11. Lange Nacht der Museen:Kunst und Katzenstreu

Angst vor den Massen und Nasenfettflecken bei Damien Hirst: Das Museum Brandhorst erlebt seine erste Museumsnacht.

Judith Liere

Die weißen Baumwollhandschuhe hat Elisabeth Bushart immer griffbereit. Ihr Handy auch. Sie hat Bereitschaftsdienst. Wenn etwas passiert, muss sie schnell handeln, retten, was noch zu retten ist. "Normalerweise passiert nichts", beschwichtigt sie auch sich selbst.

Allerdings ist an diesem Samstagabend nichts normal: München feiert die Lange Nacht der Museen, und das stellt Elisabeth Bushart, die Restauratorin vom Museum Brandhorst, und den Rest des Teams vor ziemlich viele Herausforderungen.

Seit 19 Uhr spuckt die Drehtür am Museumseingang im Sekundentakt Menschen ins Foyer. Bereits eine halbe Stunde nach Beginn heißt es deshalb: wegen Überfüllung geschlossen. Mehr als 600 Besucher auf einmal dürfen sich nicht in der 3200 Quadratmeter großen Ausstellung bewegen; Sicherheitsbestimmungen. Die Schlange wartender Kunstinteressierter in der Theresienstraße reicht bereits bis um die Gebäudeecke. Erst wenn jemand rausgeht, darf wieder jemand rein. Die meisten Wartenden nehmen's gelassen. "Ach, es bewegt sich ja", meint eine Besucherin, "und wir wollen das Brandhorst unbedingt sehen, da waren wir nämlich noch nicht."

Zum elften Mal gibt es in München die Lange Nacht der Museen, die Veranstalter schätzen, dass am vergangenen Samstag rund 20.000 Menschen unterwegs waren. Das Brandhorst ist zum ersten Mal dabei, jedenfalls zum ersten Mal mit Kunst. Im letzten Jahr konnten die Besucher der Langen Nacht lediglich die Architektur des leeren Gebäudes bestaunen. Einzug der Sammlung zeitgenössischer Kunst und offizielle Eröffnung waren erst im Mai dieses Jahres.

"So, wo gehen wir jetzt hin?"

Es sind also viele neugierig auf den Neuling in der Münchner Museumslandschaft - so viele, dass die Kuratorin Nina Schleif entschied, es gebe ein paar Werke, die dem nicht gewachsen sind. Ron Muecks Plastik "Mother and Child" zum Beispiel. "Wir haben sie heute Abend rausgenommen, das war einfach zu gefährlich, bei den Menschenmassen." Die irritierend realistische Figur einer nackten Frau, die ihr Neugeborenes auf dem Bauch hat, lebe davon, dass man ganz dicht rangehe, "das ist der Reiz", sagt Schleif. "Aber heute wäre da sicher dauernd der Alarm losgegangen, das Werk wollen immer alle anfassen. Und wenn da einer drauffällt!" Schleif wagt den Satz gar nicht zu beenden, erzählt, dass der australische Künstler Mueck extrem langsam arbeite, ein halbes Jahr für ein Werk, den könne man nicht einfach anrufen und bitten, mal schnell was auszubessern. "Und der ganze Staub wäre auch zuviel für die Silikonoberfläche", ergänzt Restauratorin Elisabeth Bushart.

23 Männer und Frauen sind für den Abend im Brandhorst als Aufsichtspersonal eingeteilt, fast alles Externe, die sonst als Sicherheitsleute bei der Messe Riem arbeiten. Im Untergeschoss, in Raum -1.5, steht ein bulliger Wachmann seit zwei Stunden schützend vor Katharina Fritschs extrem einsturzgefährdet aussehendem "Warengestell mit Vasen". "Du ziehst unten eine raus, ich oben", witzelt ein Besucher, der Wachmann verschränkt die Arme und zieht nur leicht die Augenbraue hoch.

Kurze Zeit später, in demselben Raum: Alarm dudelt los, diesmal rührt der Wachmann sich. Ein Mann um die sechzig hatte in die "Geldkisten" von Katharina Fritsch gegriffen, um mal herauszufinden, wie sich die kleinen Metallscheiben in den silbernen Geldkassetten so anfühlen.

Irgendwo piepst immer ein Alarm an diesem Abend im Brandhorst, besonders häufig trifft es Damien Hirsts riesige Vitrine im Untergeschoss. Das Werk mit dem etwas sperrigen Titel "In this terrible moment we are victims clinging helplessly to an environment that refuses to acknowledge soul" enthält 26.000 bunte Pillen, jeder hat der Künstler einen speziellen Platz in der Vitrine zugewiesen. Einige Nasenfettflecken zieren drei Stunden nach Einlass die Glasscheibe des Werks.

