Protestaktion:"Wir sind mehr!"

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Sechsmal mehr Menschen als sich die Veranstalter der Demonstration gegen Rechtsextremismus erhofft hatten, kamen auf den Rathausplatz in Unterschleißheim. (Foto: Claus Schunk)

Etwa 800 Teilnehmer und Teilnehmerinnen demonstrieren auf dem Unterschleißheimer Rathausplatz für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Unterdessen trifft sich die AfD im Sitzungssaal und verspricht ihren 80 Zuhörern Konzepte, liefert aber keine.

Von Laura Geigenberger, Unterschleißheim

Es scheint, als hätte ganz Unterschleißheim am Samstag noch einmal in die Faschingskiste gegriffen, so farbenfroh leuchtet die Menschenmenge auf dem Rathausplatz in der Nachmittagssonne. Manche haben sich Mützen, Jacken und Schals in den Farben des Regenbogens herausgesucht, andere Pink-, Gelb- und Grüntöne miteinander kombiniert. Je knalliger, desto besser - schließlich steht die Demonstration, mit der etwa 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Zeichen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus setzen wollen, unter dem Motto "Unterschleißheim ist bunt". Ihre Botschaft: "Alle zusammen gegen den Faschismus!" und "Wir sind mehr!", skandieren sie in Sprechchören.

"Ich glaube, dass es am besten hilft, auf die Straße zu gehen, Unangenehmes immer wieder anzusprechen und ins Bewusstsein zu rücken", sagt Merlin Kornherr. (Foto: Claus Schunk/)

Zu der Kundgebung aufgerufen hatte das neue Bündnis "Unterschleißheim für Demokratie und Vielfalt", das einige Stadträte und engagierte Bürger in der vorherigen Woche gegründet hatten und dem mittlerweile mehr als zwanzig kommunale Organisationen angehören. Als Anlass nennt Veranstaltungsleiter Merlin Kornherr "natürlich" die Recherchen des Redaktionsnetzwerks "Correctiv". Doch Zufall sei es nicht, dass die Demo am selben Tag stattfindet wie eine öffentliche Parteiveranstaltung der AfD, zu welcher deren Kreisverband München-Land den rechtspopulistischen Landtagsabgeordneten Andreas Winhart ins Unterschleißheimer Rathaus eingeladen hat. "Wir wollen allen Leuten hier zeigen, dass wir uns für die Demokratie und Menschenrechte starkmachen - und gegen Hass und Hetze," sagt Kornherr.

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Neben Kornherr hatten zudem Stadträte parteiübergreifend das neue Bündnis initiiert, darunter der Grünen-Poliker Bernhard Schüßler. Der Ton im Gremium sei "rauer" geworden, seit die AfD dort mit zwei Sitzen vertreten ist, sagt er. "Man merkt, dass viele Stadträte der anderen Parteien nicht genau wissen, wie sie damit umgehen sollen." Schüßlers Parteifreundin Brigitte Huber betont, dass sich in der Zivilbevölkerung hingegen das Bedürfnis nach Widerstand rege. Es sei deshalb an der Zeit, in Unterschleißheim ein Zeichen zu setzen, stimmt Birte Bode (SPD) zu: "So eine Demo stärkt einen, weil man zusammen zeigen kann, dass man sich zu den Grundwerten der Demokratie bekennt und diese weitertragen möchte."

Innerhalb von zehn Tagen habe man deshalb mithilfe vieler Freiwilliger die Kundgebung samt Rahmenprogramm aus dem Boden gestampft, erzählt Merlin Kornherr. Angesichts der bunten Menschenmenge, die zum Veranstaltungsbeginn um 16 Uhr auf den Rathausplatz strömt, freue er sich "riesig". 150 Teilnehmer hatte das Bündnis für die Kundgebung angemeldet - gekommen sind laut Schätzung der Polizei jedoch fast sechsmal so viele, darunter zahlreiche Familien sowie Senioren. Aus München sind Mitglieder der Initiative "Omas gegen rechts" angereist. Viele Demo-Teilnehmer haben selbstgemalte Schilder mitgebracht, um ihrer Kritik an der Rechtsaußenpartei Ausdruck zu verleihen. "Bunt statt braun" ist etwa neben der Zeichnung eines äpfelnden Einhorns mit Regenbogenmähne zu lesen. Auf anderen stehen Botschaften wie "Katzis statt Nazis", "Wenn Menschen Menschen hassen, entstehen wieder Klassen" oder "EkelhAfD".

