Ludwigsvorstadt:Saubere Sache

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Wer sich matt und verschwitzt durch den Hauptbahnhof kämpft, findet im Zwischengeschoss schnelle Erfrischung

Von Stefanie Schwetz, Ludwigsvorstadt

Allmählich werden die Temperaturen wieder kühler, der Sommer neigt sich seinem Ende entgegen. Es ist aber nur wenige Tage her, da sah man im Münchner Hauptbahnhof von der Hitze ermattete Gesichter, durstige Menschen in verschwitzten Kleidern, auf der Haut ein klebriger Film aus Staub und Schweiß. Mit jedem Grad auf dem Thermometer stieg der Schwitzfaktor. Wer aus einem der klimatisierten Züge kletterte, um sein Gepäck Richtung Ausgang zu bugsieren, fühlte sich schlagartig wie in der Sauna. Die Luft stand über der Bahnhofshalle. Jetzt: Ein Königreich für eine Dusche. Das fanden auch die drei Zugbegleiter, die mit dem ICE aus Frankfurt angekommen waren und wegen eines längeren Diensteinsatzes für eine Nacht ein Hotelzimmer bezogen, in dem sie sich erstmal eine Dusche genehmigten. Normale Reisende haben eine Etage tiefer im Zwischengeschoss hinter Gleis 26 Gelegenheit, zu duschen. Dort gibt es eine gewerbliche Sanitäreinrichtung mit Toiletten sowie einer Duschkabine für Frauen und drei für Männer - was vermuten lässt, dass am Bahnhof mehr verschwitzte Herren als Damen unterwegs sind.

Im Jahr 2010 hatte der heutige Betreiber die von einem Mitbewerber übernommene Anlage komplett saniert und zu einem WC- und Duschcenter ausgebaut. Die Außenfassade besteht aus matten Glasbausteinen. Innen eröffnet sich ein weiß gekachelter Sanitärkomplex mit blauen Bodenfliesen und in die Decke versenkten Lichtquellen, flankiert von den obligatorischen Rauchmeldern. Ansonsten strahlt viel Gelb durch den erstaunlich neutral riechenden Raum, der sich hinter einer zentralen Theke in die Tiefe erstreckt.

Im Foyer herrscht stetes Kommen und Gehen, begleitet von Geldwechseln, Zurufen, Gedränge und Gelächter. Eine junge Frau flieht vor der Hitze und kämpft sich mit ihrem Trolly durch den Eingang zum Toilettenbereich: rechts für Herren, links für Damen. Zwei lauthals plappernde Freundinnen verfangen sich mit ihren Halstüchern in den gläsernen Schiebeschranken und verursachen einen kleinen Stau. Eine Mutter versucht ihren vierjährigen Sohn davon zu überzeugen, dass jetzt der Zeitpunkt sei, aufs Klo zu gehen - wenn auch auf die Damentoilette, wofür sie massiven Widerstand erntet. Es ist schon erstaunlich, dass all dieser kommunikative Aufruhr die Ouvertüre zu einer so intimen Handlung wie dem Gang zur Toilette ist.

Rund um die Uhr im Dienst der Kunden aus aller Welt: Bei "Rail & Fresh" im Hauptbahnhof herrscht zu jeder Zeit Hochbetrieb. (Foto: Robert Haas)

Die WC-Benutzung inklusive Bonusgutschein ist per Münzeinwurf für einen Euro zu haben, der Aufenthalt in einer der Duschkabinen kostet sieben Euro für 20 Minuten. Billiger ist es nur in den städtischen Schwimmbädern zum Früh- und Spätschwimmertarif, allerdings nicht an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr. Wer duschen will, muss sich beim Personal am Tresen melden. Svetlana R. arbeitet seit drei Jahren bei dem Sanitärbetrieb. Unentwegt ist sie mit Putzutensilien unterwegs, wischt mal mit dem Aufnehmer über den Fußboden, mal mit dem Lappen über die Theke. "Am Freitag und Samstag ist hier am meisten los", erklärt sie. Aber natürlich hänge das auch von den Temperaturen ab. Routiniert lässt die 50-Jährige den Blick wandern, ob jemand etwas braucht, und erklärt manch unbeholfenem Gast das Procedere öffentlicher Sanitärnutzung.

