Literatur:Mit Erinnerungen in die Zukunft

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Barbra Breeze Anderson schreibt auf Englisch und Deutsch. (Foto: Atelier Monaco)

Die Autorin Barbra Breeze Anderson kam aus Harare nach München - beim Atelier Monaco stellt sie ihre Texte vor

Von Marleen Beisheim, München

"Es gibt Geräusche, die mich wecken, selbst wenn meine Augen offen sind. Es gibt Düfte, die mich gefangen nehmen, selbst wenn es noch so stressig ist." Mit diesen Sätzen beginnt ein Gedicht von Barbra Breeze Anderson. Sie beschreiben, wie sehr manche Geräusche und Gerüche sie aus dem gegenwärtigen Moment reißen, Erinnerungen aus Simbabwe hochkommen. Anderson ist auf der Suche nach ihnen, um sich zu Hause zu fühlen.

Als Autorin und Spoken Word Poetin erzählt Anderson auf Englisch und auf Deutsch über ihre Vergangenheit in Harare. Und über ihr derzeitiges Leben in München, über "Erlaubnisse, Ausländerbehörde, und wie es für eine Migrantin ist, hier zu sein", sagt sie. Mal analysierend, mal imaginierend spricht sie über Identität, Liebe, Politik und Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und Religion. Begleitet werden ihre Worte von ihren tanzenden Händen und ausdrucksstarker Mimik, manchmal auch von Gitarrenklängen und manchmal von Stille.

Anderson war bereits in der Schule in Literaturvereinen und begann, eigene Texte zu schreiben. In Harare arbeitete sie in einem Kulturzentrum, das kreative Workshops für junge Menschen anbot. "Durch diese Workshops habe ich dann auch andere kritische Menschen kennengelernt. Das hat mich inspiriert weiterzuschreiben", sagt die Autorin. Das Kulturzentrum sei eher kommerziell gewesen, aber immerhin habe es jungen Menschen eine Plattform gegeben. Heute gebe es wegen Gewalt und Propaganda noch weniger Raum, sich auszudrücken. Wenn es um die derzeitige Lage in Simbabwe geht, ist es ihr wichtig, die Vergangenheit mitzudenken. Mit ihren Texten möchte sie auf die Kolonialgeschichte aufmerksam machen. "Die Leute hier wissen nicht so viel über die Geschichte Afrikas und über Afrika, was genau passiert ist", sagt sie "und wie Europa schuldig ist" an der derzeitigen politischen Lage von Simbabwe. Doch langsam würden die Menschen anfangen, darüber zu reden.

Nach München kam Anderson 2018 über ein Freiwilliges Soziales Jahr beim "Kulturraum München". "Das war ganz spannend", sagt sie, weil sie "einen Einblick in die kulturelle Szene" bekommen habe. Gekommen ist sie wegen besserer Zukunftsperspektiven. Hier hat sie auch herausgefunden, dass München und Harare Partnerstädte sind, zumindest formal. In München hat sich das Thema Frau-Sein für sie verändert. "In Simbabwe musste ich immer kämpfen, um unabhängig zu sein", so Anderson, denn es sei gerade für junge Menschen und für Frauen schwierig, finanziell unabhängig zu sein. Aber auch in München gebe es Unterschiede hinsichtlich des soziokulturellen Hintergrundes und der Herkunft: "Es ist nicht so, dass jede Frau hier unabhängig sein kann, aber es gibt schon einen Raum dafür."

Intersektionalität, die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen, spielt eben auch eine Rolle. "Ich bin schon eine Feministin, aber ich mag dieses Label nicht", sagt sie. Die feministischen Bewegungen haben sie inspiriert, aber sie seien in Simbabwe für sie eine Art ausländische Bewegung gewesen. Und auch heute identifiziere sie sich weniger damit. "Ich fühle mich nicht als Teil der feministischen Bewegung hier, die meisten sind weiße Frauen", sagt sie. Bei Anderson geht es nicht nur um das Frau-Sein, sondern auch um das Migrantin-Sein. Deswegen ist ihr aktuelles Thema "Getting out of the box". Wir alle denken in Kategorien, die von unserer Sozialisation und der Gesellschaft geprägt werden. Es führe zu Missverständnis und Hass, so Anderson. Diese Schubladen aufzubrechen und eine Willkommenskultur aufzubauen, sieht sie als einen Schritt hin zum Frieden. Darüber möchte sie mit Menschen diskutieren. Anstatt Poetry-Slams - der Wettkampf hat sie müde gemacht - möchte sie nun persönlichere und kleinere Veranstaltungen machen.

Am Donnerstag werden sie und Sibylla Hirschhäuser, zwei Autorinnen, die auf sehr unterschiedlichen Wegen zum Schreiben gefunden haben, per Livestream beim Atelier Monaco der Monacensia ihre Texte vortragen und erzählen, wie es ihnen als Autorinnen in München geht. Und darüber, was in München läuft, was nicht läuft und was es braucht. Dabei hofft Anderson, wie sie in einer Gedichtzeile formuliert, "dass bald neue Düfte die alten Düfte von zu Hause werden".

Atelier Monaco , Donnerstag, 5. Nov., 19 Uhr, Livestream aus der Monacensia auf Youtube über www.muenchner-stadtbibliothek.de

© SZ vom 05.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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