Literatur:Besser als ein Heizpilz

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Liebeslyrik: Anton G. Leitners neues Jahresbuch

Von Sabine Reithmaier

Weßling - Abstand als die neue Nähe - das darf nicht sein. Diese Erkenntnis bewog Anton G. Leitner, die neue Ausgabe seines Jahrbuchs "Das Gedicht" der Liebe zu widmen, genauer der Wiederentdeckung derselben in Zeiten der Pandemie. Die Liebe und das Dichten darüber erscheine ihm so kostbar wie lange nicht, schreibt der Weßlinger Verleger und Dichter im Editorial. Daher habe er sich "nach fünfzehnjähriger Enthaltsamkeit" entschlossen, wieder eine opulente Liebesanthologie vorzulegen.

Liebe und Erotik gelten als Leitners Spezialgebiet, seitdem er zur Jahrtausendwende die "Geilen Gedichte. Vom Minnesang zum Cybersex" herausgab. Die Reaktionen auf dieses erste von mehreren "Erotik-Spezials", in dem unter anderem Ulla Hahn, Friederike Mayröcker, Robert Gernhardt, Matthias Politycki oder Gerhard Rühm erotische Gedichte veröffentlichten, waren heftig. Die Zeitschrift kehrte sackweise nach Weßling zurück, weil die Buchhändler die Annahme verweigerten, auch weil ihnen das Titelbild - der Fotograf hatte in eine Faust hinein fotografiert - anstößig erschien. Die allgemeine Erregung wirkte sich positiv auf die Auflage aus, Leitner kam mit dem Nachdrucken kaum nach.

Das wird ihm vermutlich mit der neuen Ausgabe nicht passieren, nach Provokationen sucht man vergebens, auch weil sich Leitner nichts mehr beweisen muss. Doch es bleibt bewundernswert, wie er es seit 28 Jahren schafft, auch unter schwierigen Bedingungen alljährlich "Das Gedicht" herauszugeben und damit einen Überblick über Gegenwartsdichtung zu liefern. Freilich hat das Virus Leitner wieder zum "editorischen Solisten" gemacht, zum alleinigen Herausgeber im Gegensatz zu den vergangenen Jahren, in denen er das Jahrbuch mit je einem anderen Autor gestaltet hatte. Nur um die Kinderlyrik hat sich auch dieses Mal und wieder ganz ausgezeichnet Uwe-Michael Gutschhahn gekümmert.

Gegliedert ist der 28. Jahrgang in fünf Kapitel mit ganz lapidaren Titeln: Liebe kommt. Liebe brennt. Liebe geht. Liebe bleibt. Liebe wächst. Darin besingen 184 Poeten und Poetinnen, darunter Tanja Dückers, Kerstin Hensel, Franz Hohler, Helmut Krausser, Paul Maar, Matthias Politycki, Ilma Rakusa, Arne Rautenberg, Joachim Sartorius, Raoul Schrott, Xóchil A. Schütz und Jan Wagner, in 235 Gedichten die Facetten der Liebe; sie wählen ganz unterschiedliche Tonlagen, die Bandbreite reicht von hymnischer Begeisterung bis zur tiefsten Depression. Längst ist Fitzgerald Kusz nicht mehr der Einzige, der in Mundart dichtet.

Der älteste Poet ist Gerhard Rühm, Jahrgang 1930, die jüngste Autorin Anna Münkel, Jahrgang 2001, die ihren Vorsatz, das Lachen und Lächeln in der Welt zu mehren und zu stärken in ihrem "Zwei für einen - Du bist nicht da"-Gedicht amüsant umsetzt. Helmut Zöpfl dagegen spöttelt über Selfie-Wahn und reimt ganz locker: "Ich bin so froh, dass es mich gibt / denn ich habe mich in mich verliebt".

Manchen allerdings kommt die Pandemie sogar ganz gelegen. "Schweren Herzens muss ich, Liebste / Aufgrund der aktuellen Lage/ Ob und wann / Unsere Liebe stattfinden kann / Ist zum momentanen Zeitpunkt / Leider noch offen ...", dichtet Thomas Glatz, während Matthias Politycki ein Gedicht für die Zeit nach der Zeit schreibt, "du weißt schon,/ wenn du wenigstens mal wieder mit Worten / ganz fest in den Arm genommen werden willst". Volker Maaßen stellt sich dann entschlossen dem Trennungsschmerz. "Als du / mich verlassen hast, / nahm ich mir vor, / nie mehr / an dich zu denken. / Auf mein Wort ist / Verlass: / Ich denke ständig daran, / nie mehr / an dich zu denken."

Und so liest man sich durch zarte, innige, dann schroffe, harte Verse, strandet in tiefster Melancholie, um dann wieder erleichtert am Horizont einen Hoffnungsstreif zu erspähen. "Omnia vincit amor", wusste schon der römische Dichter Vergil. Oder wie es Leitner formuliert: "Ein Liebesakt ist eine nachhaltigere Wärmequelle als ein Heizpilz!"

© SZ vom 23.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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