Bezahlt wird das Duscherlebnis im Voraus. "Brauchen Sie noch Handtücher?", fragt die Servicekraft aufmerksam. Denn für weitere sieben Euro Pfand gibt es ein Set, bestehend aus Duschläufer, Badetuch, Handtuch und Waschlappen, sowie zwei kostenlose Portionen Duschgel. Damit die vorgesehene Duschzeit von 20 Minuten nicht überschritten wird, trägt Svetlana R. Datum und Uhrzeit fein säuberlich in eine Liste ein und verstaut den dafür vorgesehenen Ordner unter der Theke. Dann weist sie einen in das überschaubare Reich der Körperhygiene.

Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, ist man auf eine fast unheimliche Weise ganz für sich. Ein Gefühl der Privatheit kommt auf, gepaart mit dem Bewusstsein nüchterner Fremdheit. 2,30 mal 1,50 Meter misst der fensterlose Raum, der in seiner schlichten Funktionalität an das Badezimmer eines Studentenapartments erinnert: einfache weiße Kacheln, Waschbecken, Spiegel, Toilette ohne Deckel und eine 150 mal 80 Zentimeter große Duschkabine mit durchsichtiger Glastür. Keine Deko, kein Schnick-Schnack, was ungewohnt erscheint, wo Baumärkte, Discounter und Kaffeeröster mit ihren saisonalen Angeboten regelmäßig dazu aufrufen, Badezimmer in Wellness-Oasen zu verwandeln.

Eine Duschkabine gibt es für die Damen, drei für die Herren. (Foto: Robert Haas)

Dabei wird vergessen, dass 1,9 Prozent der Münchner Wohnungen laut der jüngsten Zensus-Erhebung im Jahr 2011 keine Bade- oder Duschmöglichkeit haben. In 1,8 Prozent der Wohnungen müssen die Bewohner nach dieser Statistik sogar auf eine Toilette verzichten. Wer keine Gelegenheit hat, innerhalb der eigenen vier Wände oder im Hotel zu duschen, der geht in die städtischen Hallenbäder oder in das Duschcenter am Hauptbahnhof. Und tatsächlich fühlt man sich auch dort ein bisschen wie im Schwimmbad - besonders wenn das Wasser, das einem aus dem knapp unter der Decke in der Wand verankerten Duschkopf über den Körper rinnt, nach 14 Sekunden versiegt und man mit Seife in den Augen nach dem Startbutton tastet.

Die Sanitäranlage am Münchner Hauptbahnhof, so Kerstin Müller von der Betreiberfirma Hering Sanikonzept GmbH, sei nicht als öffentliches Bad zu verstehen. Und in der Tat handelt es sich hierbei eher um eine erweiterte WC-Anlage, deren Duschkabinen einen zusätzlichen Service darstellen. "Unsere Kunden sind in erster Linie Reisende", erklärt Müller. Aber auch Geschäftsleute seien darunter, die sich vor oder nach einem Termin frisch machen wollen. Und obwohl im Herrenbereich mehr Duschen zur Verfügung stehen als bei den Damen, sieht man eines Morgens einen jungen Mann mit nassen Haaren, Gepäck und britischem Akzent sichtlich erfrischt aus der Damendusche kommen. Corinna B., 35 Jahre alt, Zugbegleiterin aus Stuttgart, dagegen war nur kurz auf der Toilette, um anschließend vor einem großen Spiegel Frisur, Make-up und Uniform in Ordnung zu bringen. "Ich wüsste gar nicht, wo man sich sonst hier am Bahnhof unter halbwegs hygienischen Bedingungen frisch machen könnte", sagt sie.

Im Übrigen sind 20 Minuten für ein ausgedehntes Pflegeritual mit Tuben, Tiegeln, Nassrasur dann doch zu knapp bemessen. Da muss sich der erhitzte Besucher aufs Zähneputzen, Duschen und Haarewaschen beschränken. Denn die Duschen am Münchner Hauptbahnhof sind weniger Orte entspannter Körperpflege, als solche, den Schmutz und Schweiß des Tages, der Nacht, der Arbeit und des Unterwegsseins abzuwaschen und danach gleich wieder aufzubrechen zu einer Urlaubsreise, zum Geschäftstermin oder einfach nur nach Hause.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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