Mehr als 800 Menschen haben am Samstag auf dem Rathausplatz in Unterschleißheim für Demokratie und Vielfalt demonstriert. (Foto: Claus Schunk)

Dass der AfD-Kreisverband vor dem Rathaus mit einem Infostand ebenfalls präsent ist, an dem gar einmal mit Megafon rechtsextreme Parolen skandiert werden, ignorieren die Demonstranten. Das Rahmenprogramm zur Kundgebung sorgt für Ausgelassenheit: Vor der Bühne tanzen Kinder zu den Klängen der Münchner Band Buck Roger & The Sidetrackers; für die selbst geschriebenen Stücke von Unterschleißheimer Dichterinnen und Musikern gibt es viel Applaus. Ebenso für Bürgermeister Christoph Böck (SPD), als der verkündet, dass die heutige Demonstration "zweifelsfrei die größte" sei, die es jemals in Unterschleißheim gegeben habe.

Auch viele Unterschleißheimer Musiker beteiligten sich an der Demonstration. (Foto: Claus Schunk)

Als sich die Kundgebung gegen 18 Uhr auflöst, kippt jedoch die Stimmung. Vor dem Hinterausgang des Rathauses macht sich ein 80-köpfiges Polizeikommando bereit zum Schutz der bevorstehenden AfD-Veranstaltung. Zuvor hatten die Beamten Fenster und Eingänge mit Absperrgittern gesichert. Denn anlässlich der Rede des AfD-Landtagsabgeordneten Winhart hatte die Antifa-Bewegung aus München angekündigt, mit einer eigenen Protestveranstaltung die AfD "zu blockieren, zu stören und ihr entgegenzutreten, wo immer es geht". Zwanzig schwarz gekleidete Jugendliche sind es dann, die sich mit ihren Fahnen vor dem Rathauseingang aufbauen. Auf der anderen Seite der Barrikaden haben sich ihrerseits AfD-Sympathisanten mit Deutschland-Flaggen positioniert. Sprechchöre und Beschimpfungen schallen über den Platz. Zwei Männer geraten über den Zaun hinweg aneinander und werden handgreiflich; ein Polizeibeamter geht dazwischen.

80 Polizeibeamte sind in Unterschleißheim im Einsatz. (Foto: Claus Schunk)

Als vor rund 80 Zuhörerinnen und Zuhörern im Sitzungssaal die Parteiveranstaltung der Rechten beginnt, kehrt draußen Ruhe ein. Ihr Motto: "Ampel-Angriff auf den Mittelstand: Konzepte der AfD für eine Politik mit Verstand". Angesichts der Proteste zeigt sich die Kreisvorsitzende Christina Specht betont gleichgültig. Diesen "Spießrutenlauf" sei man ja inzwischen gewöhnt, sagt sie in ihrer Begrüßungsrede, kündigte aber gleichzeitig an, Bürgermeister Christoph Böck wegen seiner "Beteiligung an der Demo" anzeigen zu wollen. Dem folgt die einstündige Rede des Landtagsabgeordneten Andreas Winhart; zunehmend erhitzt wettert er gegen die Bundesregierung und Europapolitik. Sie mache das Leben der deutschen Bürger "zur Hölle", sagt er und vergleicht den hiesigen Lebensstandard mehrfach mit dem eines "Dritte-Welt-Landes". Auf die von der Partei im Veranstaltungstitel angekündigten politischen Konzepte wartet man jedoch vergebens.

Sprach neben anderen bei der Demonstration am Samstag in Unterschleißheim: Bürgermeister Christoph Böck von der SPD. (Foto: Claus Schunk)

Auf dem abendlichen Rathausplatz begleitet Merlin Kornherr indes noch die letzten Abbauarbeiten der bunten Kundgebung, erschöpft aber hoffnungsvoll. Sicher sei, dass das Bündnis für Demokratie und Vielfalt in Unterschleißheim aktiv bleiben und "helle Zeichen" setzen werde. "Es muss gesehen werden, dass wir die demokratische Mehrheit sind", sagt Kornherr. Vielleicht lasse sich mit vereinten Kräften doch noch der eine oder andere zum Umschwenken bewegen. Fort von Hass und Hetze und zurück zu demokratischen Werten - wie Menschenachtung, Gerechtigkeit und Toleranz.

In einer früheren Fassung hieß es, der AfD-Kreisverband habe an seinem Infostand rechtsextreme Parolen per Megafon skandiert. Tatsächlich wurde von Personen, die an dem Infostand standen, wiederholt per Megafon skandiert: "Es gibt ein Recht auf Nazi-Propaganda", was offenbar vom AfD-Kreisverband geduldet wurde.

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