Logistik auf der Wiesn:Ohne ihn steht das Hackerzelt still

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Ralph Bernwinkler ist im unergründlichen Organismus des 7000-Sitzplätze-Hacker-Festzelts derjenige, der den Überblick behält. (Foto: Robert Haas)

Ralph Bernwinkler kümmert sich um alles, was dem Wiesnbesucher meist verborgen bleibt. Er weiß, wie man 7000 Menschen glücklich macht - und hat dabei den schönsten Blick auf den Kotzhügel.

Von Anna Hoben

Wenn man Ralph Bernwinkler eine Weile zugehört hat, wie er erzählt, was er so macht den lieben langen Wiesntag, lässt sich eine Frage nicht vermeiden: Was ist eigentlich hier los, wenn Sie mal krank sind, Herr Bernwinkler? "Das hab' ich auch schon überlegt", sagt der Mann mit dem Bruce-Willis-Look, Fastglatze, Dreitagebart, ruhige Stimme. Zu einem Ergebnis gekommen ist er nicht. Krank sein während der Wiesn, das ist halt auch keine Option und ihm in zehn Jahren noch nicht passiert.

Damals, vor zehn Jahren, fragte er auf gut Glück, ob es nicht einen Job für ihn gebe im Hackerzelt. Erst hieß es Nein, dann hieß es Ja, dann war er drin - und blieb. Seitdem ist Bernwinkler, 51, der sogenannte Magaziner vom Hackerzelt, man könnte auch sagen: der Mann für alles. Er ist einer von 120 Mitarbeitern, die im Hintergrund die Voraussetzungen dafür schaffen, dass jeden Tag bis zu 7000 Menschen gleichzeitig Bier in Litern trinken, auf Bänken tanzen und eine Gaudi haben können.

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Ob er sich manchmal die guten alten Zeiten zurückwünscht, in denen er einfach nur Gast war? Kurzes Zögern, dann entschlossenes Kopfschütteln. Nein, er vermisst nichts, vor allem dann nicht, wenn er während einer kurzen Verschnaufpause vom Fenster im ersten Stock hinausschaut. Da draußen nämlich befindet sich "der schöne Hügel", wie es Bernwinkler ausdrückt, der Kotzhügel also; im Hackerzelt haben sie quasi Logenplätze mit bester Sicht aufs Geschehen, "da kann man schon das eine oder andere beobachten".

Nach Feierabend, so um 18 Uhr, trinkt er schon gern noch "ein kleines Bier", also eine Mass, die er aber nie leer macht. Der Gedanke an den nächsten Arbeitsmorgen sitzt schon im Hinterkopf. "Man ist zum Arbeiten hier, und das macht Spaß, nicht zum Feiern." Arbeiten, das heißt: zusehen, dass immer von allem genug da ist. Genug Semmeln, genügend Putzmittel, genügend Arbeitskleidung für die 50 Köche. Fehlt eine Bestecktonne für die Spülküche? Ralph Bernwinkler besorgt sie. Sein Einkaufszettel ist ein Klemmbrett, darauf steht dann zum Beispiel: 500 Kilogramm Kartoffeln, 200 Liter Milch. Das einzige, mit dessen Nachschub der Magaziner auf dem Bierfest nichts zu tun hat, ist das Bier. Darum kümmert sich die Brauerei.

Ansonsten ist Bernwinkler im unergründlichen Organismus des 7000-Sitzplätze-Festzelts derjenige, der den Überblick über alles behält, und folgerichtig führt er also bei einem Rundgang erst einmal hoch auf die Empore. Ein Tag unter der Woche, kurz nach elf Uhr, Blick vom Brauereibalkon: Zwei Drittel der Bänke sind frei, da ist noch Luft nach oben, nach links und rechts. Ist das Oktoberfest heuer auch für den Magaziner entspannter? Die typisch diplomatische Bernwinkler-Antwort geht so: "Wenn mehr los ist, dann ist es auch für mich stressiger."

In der Zeit zwischen Anfang Oktober und Anfang September ist Ralph Bernwinkler als Gartenpfleger selbständig. Etwa vier Wochen im Jahr liegt das Geschäft brach, und statt auf fremde Rasen fährt der 51-Jährige auf die Wiesn. Um 4.50 Uhr steht er auf, mit der U-Bahn geht es von Großhadern zum Goetheplatz. Um sechs Uhr sperrt er das Hackerzelt auf, dann beginnt das Gewusel vor den Gästen. Die Lieferanten kommen. Jetzt, kurz vor der Mittagszeit, sitzen am Lieferanteneingang ein paar Mitarbeiter auf umgedrehten Spezi-Kisten und pusten Rauch in die Luft. Bernwinkler zeigt auf die Gasse neben dem Zelt: "Die ist früh morgens voll mit Lastwagen." Er nimmt die Lieferanten in Empfang und sich oft Zeit für einen kleinen Plausch. Man kennt sich teils seit Jahren, "das ist wie eine große Familie".

Nach den Lieferanten kommt die Wäscherei vorgefahren, sie bringt die gereinigten Tischdecken und Arbeitsklamotten. Während Bernwinkler alles einräumt und die Magazine sich füllen, erwacht die Rauschfabrik, und der Tag beginnt auch für die restlichen Mitarbeiter. Erste Priorität jetzt: Kaffeekochen für die Küchenschufter. Im Lauf des Tages wird er zehn Riesenkannen ansetzen. Der Magaziner ist nicht nur dafür da, dass kein Material ausgeht, sondern auch dafür, dass gute Laune und Wachheit erhalten bleiben.

Während man beim Rundgang durch die Küche noch staunt über vietnamesische Studentinnen, die im Akkord Salate putzen und schneiden, und über badewannengroße Stahlbehälter voll mit Kartoffelsalat, führt Bernwinkler in die Lagerräume: hier Fleisch, da Milchprodukte, drüben Gemüse, dort Mehl, Ketchup, Gewürze. Frische Lebensmittel bestellt der Küchenchef, für alles andere sorgt der Magaziner. Gerade eben etwa sind Semmeln ausgegangen. Eine Mitarbeiterin steckt es ihm im Vorbeigehen, Bernwinkler zückt sein Handy und schreibt dem Großbäcker eine Whatsapp-Nachricht: "Hallo, bitte 100 Semmeln, danke." Minuten später die Bestätigung: Semmeln sind unterwegs.

Kurz nach zwölf Uhr, das Zelt ist mittlerweile gut gefüllt. Auch wenn man nur eine Stunde mit dem Magaziner unterwegs ist, merkt man, dass er irgendwie immer da ist, wo er gerade gebraucht wird. Das Ausweichen im wuseligen Gang, das Sich-an-der-Wand-entlangdrücken, ohne im Weg herumzustehen, Bernwinkler hat es perfekt drauf. Abends hilft er oft mit, den Kellnerinnen den Weg frei zu machen.

Dass er sich von nichts aus der Ruhe bringen lässt, das habe er auch erst mit der Zeit gelernt, sagt er. Wenn er nach zwölf Stunden Feierabend hat und ein Kollege übernimmt, fährt er nach Hause, verbringt noch ein bisschen Zeit mit der Familie, geht mit dem Hund Gassi. Nach so einem Wiesn-Tag, ist man da nicht zu aufgekratzt, um gleich zu schlafen? Wieder so eine gelassene Bernwinkler-Antwort: "Wenn man weiß, dass man alles richtig gemacht hat, kann man auch gut schlafen."

© SZ vom 29.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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