Verkehr:Wenn Uropa noch Auto fährt

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Die Zahl der Senioren am Steuer steigt. Und damit die Gefahr durch Autofahrer, die nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Die Gemeinde Pullach macht die Fahrtauglichkeit älterer Menschen zum Thema.

Von Bernhard Lohr, Pullach

Ein 92-jähriger Autofahrer kommt mit dem Automatikgetriebe nicht klar. Er verliert beim Einparken die Kontrolle über sein Auto und das schießt in die Auslage des Schuhgeschäfts Felzmann in Unterhaching. Eine Mutter reißt im Laden ihr Kind zur Seite und bewahrt es vor Schlimmerem. Der Unfall, der sich im April 2016 an der Münchner Straße ereignet, ist spektakulär und bleibt deshalb in Erinnerung. Doch Unfälle mit Hochbetagten am Steuer passieren immer wieder. Und wenn es kracht, kommt regelmäßig die Diskussion auf: War der Fahrer noch in der Lage, sein Auto zu steuern?

Die Gemeinde Pullach macht die Frage, die bei einer älter werdenden Bevölkerung eine zunehmende Zahl von Menschen betrifft und beschäftigt, am Montag, 17. September, im Bürgerhaus zum Gegenstand eines Themenabends. Die Möglichkeit, ins Auto einzusteigen und loszufahren, sehen gerade Senioren im ländlichen Raum als Garantie für ein selbständiges Leben und für Teilhabe.

Doch mit fortschreitendem Alter schränken altersbedingte Schwächen oder Krankheiten die Fähigkeiten ein. Den Anlass für den Themenabend bietet der Welt-Alzheimertag am 21. September. Mitveranstalter ist die Alzheimer-Gesellschaft Landkreis München, deren Vorsitzender Jürgen Hoerner dazu aufruft, vor dem Problem nicht weiter die Augen zu verschließen.

Denn er hört viele Geschichten von Angehörigen, die sich nicht mehr recht zu helfen wissen, weil der Vater oder Großvater trotz Einschränkungen darauf besteht, Auto zu fahren. Es gibt Fälle von Senioren, die mit ihrem Auto losfahren und dann am Irschenberg oder in der Sauschütt in Grünwald stehen und den Weg nicht mehr zurück nach Hause finden.

Den Angehörigen bleibt dann oft nur noch, die Autoschlüssel zu verstecken. Denn anders als in vielen Ländern wie etwa Spanien fehlen Vorschriften, von einem gewissen Alter an die Fahrtauglichkeit von einem Arzt überprüfen zu lassen.

Regelmäßige Tests sind in Deutschland nicht vorgeschrieben

Der ADAC lehnt solche Checks, die etwa vom 65. Lebensjahr alle fünf Jahre stattfinden könnten, ab und bezeichnet diese als "nicht verhältnismäßig". Ältere Autofahrer machten 21 Prozent der Bevölkerung aus, seien aber nur für 15 Prozent der Verkehrsunfälle verantwortlich, schreibt der Automobilclub und rät zu freiwilligen Tests sowie dazu, sich im Alter mit technischen Assistenzsystemen Hilfe zu organisieren, etwa beim Einparken.

Chefarzt Jens Benninghoff leitet das Zentrum für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen am Isar-Amper-Klinikum in Haar. Er wird an dem Themenabend in Pullach sprechen. Er rät zur Differenzierung und dazu, Senioren nicht ohne Not zu verunsichern und unter Druck zu setzen. Er sagt, Unfallstatistiken wiesen etwa bei den bis zu 80-Jährigen noch gar keinen Anstieg auf. Erst im neunten Lebensjahrzehnt gebe es vermehrt Unfälle.

Die Statistik des Polizeipräsidiums München zählte vergangenes Jahr 3885 Unfälle in Stadt und Landkreis München unter Beteiligung von Senioren ab 65. Die Entwicklung der vergangenen Jahre spiegelt die demografische Entwicklung wieder, wobei 2016 und 2017 die Zahl der Unfälle mit Senioren gegen den Trend sogar zurückgingen. Zuletzt sanken sie um 6,1 Prozent.

Solche Zahlen werden immer wieder angeführt, wenn es heißt, Senioren dürften nicht diskriminiert werden. Dennoch: Die Anforderungen an die Autofahrer steigen insgesamt. Der Verkehr ist gerade im Großraum München dicht. Autofahrer teilen sich mehr und mehr mit Radfahrern und Fußgängern denselben Straßenraum. Rücksicht und Übersicht sind gefordert.

Altersmediziner Benninghoff sieht deshalb tatsächlich schon die Gesellschaft gefordert, auf die wachsende Zahl von Senioren am Steuer eine Antwort zu geben. Er ruft einerseits zu Toleranz gegenüber den Autofahrern auf, die langsamer fahren und scheinbar übervorsichtig im Straßenverkehr unterwegs sind. Senioren zeigten, dass es auch ohne Hast gehe.

Andererseits ruft Benninghoff dazu auf, Senioren Alternativen anzubieten, damit diese ohne eigenem Auto mobil bleiben könnten. Das Modell des Bürgertaxis, wie es die Gemeinde Haar betreibt, hält er für vorbildlich. So etwas sollten sich Kommunen im wohlhabenden Münchner Umland leisten.

Jürgen Hoerner von der Alzheimer-Gesellschaft spricht sich von einem gewissen Alter an für regelmäßige ärztliche Untersuchungen wie in Spanien aus. Benninghoff ist da vorsichtiger, aber er lehnt das nicht kategorisch ab. Er sagt, demenzielle Erkrankungen würden mehr und mehr zu einem Problem: das räumliche Vorstellungsvermögen schwindet, die Reaktionsfähigkeit lässt nach.

Manche Senioren sind ganz abgesehen davon schlicht durch Medikamente eingeschränkt, die sie regelmäßig einnehmen. Benninghoff hat selbst einmal einen älteren Mann am Steuer gestoppt, der desorientiert am Ende mit seinem Wagen auf einer Verkehrsinsel landete. Er würde möglichst niederschwellig ab einem gewissen Alter ärztliche Sehtests vorschreiben. Wenn dabei Anzeichen auf weitere Defizite aufträten, müsste ein weiterer Arzt konsultiert werden.

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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