten, würde mich der Schlag treffen." Doch nicht nur die Abgase sind es, die Wagner und Berse Sorgen machen, auch um die Sicherheit ist es ihrer Ansicht nach nicht gut bestellt. Schon zweimal ist ihnen in den vergangenen sieben Jahren ein Auto ins Schaufenster gekracht.

Diese Geschichte kennen die Nachbarn hier alle. Ben Bey, der nur ein paar Meter weiter in einem ehemaligen Toilettenpavillon am Baldeplatz einen Blumenladen betreibt, erzählt sie auch. Er trägt trotz Sommer eine Jacke, weil drinnen die Klimaanlage auf Hochtouren läuft. Die Tür bleibt auch bei ihm zu. "Das kostet einen Haufen Strom, aber es hilft ja nix", sagt Bey. Die Abgase seien schon ein Problem für die Menschen. Seinen Schnittblumen, die er draußen aufgestellt hat, machten sie nichts aus. Wie man die Autos vom Baldeplatz wegbekommen würde, weiß auch er nicht. "Am besten wäre natürlich hier eine Fußgängerzone", sagt er und lacht dabei. Natürlich weiß er, dass das ein allzu frommer Wunsch ist. "Aber Tempo 30 wäre schon ganz gut." Denn wenn mal weniger los ist auf der Straße, rasten sie hier mit ihren Sportwagen schon mal mit 70, 80 durch.

Das treibt natürlich vor allem Eltern um. "Das hier wird mal der Schulweg meines Kindes", sagt zum Beispiel Tina Huber, die gerade mit einem Kinderwagen die Straße entlang kommt. Sie wohnt ein paar hundert Meter entfernt, im ruhigeren Dreimühlenviertel, dennoch bekommt sie den Verkehr hier fast täglich mit. Wie viele Münchner wünscht sie sich mehr Alternativen zum Auto, mehr Carsharing oder einen besseren öffentlichen Nahverkehr. "Vor allem würde ich mir wünschen, dass schneller etwas vorangeht", sagt sie.

Immerhin nimmt der Radverkehr in München trotz nicht immer günstiger Bedingungen zu. Einer, der in der Stadt grundsätzlich radelt, ist Max Sigl. "Auch bei schlechtem Wetter", sagt er. Der Giesinger fährt die Kapuzinerstraße regelmäßig entlang. Den Fahrradstreifen hier findet er "relativ in Ordnung", da gebe es schlimmere Ecken, zum Beispiel in der Werinherstraße in Obergiesing, wo sich Auto und Rad stellenweise gefährlich nahe kommen. Sigl hat den Münchner Verkehr in den vergangenen Jahrzehnten zu- und die Chance, einen Parkplatz zu finden, abnehmen sehen. "Das Auto nehm' ich nur, wenn ich' s wirklich brauche", erzählt der Rentner, bevor er sich wieder auf den Weg macht in Richtung Innenstadt, vorbei am Alten Südfriedhof.

Der hat sich in den vergangenen Jahren zum Freizeitparadies für Jogger, Bärlauchsammler oder Eichhörnchenbeobachter gewandelt. Wer hier zwischen alten Bäumen und Grabsteinen flaniert, kann aufatmen: Die dicke Luft der Straße bleibt vor der mächtigen Friedhofsmauer zurück.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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