Über Korona wurde viel gesagt und viel geschrieben. Aber so recht weiß immer noch keiner Bescheid. Oder wer weiß schon, dass es auch eine "anulare", "fransige" oder "septierte" Korona gibt? Bevor wegen der Schreibweise oder aus anderen Gründen Verwirrung entsteht: Mit Korona ist hier der Schleimhautkranz oder auch Schleimhautsaum gemeint. Oder wie ihn der Volksmund nennt: das Jungfernhäutchen. Weil tatsächlich immer noch sehr viele falsche Annahmen darüber existieren, hat die Freiburger Kulturwissenschaftlerin Oliwia Hälterlein nun einen Essay darüber geschrieben, dessen wichtigste Aussage bereits im Titel steckt: "Das Jungfernhäutchen gibt es nicht." Darin räumt sie mit dem patriarchalischen Jungfernhäutchenmythos und der "Durchstoßlüge" auf und fordert die Leser und Leserinnen auf zu handeln. Das heißt: das Leid, das seit vielen Jahren durch diese Lügenmär entsteht, an die Öffentlichkeit zu tragen.
Untertitelt ist der mit Charme und sprachlicher Angriffslust geschriebene, im Augsburger Maro-Verlag erschienene Text mit "Ein breitbeiniges Heft". Und dazu sieht man eine leicht comic-haft überzeichnete Frauenfigur mit gespreizten Beinen auf dem Umschlag. Diese stammt von der Berliner Comic-Autorin und Illustratorin Aisha Franz, die auch den Rest des gut DIN A 5 großen Heftchens gestaltet hat. Und zwar in sehr bunten, knalligen Farben, sehr frei, verspielt und mit teils bissigem Humor. Drei Farben sind es insgesamt, und zwar Blau, Gelb und Rosa, die durch ihre Kraft und Sattheit auffallen. Der Grund: Die Seiten wurden im Original-Flachdruckverfahren gedruckt. Ebenfalls auffällig sind die Fadenheftung, der komplett durchgestaltete Umschlag und dass dem Heft ein ausklappbares Plakat beiliegt.
Wer die Geschichte des Maro-Verlags etwas kennt, wem die Namen Armin Abmeier und Rotraut Susanne Berner etwas sagen, der könnte sich nun fragen: Klingt das nicht nach einem "Tollen Heft"? Die Antwort ist ja und nein. Denn "Das Jungfernhäutchen ..." ist das zweite "Maro-Heft" und damit Teil einer von Kolja Burmester und Sarah Käsmayr herausgegebenen neuen Reihe, die tatsächlich dort ansetzt, wo die "Tollen Hefte" vor einem Jahr nach 50 Ausgaben aufhörten. Diese kamen von 1991 bis 2000 in Form von 15 Exemplaren zuerst beim Maro-Verlag heraus, dann bei der Büchergilde Gutenberg. Initiiert hatte die Reihe der 2012 verstorbene Armin Abmeier aus München. Ein Buch- und Bildernarr, der damit das "Bauchgefühl" wiederbeleben wollte, das er in seiner Kindheit beim Lesen von Comic-und Abenteuerheften wie "Nick der Weltraumfahrer" hatte.
Das Besondere an der Reihe, die nach Abmeiers Tod von seiner Lebensgefährtin, der Illustratorin Rotraut Susanne Berner, betreut wurde: Die Illustratoren hatten so gut wie absolute Narrenfreiheit, was Künstler wie Axel Scheffler oder Naddia Budde aufs Vorzüglichste nutzten. Diese Tradition wollen sie als Herausgeber mit den Maro-Heften nun weiterführen, erzählt Sarah Käsmayr am Telefon. Die 33-Jährige ist die Tochter des Maro-Verlagsleiters Benno Käsmayr, der übrigens in diesem Jahr den 50. Geburtstag seines Verlages feiern darf (das Fest musste wegen Corona aber leider ausfallen). Für Käsmayr und Burmester war das Jubiläum der "ideale Anlass", um ihr Projekt zu starten, erzählt die gelernte Designerin und Buchgestalterin, die den Maro-Verlag mit ihrem Vater zusammen führt. Nur dass sie das nicht in Augsburg, sondern in Berlin macht.
Kolja Burmester wiederum lebt in Bremen. Dort haben er und Käsmayr zusammen Design an der Hochschule der Künste studiert und zuvor auch schon andere Projekte gemeinsam gemacht. Das mit den Maro-Heften war Burmesters Idee, berichtet Käsmayr. Auch die ersten Themen kamen von ihm und inzwischen, so sagt sie, hätten sie mehr als 90 mögliche zusammen. Denn das ist der Unterschied: Während Armin Abmeier in den "Tollen Heften" vorwiegend seine Lieblingstexte illustrieren ließ, setzen Burmester und Käsmayr auf eigene, gesellschaftspolitische Themen. Außerdem steht auch der Text ein Stück weit mehr im Vordergrund. Und bei den Illustratoren ist es so, dass etwa im Fall von Marcus Gruber ein Schüler von Henning Wagenbrett dabei ist, der wiederum bei den Tollen Heften mitmachte. Womit auch hier gewissermaßen ein Generationenwechsel stattfindet.
Marcus Gruber hat Maro-Heft #1 illustriert, das genauso wie #2 vor kurzem herauskam. Es heißt "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe das erste Quinoabällchen". Den Text hat der Journalist Jörn Schulz geschrieben, der mit diesem überzeugend darlegt, "warum", so auch der Untertitel, "nachhaltiger Konsum das Klima nicht rettet", sondern nur das bestehende Wirtschaftssystem stützt. Gruber fasst diese weitere Lügenmär in apokalyptische Bilder. Massentierhaltung, Massentourismus, Plastikmüll. Nur mit ein bisschen Bio wird das alles nicht verschwinden. Vier Maro-Hefte sind pro Jahr geplant, sagt Käsmayr. Man darf sich also schon auf Nachschub freuen.
Die Maro-Hefte #1 und #2 sind für 18 Euro über www.maroverlag.de oder über den Buchhandel erhältlich.