Unterhaching:Besuch aus dem Morgenland

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Heinz Neubauer betreut seit 45 Jahren die Kirchenkrippe von St. Korbinian in Unterhaching. Zum Dreikönigstag stellt er die Szene am Stall von Bethlehem mit den Figuren von Leonhard Uhl nach.

Von Michael Morosow, Unterhaching

Von der Tempelruine bröckelt bereits der Putz. Wenn jetzt das stattliche Kamel oder gar der kolossale Elefant gegen eine Säule stießen, wäre die Unversehrtheit des Jesuskindes 2015 Jahre nach den Mordplänen von König Herodes abermals gefährdet. Aber auch um den prächtig gekleideten Caspar, Melchior und Balthasar, um einige Schriftgelehrte, dem finster dreinschauenden Wächter mit Lanze und dem störrischen Esel wäre es wohl geschehen.

"Den Tempel muss ich mit nach Hause nehmen, da blättert schon der Gips ab", sagt Heinz Neubauer und bringt mit seinem Mittelfinger Balthasars faltig gewordenes Schultertuch in straffe Form. Gut zwei Stunden braucht der 85-jährige Unterhachinger, dann sind die drei Weisen aus dem Morgenland, das Fußvolk, alles Vieh sowie Gold, Weihrauch und Myrrhe in Position gebracht. Am Dreikönigstag kann die nachgestellte Szene von der Anbetung der Könige in der Kirche Sankt Korbinian bestaunt werden.

Die komplette Krippe umfasst mehr als 70 Figuren

Was in einer Nische des Gotteshauses zu sehen ist, ist dabei nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Werk des Unterhachinger Prothesenbauers und Holzschnitzers Leonhard Uhl, das dieser im Jahr 1930 gefertigt hatte. Die komplette Kirchenkrippe besteht aus 38 Personen, 34 Tieren und mehreren Dutzend Mauerwerken, Krügen, Tischen, Bänken, Schatzkiste, Bäumen und etlichen Kleinteilen wie etwa Sattelzeug oder einem smaragdgrünen Sitzkissen, das Heinz Neubauer auf den von dem Elefanten getragenen Thron legt.

Das Gesamtwerk war im Dezember an mehreren Tagen im Heimatmuseum ausgestellt, ebenfalls aufgebaut von Neubauer, der dabei mehrere Ereignisse aus dem Neuen Testament separat darstellte, wie die Geburt Christi oder die Hochzeit zu Kanaan.

"Der Uhl, der hat schon was gekonnt", schwärmt der 85-Jährige, den man in Unterhaching auch als Leiter der Blaskapelle und des Chors von Sankt Korbinian kennt. Und wie zur Bestätigung streicht er sanft über einen geschnitzen und mit Leder überzogenen Sattel. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Uhl kein Detail ausgelassen hat. Den Gesichtern der Menschen und Tiere hat er mit seinem Schnitzmesser markante Züge verliehen. Er wählte einen expressiven Stil, weit weg von der damals üblichen süßlichen Idealisierung. Kühen setzte er sogar echte Hörner ein, die Könige tragen mit Perlen besetzte Gewänder, die von Uhls Frau geschneidert wurden.

2000 bis 2500 Reichsmark erhiehlt der Holzschnitzer für sein Werk

Die Krippe sei in einem orientalischen Stil gestaltet, im Gegensatz zur Heimatkrippe, die sich an der jeweiligen Umgebung des Erbauers orientiere, sagt Heinz Neubauer. Der Prothesenbauer, Uhl, der im Ersten Weltkrieg ein Bein verloren hatte und in der Kriegersiedlung wohnte, bekam den Auftrag zur Anfertigung einer Kirchenkrippe vom damaligen Pfarrer Josef Stemmer und erhielt dafür in circa 60 Raten 2000 bis 2500 Reichsmark.

Außergewöhnlich für Krippenfiguren ist die Tatsache, dass die Gelenke mehrerer Figuren beweglich sind. So kann Neubauer durch die Gestik der Figuren die Darstellung aus dem Evangelium noch hervorheben. Die Ausnahme bilden die drei Weisen aus dem Morgenland, die Uhl jeweils aus einem Stück Lindenholz herausgeschnitzt hat. "Das zweite Kamel muss draußen bleiben, es ist schon sehr eng hier", sagt der 85-jährige Witwer. Vor etwa zehn Jahren hatte er das zweite Kamel gegen den Elefanten mit Thron getauscht.

Abgebrochene Finger musste der Krippenverweser schon nachschnitzen

Seit 45 Jahren bereits ist Neubauer Herr über Jerusalem, Kanaan und Bethlehem, und vielleicht ist die Begeisterung über das Schnitzwerk des Prothesenbauers auch dem Umstand geschuldet, dass die Krippe und er das gleiche "Baujahr" aufweisen. Dass man von einem besonderen Holz geschnitzt sein muss, wenn man 45 Jahre lang eine von Experten hoch geschätzte Krippe hegt und pflegt, auf- und abbaut, versteht sich.

Weihnachtskrippen sind das Steckenpferd des Unterhachinger "Krippenverwesers". Bei sich zu Hause hat er eine ganze Krippensammlung stehen. Eine gleicht der Korbinian-Krippe bis ins Detail. "Ich hab' eine Krippe von der gleichen Größe gebaut und zum Teil Figuren von Uhl nachgeschnitzt", erklärt Neubauer.

So könnte der ganze Tempel einstürzen, der 85-Jährige würde sich zu helfen wissen. Abgebrochene Finger hat er schon mehrmals nachgeschnitzt. Ein kleines Detail hätte er diesmal dennoch fast vergessen. "Als die drei Weisen kamen, war Jesus kein Säugling mehr, sondern schon zwei, drei Jahre alt", sagt Neubauer, packt vorsichtig das Jesuskind und richtet es auf.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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