Unterhaching:Den Verstummten eine Stimme geben

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Christine Mittlmeier, Michael Schätzl und Wolfgang Winter (von links) haben am LMGU aus Büchern gelesen, die während der NS-Zeit verboten waren. (Foto: Claus Schunk)

Viele Werke, die von den Nazis verboten wurden, sind heute unbekannt. Um den vergessenen Autoren zu gedenken, veranstaltet das Lise-Meitner-Gymnasium eine Lesung aus verbrannten Büchern. Darin finden sich Gedanken, die auch heute aktuell sind.

Von Celine Imensek, Unterhaching

Brecht, Kästner, Feuchtwanger - Werke dieser bekannten Autoren verbrannten die Nationalsozialisten 1933 in mehreren Universitätsstädten während der sogenannten "Aktion wider den undeutschen Geist". Unter den insgesamt etwa 400 Namen damals verbotener Schriftsteller waren auch viele, die man heute nicht mehr kennt. Um ihnen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie eigentlich verdient haben, veranstaltete am Donnerstag das Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching (LMGU) ein Mensagespräch zum Thema "Aus verbrannten Büchern lesen". Die Schulkantine war an diesem Abend gut besucht. Das lag sicher auch daran, dass die Veranstaltung für alle Elftklässler verpflichtend war.

Zu Gast waren drei Lehrer des Asam-Gymnasiums in München, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die damals zerstörten Werke wiederzufinden und in der "Münchener Freiheitsbibliothek" aufzubewahren. Die private Sammlung aus Werken von derzeit 183 Autoren befindet sich im Büro von Michael Schätzl. Am Anfang seiner Suche bemerkte er, dass sich schon auf der ersten "Schwarzen Liste 'Schöne Literatur'" Schriftsteller fanden, die man nicht kannte. Deshalb suchte er nach einem Weg, den Vergessenen zu gedenken. Schätzl und seine Kollegen, Christine Mittlmeier und Wolfgang Winter, nutzen die bereits gesammelten Bücher, um zu forschen und Lesungen wie am LMGU anzubieten. Ihr Ziel ist es, zumindest alle Werke zu finden, die auf jener schwarzen Liste standen, die 1933 ein Berliner Bibliothekar erstellte.

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Als Gastgeber dieses Mensagesprächs führten Schulleiterin Michaela Trinder und Zehntklässlerin Ekaterini Tsiouprou in das Thema ein, die Referenten begannen ihren Vortrag mit einer Rekapitulation der Ereignisse zwischen Hitlers Ernennung zum Reichskanzler im Januar 1933 und der Bücherverbrennung im Mai desselben Jahres. "Dabei ging es nur in zweiter Linie um die Zerstörung der Bücher", sagte Winter, der als Geschichtslehrer Referendare in diesem Fach ausbildet. "Eigentlich wollte man anderes Denken vernichten und Juden verbrennen", so Schätzl. Der Initiator der "Münchener Freiheitsbibliothek" betonte die heutige Bedeutung der Bücher in einer Zeit, in der "bestimmtes Denken wieder verboten werden will".

Als dann Christine Mittlmeier begann, aus einem der verbotenen Werke vorzulesen, verstand man, warum die Lehrer ihre Bibliothek als "Apotheke für unsere Gegenwart" bezeichnen: "Eine skrupellose Kriegsführung schreckt nicht vor dem Bombardement von Städten zurück, deren einziges Verschulden darin besteht, jenseits der Grenzen eines kriegsführenden Staates zu liegen", schrieb beispielsweise Gertrud Woker, eine Biochemikerin, die in einem Appell 1932 an ihre Kollegen aus der Wissenschaft vor dem Einsatz biochemischer Waffen warnte.

Sowohl bei Mittlmeier als auch ihrem Kollegen Winter bekam man als Zuhörer das Gefühl, sie würden eine Rede halten. Während Winter einen Text der Pädagogin Alice Rühle-Gerstel und ihrem radikal links-gesinnten Mann Otto Rühle rezitierte, untermalte er seine Worte mit einfacher Gestik. Er pausierte an entscheidenden Stellen, nahm seine Brille ab und blickte in den Zuschauerraum. Winter und Mittlmeier wirkten in dieser Situation wie die Urheber der Werke, die sie wiedergaben. Damit gelang ihnen, was sie schon am Anfang der Lesung als wichtig hervorhoben: den Verstummten eine Stimme geben und hinter deren Botschaften und Aussagen zurücktreten.

Bei der Diskussion entsteht Unruhe im Publikum - einigen Schülern dauert es zu lange

Als schließlich Schätzl eine Selbstbeschreibung des Mathematikers Emil Julius Gumbel vortrug, verstand man, warum der Deutschlehrer mit dem Sammeln der Bücher begonnen hat. Immer wieder warf er eigene Ergänzungen ein, erzählte vom Schicksal anderer Schriftsteller und wiederholte wie beeindruckend es sei, dass der Jude Gumbel im Exil die Karriere machte, die er in Nazi-Deutschland nie hätte haben können.

Der Abend, den Schüler und Schülerinnen der Begabtenakademie organisierten und mit Stücken von Paul Hindemith musikalisch begleiteten, endete mit einer Podiumsdiskussion. Von diesem Zeitpunkt an war die Unruhe im Publikum zu spüren: Eine Gruppe Jugendlicher kicherte vermehrt und Mittlmeier lächelte bei jeder weiteren Frage der Moderatoren verhalten, als bemerke sie die wachsende Ungeduld. "Das Thema war sehr ansprechend, aber es waren eben 40 Minuten länger als angesetzt", beschwerte sich ein Elftklässler im Anschluss. Mitorganisatorin Ekaterini Tsiouprou sieht das anders: "Ja, es hat ein bisschen länger gedauert, aber es gab so viel Interessantes zu sagen. Wir fanden das Thema einfach sehr wichtig."

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