SZ-Serie: München erlesen:Historisches Schelmenstück

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In Benedikt Feitens Roman "Hubsi Dax" wehren sich Giesinger Hausbewohner gegen Gentrifizierung

Von Barbara Hordych, München

Ein "Nachstandler" soll dieser Hubsi Dax gewesen sein, Titelheld von Benedikt Feitens 2016 erschienenem Giesinger Schelmenroman "Hubsi Dax". Einer jener Kleinkünstler also, die nach dem offiziellen Programm der Bühnengrößen noch vor dem Publikum aufgetreten sind, Lieder gesungen, Gedichte aufgesagt oder kleine Schauspielstücke aufgeführt haben. So wie einst auch Karl Valentin als Nachstandler angefangen habe, wie Mark, der Ich-Erzähler in Feitens Roman, im Zuge seiner Recherchen zu München in den Zwanzigerjahren erfährt. "Giesinger Weinbauer, der Berg-Bräu-Keller, Harlachinger Einkehr, Tegernseer Garten, der Schweizerwirt, für seinen Hundemarkt bekannt, der Hohenwart, den es immer noch gibt, wo sich früher die Giesinger unabhängigen Sozialisten getroffen haben, der Aignerhof, Versammlungsort der Sozialdemokraten. Besonders interessant: der Loherwirt in Untergiesing, katholisch und mit Theater, und Zum Heumarkt, Wirkungsstätte der Kabarettgruppe ,Die Komiker' - Hubsi Dax und sein vermeintlicher Wirkungskreis werden vom Ich-Erzähler sehr konkret in den historischen Wirtschaften seiner Zeit verortet. Und lassen seinen einzigen Makel beinahe vergessen: Es hat ihn nie gegeben.

In seinem Roman "Hubsi Dax" beschäftigt sich Feiten mit dem in München allgegenwärtigen Phänomen der Gentrifizierung. Um diese zu verhindern, inszeniert Mark, der sympathische Antiheld des Romans, in einem Akt des Widerstands ein Schelmenstück. Mit Hubsi Dax erweckt er eine Figur zum Leben, die es aus Gründen des Denkmalschutzes unmöglich machen soll, das Haus abzureißen, in dem Mark und seine kleine Familie wohnen. Und weil der 1982 in Berlin geborene Autor Feiten, der für seinen Erstling "35 Stufen" das Münchner Literaturstipendium erhielt und für seinen jüngsten Roman "So oder so ist das Leben" (2019) mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet wurde, auch selbst als Musiker auftritt, lieferte er die Lieder der fiktiven Wirtshauslegende gleich mit und bringt sie bei Lesungen gelegentlich zu Gehör.

Ein melancholischer und randständiger Beobachter sei dieser Hubsi Dax gewesen, charakterisiert Mark seine Fantasiefigur. Und wie es diese Außenseiter so an sich hätten, spotte er gerne. Am liebsten über die, die im Mittelpunkt stehen, die sich gerne selber bespiegeln, denen der Schein dessen, was sie vorgeblich machen, wichtiger ist, als es wirklich zu tun. Und so überzieht der Giesinger Nachstandler die Schwabinger Boheme in seinen erdichteten Liedern mit Hohn. "Du hast dein Bücherl dabei und die Stifte gespitzt, du bist ein Schriftsteller, aber nur, wenn du nicht am Schreibtisch sitzt", reimt der vermeintliche Volkssänger. Je länger sich der im Leben vor sich hinschlingernde Gitarrenlehrer Mark mit seiner fiktiven Wirtshauslegende beschäftigt, desto konkreter formt sich dessen Bild: "War subversiv, immer auf der Seite des kleinen Mannes. Antiautoritär, das schon, aber gleichzeitig traditionsbewusst", erklärt er Frau und Tochter. Hubsi habe "größere Zusammenhänge an der kleinen Giesinger Welt illustriert" - vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, "ein perfekter Zeitraum, um später in Vergessenheit zu geraten".

Gerade zum richtigen Zeitpunkt aus der Versenkung geholt, soll Hubsi die Hausverwaltung daran hindern, das Giesinger Mietshaus an eine gierige Baufirma zu verhökern, die es abreißen und durch Luxuswohnungen ersetzen will. Ein hellsichtiger Plan, allein wenn man an das Aufregepotenzial denkt, das die Medien und die Münchner Öffentlichkeit erfasste, als im November 2017 in Obergiesing von dem illegal abgerissenen, denkmalgeschützten Uhrmacherhäusl in der Oberen Grasstraße nur noch Schutt übrig blieb. Das ereignete sich jedoch erst nach dem Erscheinen von Feitens Roman.

In "Hubsi Dax" erinnert die Situation der letzten Mieter des Giesinger Mietshauses ein wenig an die der Einwohner des gallischen Dorfs in den "Asterix"-Comics: Ton angebend sind Mark und seine Kleinfamilie, der präpotente Unternehmensberater Jochen, ein tüttelig gewordener Professor und die Hausmeisterin Gerda. Die bald siebzigjährige Dame mit Vorliebe für Blusen in kühnen Farben und Leopardenleggings ist die Wirtin der Boazn im Haus. Dort versammelt sich das kauzige und widerständige Personal des Romans, herrlich schrullig gezeichnete Hausbewohner, denen ihr Lebensgefühl im Viertel lieb ist und die partout nicht in eine gesichtslose Vorortsiedlung umziehen wollen. Und die sich zur Wehr setzen, als der Eigentümer ihnen mit Schikanen zusetzt. "Rausekeln wollen's uns. An Aufzug reparieren's net. Die Halbstarken ham's neigelassen. Meiner Kneipn ham's a scho des Gesundheitsamt auf an Hals gehetzt. Aber bei mir, da is alles sauber", zählt Gerda auf. Wobei Mark sinniert, ob ihr schepperndes Lachen eher "triumphierend" klingt oder auf den "wahren Hygienezustand ihrer Küche abzielt". Und wann hat er eigentlich zuletzt das Wort "Halbstarke" gehört? Für ihn sind es Punker, die in den bereits leer stehenden Wohnungen hausen. "Wusste vorher gar nicht, dass es die noch gibt, Punker, sieht man ja fast nie in München."

Was in diesem München-Roman augenzwinkernd und mit viel Lokalkolorit geschildert wird, ist dem Autor durchaus ernst, sagte er seinerzeit im Interview. "Wenn so eine Boazn zumacht wie die von der Gerda, dann ist ein soziales Gefüge kaputt - wo sollen die Menschen denn dann hin?". Und so ist der Schelmenroman "Hubsi Dax" ein eigentümlich anachronistisches Werk - ein ausgesprochen unterhaltsames Stück Literatur über das alles andere als unterhaltsame Phänomen der Gentrifizierung.

© SZ vom 13.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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