Leerstand in der Pilotystraße:Das Geisterhaus

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Das Gründerzeithaus in der der Pilotystrasse 8 im Lehel muss dringend saniert werden - nur eine Wohnung hat noch eine Mieterin. (Foto: Stephan Rumpf)

Die Pilotystraße 8 steht seit Jahren leer, nur eine 72-Jährige wohnt hier noch. Die Stadt lässt das Anwesen verkommen - gegen diesen Missstand haben die Aktivisten von "Goldgrund" protestiert. Nun soll endlich etwas passieren.

Von Karoline Meta Beisel

Wann die Sache anfing, aus dem Ruder zu laufen, ist schwer zu sagen. Eigentlich war es nie besonders komfortabel, hier zu wohnen. Nicht als Irmi Habereder ein Kind war, als nach den Bomben das Dach brannte. Nicht in den Sechzigerjahren, als die Fenster undicht waren, nicht in den Achtzigern, als im Keller die Feuchtigkeit alles kaputt machte. Zuletzt kamen die Ratten.

Nein, ein besonders komfortables Zuhause war die Pilotystraße 8 nie. Aber vor zwei Wochen ist die früher einmal noble Adresse auch für die Stadt ungemütlich geworden.

Mitte Oktober machten Aktivisten der fiktiven Immobilienfirma "Goldgrund" um Veranstalter Till Hofmann und SZ-Journalist Alex Rühle das Haus gegenüber der Staatskanzlei bekannt. Denn Irmi Habereder, die in Wahrheit anders heißt, wohnt ganz allein in diesem Haus im Lehel, in dem doch so viel mehr Menschen Platz hätten. Das Haus untersteht der Stiftungsverwaltung der Stadt. Die aber lässt die Wohnungen verkommen, fünf im Vorderhaus, zwei im Rückgebäude.

Platz für Menschen mit Ideen

Die Goldgrund-Gruppe bespielte für einen Tag das Haus und zeigte, dass hier durchaus Platz wäre für Menschen mit Ideen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) gab sich empört: "Jeder Leerstand, der keine Begründung wie eine anstehende Sanierung hat, ist ein Skandal." Irmi Habereder findet vor allem Ude selbst skandalös: "Er tut so, als hätte er von nichts gewusst. Dabei gab es im Frühjahr einen Fernsehbeitrag über mein Haus, wo sie ihn dazu befragt haben."

Impressionen aus der Pilotystraße
:Goldgrund besetzt Haus

Impressionen aus der Pilotystraße.

Die Geschichte des Leerstands in der Pilotystraße beginnt im Jahr 2006 mit einem Brief von der Stadt. Die Stiftungsverwaltung kündigt an, das Gründerzeithaus umfassend sanieren zu wollen. Das sei aber nur im unbewohnten Zustand möglich. Irmi Habereder aus dem Erdgeschoss soll in eine Ersatzwohnung umziehen, bis die Arbeiten abgeschlossen sind. Die prächtige Wohnung im ersten Stock, die mit den großen Flügeltüren und den edlen rosafarbenen Tapeten, steht zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr leer: Nach dem Tod des letzten Mieters waren die Räume nicht mehr vermietet worden.

"Jährlich 960 Mark und 24 Pfennige"

Das Haus war schon alt, als ihr Großvater 1927 in die Wohnung einzog, in der die Enkelin heute noch lebt. Die 72-Jährige hat alle Unterlagen in Klarsichthüllen in einem dicken Ordner abgeheftet. Der erste Mietvertrag ist in Fraktur geschrieben. Darin stehen Verbote wie: "Innerhalb des Hauses darf kein Holz gespalten werden", oder dass der Vermieter das Musizieren beschränken darf, wenn ein Bewohner krank ist; als Miete sind "jährlich 960 Mark und 24 Pfennige" eingetragen, zu zahlen in monatlichen Raten. Heute überweist Irmi Habereder deutlich mehr - aber immer noch sehr wenig.

Ursprünglich wohnte die Familie in der Pilotystraße 10. Doch im Krieg zerstörten Bomben ein Nachbarhaus. Seitdem steht eine Acht an der Tür. Auch das Haus, in dem die Habereders wohnen, wird getroffen, die Bewohner helfen beim Löschen. Nach dem Krieg wird nur das Nötigste geflickt: Wände, Dach, Holzofen. Erst Ende der Sechziger rüsten die Habereder-Frauen - außer Irmi noch ihre Mutter und ihre Tante, Männer gibt es keine mehr - die Wohnung selbst mit einer Nachtspeicherheizung und einem Warmwasserboiler nach. Noch heute lautet der Mietvertrag auf eine Wohnung ohne warmes Wasser.

