Oktoberfest:Die Drahtmasche gegen wilde Biesler

Lesezeit: 2 min

Leben hinter Gittern: Die Anwohner am Kaiser-Ludwig-Platz schützen sich mit einer ungewohnten Methode vor den Auswüchsen der Wiesn. (Foto: Stephan Rumpf)

Eine Hausgemeinschaft am Kaiser-Ludwig-Platz schützt ihr Anwesen zur Wiesnzeit mit einem Bauzaun. Die Anwohner wollen so die Belästigung durch feiernde oder urinierende Besucher reduzieren

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Dass das Oktoberfest für Anwohner weit weniger lustig ist als für Besucher, ist bekannt. Jetzt versuchen erstmals Mieter und Wohnungseigentümer eines Hauses, auf die massiven Probleme aufmerksam zu machen. Am Kaiser-Ludwig-Platz, rund 50 Meter vom Festgelände entfernt, haben sie einen mehr als hundert Meter langen Bauzaun aufgebaut - um das gesamte Gebäude herum. Er trennt tausende Wiesnbesucher von ihrem Haus, Garten und Hof.

Ein Archäologe, der im Haus wohnt und bei seinen Ausgrabungen öfters Bauzäune nutzt, hatte diese Idee, ein weiterer Hausbewohner, Martin Ruckert, der auch für die CSU im Bezirksausschuss sitzt, schlug vor, auf dem Zaun mit Plakaten "Denkanregungen" zu geben und sichtbar zu machen, was der gewöhnliche Tages-Wiesn-Besucher so nicht wahrnimmt, weil die meisten Auswüchse eben erst in den späten Abendstunden auftreten. Außer "Vorgärten sind keine Liegewiese" lesen Passanten, dass das Umfeld des Oktoberfestes stark Verkehrsstaus, Lärm und Dreck ausgesetzt ist. "Hier ist keine Mülldeponie." Eine weitere Hausbewohnerin kümmerte sich um die Illustration, mit der Waffen, Sex und Geschrei im Garten verboten werden.

Optisch ist der Bauzaun keine Bereicherung, und nicht jeder im Haus war begeistert davon, sich zu verbarrikadieren. Einige sprachen von "Guantanamo", sie wollten nicht zwei Wochen hinter einem Bauzaun leben. Andere thematisierten die Haftungsrisiken, falls sich jemand verletze, der den Zaun zu überwinden versuche. Bislang ist letzteres nicht eingetreten. Vielmehr sehe man im Haus deutliche Zeichen der Besserung, sagt einer der Initiatoren.

Nachts sei es jetzt wesentlich ruhiger, erzählt Martin Ruckert. Insbesondere würden die Wiesnbesucher jetzt nicht mehr stracks in Richtung Hof laufen, obwohl das Tor weiterhin offen sei. Die Atmosphäre sei weniger bedrohlich für diejenigen, die im Dunklen nach Hause kommen. Man habe sonst nie gewusst, was einen auf den letzten Metern zur Haustür erwartet, sagt Ruckert. Dass sich plötzlich ein aufgeschreckter Betrunkener aus dem Gebüsch erhebe - in diesem Jahr habe er das noch nicht erlebt. Auch dass die Menschen auf einen Balkon oder an die Hauswand direkt unter einem Fenster urinierten, sei in diesem Jahr so nicht vorgekommen. Zumindest habe man jetzt einen Sichtschutz, und wenn jemand pinkle, dann wenigstens mit Abstand zum Haus.

Von der Stadt fühlen sich die Wiesn-Anlieger im Stich gelassen. Dort vertrete man offenbar die Meinung, die Anwohner seien schließlich freiwillig dorthin gezogen, sie hätten gewusst, was auf sie zukommt. Doch Verbesserungen wären möglich, sofern der Wille dafür da sei, meint Ruckert. Ein Verkehrskonzept müsse her. Denn man habe vor einigen Jahren den abgesperrten Bereich um jeweils einen Block vergrößert, doch die Verkehrsführung nicht angepasst.

Das Chaos sei dadurch größer geworden, Parkplätze Mangelware. Er sei schon zum Parken bis zum Partnachplatz gefahren, erzählt Rückert. Auch ist am Ludwig-Thoma-Platz die Straße breit, deshalb werde er als "wilder" Busparkplatz missbraucht. Bis der Bus komme, sammelten sich die Abreisewilligen, meist in Feierlaune und mit großem Harndrang. Dann warte der Busfahrer mit laufendem Motor - bis der letzte Fahrgast eingestiegen sei. In dem Verkehrskonzept müsse es deshalb auch darum gehen, Busse nahe dem Festgelände zu vermeiden. Man müsse über "Abbiegesituationen" nachdenken, denn durch die Abbieger entwickelten sich oft massive Staus, die sich noch in anderen Stadtteilen auswirkten. Der Lieferverkehr solle auf bestimmte Zeitfenster beschränkt werden.

Und dann müsse "Wildbieseln", eigentlich bereits eine Ordnungswidrigkeit, auch wirklich geahndet werden - zumindest so häufig, dass es abschreckend wirke. Derzeit werde das wilde Bieseln während der Wiesn toleriert. Am Kaiser-Ludwig-Platz stehe die Polizei direkt vor dem Haus. Vier Polizisten kontrollierten dort an der Sperrung. Gegen das Treiben im Garten und Hof seien sie nie eingeschritten.

© SZ vom 29.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: