Lehel:Weiterziehen

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Wieder endet ein Zwischennutzungsprojekt. Die Künstlerin Esther Even schließt ihre Schaufenstergalerie am St.-Anna-Platz

Von Jutta Czeguhn, Lehel

"Bald weg" steht in Rot auf Weiß am Eingang zur Galerie. Diese Botschaft hat einen Subtext, der in etwas zarteren Buchstaben ebenfalls an der Glastür klebt, und zwar schon seit Esther Even diesen Ausstellungsort vor 14 Monaten im ehemaligen Friseurladen am St.-Anna-Platz eröffnet hat. "Meine Galerie ist ein Ort des kreativen Erlebens und Arbeitens. Zeitlich begrenzt auf ein Jahr bis Ende Juli 2016, vielleicht ein paar Monate länger...". Es gab dann diesen Aufschub, doch Ende Januar ist endgültig Schluss für das Zwischennutzungsprojekt. Even geht es wie so vielen Kreativen in München, sie muss weiterziehen. Nun, da sich der kleine Kunstort mit der breiten Schaufensterfront als ein Treffpunkt im Viertel etabliert hat.

Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Gesichertes Terrain lähmt nur die Kreativität. So etwas ist oft zu hören, wenn sich wieder einmal ein Zwischennutzungsprojekt mit Ablauf des befristeten Mietvertrags erledigt hat. Zweckeuphemismus paart sich mit Zweckoptimismus, und es beschleicht einen wieder mal das ungute Gefühl, dass hier eine ziemlich bescheidene Situation - um Haltung zu bewahren - schön geredet wird. Auch Esther Even nimmt es halt, wie's kommt, spricht von "Moving on" und "auf zu neuen Ufern". Allerdings verschweigt sie auch nicht, dass ihr "der Platz sehr ans Herz gewachsen ist". Für sie hat das Quartier im Lehel besondere Atmosphäre. Doch ihr bleibt nicht verborgen, dass auch vor diesem "Klein-Paris", wie sie es nennt, die Gentrifizierung nicht halt macht. Beziehungsweise, dass für das Flair, das die einen anlockt, andere ihren Preis zu zahlen haben. Das Fahrradgeschäft vis-à-vis, erzählt Even und deutet aus dem Fenster, sei nach einer Mieterhöhung verschwunden. Nun also ist das gelbe Haus mit ihrer Schaufenster-Galerie dran. Es wird abgerissen.

In den 14 Monaten, die Esther Even im ehemaligen Friseurgeschäft an der St.-Anna-Straße ihre Galerie betreiben konnte, ist dort ein Kulturtreff entstanden. (Foto: Stephan Rumpf)

Esther Even hat eine schöne Finissage gemacht und lässt das "Open"-Schild noch in der Tür. Wer reinkommt, bekommt einen Tee, ein Glas Wasser und auch noch einige Bilder zu sehen. Doch die Künstlerin ist am Packen, etliche Gemälde lehnen schon in Luftpolsterfolie an der Wand im winzigen Atelier, das sich dem Ausstellungsraum anschließt. 14 Monate können schnell vergehen. Rasant war auch der Anfang, typisch für diese Stadt, wo man schnell sein muss, will man unterkommen. Ihre Wohnung samt Atelier war Esther Even gekündigt worden, über den Hausverwalter bekam sie Kontakt zu einem Makler, der ihr den Tipp gab: "Ich hab' da diesen leer stehenden Friseursalon, fahren Sie gleich hin, rein können Sie nicht, schreiben Sie mir in einer Viertelstunde eine SMS, wenn Sie ihn nehmen." Esther Even schrieb die Kurzmitteilung.

"Als ich dann das erste Mal den Laden betrat, hätte man sich hier noch die Haare an den Becken waschen können", erzählt die Künstlerin, die aus der Gegend von Regensburg stammt, aber seit 20 Jahren mit Unterbrechungen in München lebt. Der letzte Friseur, es gab einige vor ihm, sei über Nacht verschwunden. Even ließ dann alles renovieren, den Holzboden ausbessern, Rigipswände aufstellen, Lampen installieren. "Für eine Summe, mit der man sich auch ein schönes Auto kaufen kann", sagt sie. Wie schön der Raum war, entdeckte sie erst, als alles fertig war.

Nun wird die Künstlerin das teure München verlassen. (Foto: Stephan Rumpf)

Vor 14 Monaten war sie eine, die einzog und angekommen war: Die Frau mit den langen blonden Haaren, die gerne auf einem Holzstuhl hinter der Glastür saß und durch die Schaufenster nach draußen schaute. Neugierig auf die, die da vorbei liefen; Leute auf dem Weg zur nahen U-Bahn oder ins Café, zum Einkauf, beim Gassi-Gehen mit dem Hund. Anfang war da ein gegenseitiges Beschnuppern. Esther Even mag das Wort "Interaktion" nicht. Sie spricht lieber von Begegnungen mit Viertelbewohnern, die sich irgendwann dann einfach reingetraut haben, zu Vernissagen oder zu den Diskussionsrunden, die sie "Salons" nennt. Nicht nur Kunstinteressierte seien das gewesen. "Wir schauen so gerne hier rein, hoffentlich bleiben sie uns lange erhalten", kamen die ermunternden Reaktionen auf Evens ruhige, großflächige Fotoarbeiten und Glasskulpturen.

Noch hängen ihre analogen Aufnahmen, die vor und nach Sonnenuntergang am Indischen Ozean entstanden sind und wie dreidimensionale Aquarelle wirken. Wasser ist das große Thema der Autodidaktin. Sie will sich nun den bayerischen Flüssen widmen. Vielleicht von einem neuen Atelierstandort aus irgendwo auf dem Land. Noch hat sie nichts geeignetes gefunden. Fest steht nur, dass sie das teure München verlassen will oder muss.

Ehe es an diesem Tag, einem der letzten im ehemaligen Friseursalon, weiter ans Packen geht, steht Esther Even etwas versonnen zwischen ihren Bildern da und sagt schließlich: "Werde ich mir das anschauen, wenn das Haus in sich zusammenfällt? Der Gedanke hat mich lange beschäftigt. Aber inzwischen bin ich darüber hinweg und denke mir, ich mache jetzt eine Atempause. Ich hoffe, dass ich irgendwo Leute bei mir haben werde, die mir wieder Neues erzählen, zu meinen Bildern, zu meinen Glaswerken oder übers Wetter einfach." Dann lacht sie.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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