Als die Stadt 2006 die Sanierung ankündigt, ist Irmi Habereder nicht nur begeistert. Aber sie will die Sanierung trotzdem, hat ja selbst immer wieder wegen Feuchtigkeit im Haus und Schwamm im Keller an die Verwaltung geschrieben. Als ihr für die Zeit der Bauarbeiten eine Ersatzwohnung in der Herrnstraße angeboten wird, sagt sie zu. Eine Bitte hat sie nur: Weil die Küche dort zu klein ist für ihre Möbel, sollen die eingelagert werden, für zwei Jahre. Aber die Verwaltung habe abgewunken, so Irmi Habereder, "wir suchen Ihnen lieber eine andere Wohnung, haben die gesagt". Das war im Frühjahr 2007. Danach hört sie lange nichts. "Keiner hat mit uns geredet. Dabei wäre ich sofort ausgezogen, wenn es eine passende Wohnung gegeben hätte."

Getanzt wurde in der Pilotystrasse 8 im Lehel schon lange nicht mehr. (Foto: Stephan Rumpf)

Kurz darauf erfährt sie eher zufällig von einem Techniker, dass die avisierte Sanierung nun doch zu teuer sei und sie in ihrer Wohnung bleiben könne. Die Nachbarin im dritten Stock ist da bereits ausgezogen, eine Freundin von Irmi Habereder noch aus Kindertagen. Sie zeigt ein Foto, auf dem man Irmi und Charlotte mit Rattenschwänzen im Hof sitzen sieht. "Spielen durften wir da aber nie, die Hausmeisterin hat uns immer verscheucht." Stattdessen erobern die Mädchen den Dschungel, der aus den Ruinen des zerstörten Armeemuseums wächst.

Heute steht dort die Staatskanzlei. Eigentlich wollte Charlotte, die Nachbarin, nach der Sanierung in das Haus zurückkehren. Sechs Jahre später sieht ihre alte Wohnung aber aus wie vorher. In einer Zimmertür hängt sogar noch ein Schlüssel: "Gute Fahrt mit Gasolin" steht auf dem Anhänger. Aber abgeschlossen hat hier schon lange keiner mehr.

Im Oktober 2010 kommt ein neuer Brief von der Verwaltung. Mehr als vier Jahre liegt das erste Schreiben da zurück, auch der zweite Stock steht nun schon lange leer. Die Sanierung gestalte sich schwierig, schreibt die Stadt, man arbeite noch an einem wirtschaftlichen Konzept. Auf keinen Fall dürfe man mit einer "unrentierlichen Maßnahme" das Stiftungsvermögen verzehren. Auch ein kompletter Neubau sei denkbar. Und am Ende: "Wir sehen eine Freimachung des Gebäudes nun für unabdingbar." Wieder meldet sich niemand, um mit Irmi Habereder den Umzug zu besprechen. Dass sich das Stiftungsvermögen mit jedem Tag von allein verzehrt, scheint keine Rolle zu spielen.

Die Mieterin ist gesünder als das Haus

2011 verschwindet auch der letzte Nachbar von Irmi Habereder, ein Herr aus dem vierten Stock. Nicht ohne ein Andenken zu hinterlassen: Als er geht, bleibt ein Toilettenfenster offen stehen. Als es im Winter darauf friert, platzt ein Wasserrohr. Irmi Habereder merkt das erst, als es in ihrer Wohnung drei Etagen tiefer von der Decke tropft: "Es ist ja sonst keiner mehr da, der so etwas merken würde", sagt sie. Die Münchner Wohnungsbaugesellschaft Gewofag, die in der Zwischenzeit die Verwaltung des Hauses übernommen hat, hilft schnell. Aber es dauert weitere sechs Monate, bis das Haus wieder trocken ist. In den oberen Etagen kann man die Wasserflecken heute noch sehen.

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Irmi Habereder ist froh, dass sie nicht Tag für Tag an diesen Räumen vorbeigehen muss. Ihre Wohnung hat einen eigenen Eingang vom Hausflur aus, aus früheren, glanzvolleren Zeiten. Die Treppen stören die 72-Jährige nicht: Habereder ist fit und deutlich gesünder als das Haus, in dem sie wohnt. Aber sie gruselt sich: "Ich finde es unheimlich, so allein hier." Wenn es nach ihr ginge, würden wieder Familien und Kinder einziehen, den Innenhof könnte man gemeinsam nutzen. Sie selbst würde unten in ihrer Wohnung bleiben.

"Manche sagen, ich bin schuld daran, dass das Haus so lange nicht saniert wurde. Die sagen, ich bin wie Hausschwamm, den man nicht wieder loswird", sagt sie. "Dabei würde ich ja ausziehen, wenn es nötig wäre." Tatsächlich ist es das wohl nicht: Der Architekt Matthias Marschner, der für die Goldgrund-Aktivisten das Haus untersucht hat, sagt, dass es die Arbeiten zwar erleichtern würde, wenn alle Wohnungen leer wären. Ihm zufolge könnte das Haus aber auch dann saniert werden, wenn Irmi Habereder in ihrer Wohnung bliebe.

Die Stiftungsverwaltung findet es "bedauerlich", dass so lange nichts geschehen ist. Bis Ende November soll entschieden werden, wie es weitergeht. Architekten, Handwerker und Gewofag-Leute trappeln durchs Treppenhaus. So viel Leben hat Irmi Habereder hier lange nicht gesehen.

© SZ vom 04.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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