Literatur:Bücher von morgen

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Ein Sammelband zeigt literarische Möglichkeiten im Netz

Von Yvonne Poppek, München

"Als ich begann, Notizen für diesen Text zu machen, schrieb ich als Erstes den Satz auf: ,Das Internet ist mir vollkommen egal.'" Es ist ein verblüffender Gedanke, den die Autorin Paula Fürstenberg für ihren Beitrag im Sammelband "Screenshots. Literatur im Netz" (edition text + kritik) zunächst formulierte. Auch schon vor Corona, also bevor sich so vieles ins Internet verlagerte. Fürstenberg hat sowohl einen Roman geschrieben, "Familie der geflügelten Tiger", als auch Essays auf Zeit-Online veröffentlicht. Mit beiden Formen - Buch und Internet - ist die Berliner Autorin also vertraut. Trotzdem dachte sie zunächst: egal. Das Medium beeinflusse ihr Schreiben nicht. Einer genauen Überprüfung hielt diese Notiz am Ende nicht stand.

Die Antworten auf die Fragen, wie es Autorinnen und Autoren mit dem und im Internet ergeht, was für Formen des literarischen Schreibens und Denkens dort entstehen, ob es gar "digitale Literaturen" gibt, sollte eine Tagung im Dezember 2017 im Münchner Literaturhaus ermitteln. Netz-Autoren und Wissenschaftler waren eingeladen worden, ihre Überlegungen einzubringen. Auf den Tagungsbeiträgen basiert nun ein Sammelband, den Katrin Lange und Nora Zapf herausgegeben haben und der vor allem ein Bild vermittelt: Die Antworten sind keinesfalls einheitlich. Und: Das Netz ist ein großes, immer noch neues Experimentierfeld für Autoren, dessen sichere Referenz bislang das Buch ist.

Zapf und Lange haben "Screenshots" in vier Abschnitte unterteilt. Da geht es zunächst einmal um die Formen, die das Internet generiert, also um die kurzen Texte, die durch Mediendienste wie Twitter oder Facebook und die kurzen Aufmerksamsgewohnheiten der Online-Leser befördert werden. Aber ist beispielsweise ein Tweet dem Aphorismus verwandt? Miriam Lay Brandner, Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Eichstätt-Ingolstadt, zeigt hier zumindest Parallelen auf. Stefanie Sargnagel illustriert die kleine Form, indem sie einen Auszug aus ihren "Statusmeldungen" beisteuert, ihren online verfassten Gedankenfetzen, die auch als Buch erschienen sind.

In einem anderen Abschnitt subsumieren die Herausgeberinnen die Texte, die sich mit den technischen Möglichkeiten und deren Auswirkungen auf das Schreiben befassen. Hannes Bajohr nimmt sich beispielsweise Eugen Gomringers Gedicht "Schweigen" an, transcodiert es. Oder er verbindet alle Wörter einer Website, die zwei oder mehrere aufeinanderfolgende identische Buchstaben enthalten, neu zu Gedichten.

In Screenshots fehlen auch nicht die Überlegungen zu den politischen Interventionen von Literatur im Netz, das Internet wird hier als "Agora" aufgefasst, womit die Bedeutung gleich mitformuliert ist. Und natürlich geht es auch um die Autorschaft im Buch und im Netz. Ist es dasselbe oder doch etwas Unterschiedliches? Fürstenberg jedenfalls erkennt für sich, dass die Ich-Darstellung und die Ich-Suche jeweils anders sind. "Ich ahne", schreibt sie, "dass ich auf die Lesegewohnheiten des Netzes reagiere." Und sie kommt zu dem Schluss: Bei der literarischen Fiktion werde ihr Weg nicht über das Netz führen.

Interessant ist zu beobachten, dass die Überlegungen oder auch die Art der Veröffentlichung die Autoren stets vom Netz auf das Buch zurückführen. "Screenshots" ist insofern ein ideenreicher Zwischenbericht, der sich noch nicht vom Druckwerk emanzipiert. Allerdings muss man hinzufügen: Tagung und Textsammlung liegen vor der Corona-Krise, die von Künstlern nun ganz neue, deutlich netz-affinere Wege einfordert. Was nun entsteht, könnte genug Stoff für Überlegungen zu neuen "Screenshots" liefern.

Screenshots. Literatur im Netz , edition text + kritik, 195 Seiten, 24 Euro

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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