Bis zu 50 Leute gleichzeitig drängeln sich davor, der junge Mann von der Aufsicht kommt gar nicht hinterher, alle zu ermahnen, doch bitte Abstand zu halten. Irgendwann ersetzt die Museumsleitung kurzerhand den Alarm durch ein niedriges Stahlseil als Absperrung. Kuratorin Nina Schleif seufzt: "Gut sieht das natürlich nicht aus, die Leute sollen ja auch nah randürfen, aber heute geht's eben nicht anders."

Das Publikum ist eine Mischung aus Kunstkennern und Neugierigen, die sonst eher nicht in Museen gehen. Von den einen hört man Wörter und Satzfetzen wie "Dieses Jahr in den Giardini der Biennale...", "die Plastizität des Werks..." und Diskussionen über die "Hängung". Andere sagen: "Das ist ja ein besonderer Witzbold, dieser Bruce Nauman", als sie vor dessen blinkendem "Mean clown welcome" stehen, und "Irene, schau, so ein Scheiß, das ist einfach nur ein Sack Katzenstreu" vor Robert Gobers Gipsplastik "cat litter".

Nur wenige Besucher nehmen sich viel Zeit für einzelne Werke. Die meisten schlendern durch die drei Etagen und bleiben nirgendwo lange stehen oder sitzen. Auch Audioguides sind kaum gefragt. In dem dunklen Raum, in dem ein Dokumentarfilm des albanischen Künstlers Anri Sala läuft, bleiben die Stühle meist leer. 26 Minuten 39 dauert der Film - an einer Nacht wie dieser, in der die meisten Besucher ein straffes Programm abarbeiten, ist das zuviel.

"So, wo gehen wir jetzt hin?" Zwei Paare um die Dreißig diskutieren, während im Hintergrund Leonardo di Caprio in Lederjacke grimmig von David LaChapelles Foto schaut. "Die Pinakothek der Moderne ist doch nebenan", schlägt eine der Frauen vor. "Das lohnt sich ja gar nicht", antwortet ihr Freund, "die kostet sonntags immer nur einen Euro. Lass uns lieber gucken, wie wir heute unsere 15 Euro Eintritt rausholen." Man einigt sich aufs Haus der Kunst, "da ist doch gerade dieser Chinese."

Kurz vor Mitternacht werden die Blicke leerer

Vor Damien Hirsts spiegelnder Vitrine machen vier junge Frauen ein Foto von sich selbst. Maria, Hildegard, Amelie und Mirjam sind alle 18, wohnen am Ammersee und machen gerade ihr Abitur. Maria mag Andy Warhol, die anderen eher nicht so. Das Brandhorst gefällt ihnen gut, "nur den ersten Stock fand ich ein bisschen langweilig, da sind so viele Bilder ohne Titel, meint Amelie.

Im ersten Stock also sind Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen des Amerikaners Cy Twombly ausgestellt. Hier ist auch das "Herzstück" des Museums, wie die Info-Broschüre sagt: ein eigens für Twomblys "Lepanto"-Zyklus entworfener halbrunder Saal. Zwölf Gemälde stellen die historische Seeschlacht bei Lepanto aus dem Jahre 1571 dar. "Heinz, die bunten Flecke sagen mir jetzt auch nichts mehr", klagt eine Frau.

Es ist kurz nach Mitternacht, die Gesichter der Besucher werden müder, die Blicke leerer. Viele haben bereits drei oder vier Museen hinter sich. "Das sieht aus wie ein Paintball-Feld", kommentiert ein junger Baseball-Mützenträger Twomblys Werk. Gegen Viertel vor zwei strömt der Großteil der Besucher Richtung Ausgang, lässt sich von der Drehtür wieder in die kalte Nacht schieben. Einige verharren noch in den nun fast leeren Räumen. Einsam wirkt plötzlich eine Bronze-Skulptur von Twombly in dem großen Saal.

Um die hatte Kuratorin Schleif besonders Angst. "Die sieht so robust aus, ist aber sehr zerbrechlich." Doch trotz Massenandrangs verlief der Abend friedlich und unfallfrei im Museum Brandhorst. Restauratorin Elisabeth Bushart hat ihre weißen Handschuhe nicht gebraucht.

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