SZ-Serie: Wege des Herrn, Folge 5:Kreuze, Klausen und Kapellen

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Was Wilhelm V. zur inneren Einkehr diente, lockt heute geschichtsbewusste Wanderer nach Schleißheim. 13 275 Schritte, die sich lohnen

Von Gudrun Passarge, Oberschleißheim

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(Foto: Robert Haas)

Es gibt lohnende Relikte zu entdecken auf dem Klausenweg, darunter auch die Kreuzigungsgruppe aus der Zeit um 1600.

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(Foto: Robert Haas)

Nur noch wenige Kapellen sind erhalten, wie die Renatuskapelle.

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(Foto: Archiv Bürger)

Eine Zeichnung aus dem Sulzbacher Kalender von 1865 zeigt die Klause St. Ignatius am Bergl, wo heute eine Waldwirtschaft betrieben wird.

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(Foto: Robert Haas)

Tafeln auf dem Weg erzählen die Geschichte des Klausenwegs nach.

Wenn Wilhelm V. (1548 bis 1626) heute lebte, würde er sicherlich einen dieser modernen Schrittzähler am Handgelenk tragen. Doch der bayerische Herzog wusste sich auch so zu helfen. Weil er es ganz genau wissen wollte, ließ er seine Bediensteten die Schritte zwischen den neun Kapellen und Klausen zählen, die er rund um seinen Altersruhesitz in Schleißheim angelegt hatte. Ausgangspunkt war dabei die Wilhelmskapelle im Herrenhaus. 13 275 Schritte kamen so zusammen, eine Strecke, die man den frommen Wittelsbacher oft, im Gebet versunken, laufen sah. Heute ist von diesem Weg der inneren Einkehr nur noch wenig übrig, aber es gibt lohnende Relikte zu entdecken auf dem Klausenweg, der durch Wälder und an Heideflächen entlangführt. St. Ignatius am Bergl ist einen Ausflug wert. Karl Anzenberger steht auf dem Kalvarienberg, die Sonne lässt die Kreuzigungsgruppe, die vermutlich um 1600 herum aufgestellt wurde, in sanftem Licht erstrahlen. Anzenberger ist Koch in der Waldwirtschaft gegenüber, der Berg gehört zu diesem Anwesen dazu. Die Stufen hinauf hat er selbst gepflastert, und auch dass Jesus einen neuen Kopf hat, ist seiner Initiative zu verdanken. Der Specht hatte der Holzfigur arg zugesetzt, "der hat sich den Holzbock da rausgeholt", sagt Anzenberger. Der Koch, der schon seit 40 Jahren hier arbeitet, schließt auch gerne die winzige private Kapelle St. Ignatius auf, die 2003 nach einem Gelübde gebaut wurde. Sie ist voll mit Gaben, die von Menschen stammen, die hier etwas für sich oder andere erbeten haben. "Hier gibt es viele Emotionen, ich lass die Leute dann immer allein", sagt Anzenberger. St. Ignatius, benannt nach dem Gründer des Jesuitenordens, war zu Zeiten Wilhelms eine der großen Klausen. Sie bot sogar Platz für zehn Franziskanermönche, die darauf warteten, dass ihr Kloster in Mittenheim 1720 fertig wurde.

Ob es eine unterirdische Verbindung der beiden Klausen gab? Otto Bürger, der Ortschronist, erzählt vom geschichtsbegeisterten früheren Oberschleißheimer Bürgermeister Hermann Schmid, der sich hier auf die Suche nach einem verborgenen Gang machte. "Er hat die Mitarbeiter vom Bauhof im Bergl und in Mittenheim graben lassen, aber gefunden wurde nichts." Das Franziskaner-Kloster in Mittenheim ist ebenfalls eine Station auf dem Weg. Zu Hochzeiten kamen dort an jedem 2. August Tausende Menschen zusammen, die Vergebung ihrer Sünden begehrten. Der Andrang muss so groß gewesen sein, dass der Wirt der Neuen Herberge Probleme mit der Versorgung der Pilger hatte. Diese Zeiten sind lange vorbei, das Kloster wurde 1802 aufgelöst, und auch die Kapellen des Klausenwegs wurden großteils abgerissen, wenn sie nicht schon vorher zusammenfielen, weil der Staat kein Geld zum Renovieren hatte. Lediglich drei Kapellen sind auf dem Weg noch erhalten: die frühere Wilhelmskapelle im Alten Schloss, St. Renatus neben Schloss Lustheim und St. Jakob, die Friedhofskapelle in Oberschleißheim. Der Weg zu St. Jakob führt an der Hochmuttinger Heide vorbei.

Die Friedhofskirche St. Jakob zählt zu den wenigen Gebäuden, die auch heute noch zu sehen sind. (Foto: Robert Haas)

Eine Schafherde zieht dort entlang. Blumen blühen in den Wiesen, Tafeln erklären die Besonderheiten dieser Landschaft. Die Kirche schaut nach vielen Umbauten unspektakulär aus, aber ihre Geschichte reicht wohl bis in die Zeit der Ungarnüberfälle zurück. Ein Gefolgsmann von König Otto soll sie nach der Schlacht auf dem Lechfeld (955) auf seinem Lehen in Hochmutting als Dank fürs Überleben gebaut haben. Derzeit wird sie von Grund auf renoviert. Eine Tafel an der Friedhofsmauer mit der Aufschrift "Commonwealth Gräber" weist auch auf die jüngere Geschichte hin. Zwischen den alten Gräbern finden sich Grabsteine mit englischen Namen. Vier britische und zwei kanadische Soldaten wurden mit ihrem Flugzeug am 21. Dezember 1942 abgeschossen. 30 britische Bomber flogen an diesem Abend über Schleißheim und legten große Teile des Ortes in Brand. Die toten Soldaten wurden am 23. Dezember mit militärischen Ehren auf dem Friedhof beigesetzt, sagt Bürger.

Der Weg führt weiter an Kornfeldern vorbei, einzelne Mohnblumen lugen heraus. Es geht durch Waldstücke, am Flughafen vorbei, und manchmal ist es auch schwierig, den kleinen blauen Hinweisschildern zu folgen. Etwa in der Professor-Otto-Hupp-Straße, wo leicht die Abzweigung nach links neben dem Seniorenpark übersehen werden kann. Auch nach der Station Franziskusklause ist es schwierig, wieder auf den Pfad zu kommen. Nach der S-Bahn-Querung muss man lange nach der Rotdornstraße suchen. Von dort aus geht es wieder ins Grüne, weiter zum Bergl und danach zur Renatuskapelle, die Wilhelm zu Ehren seiner 1602 verstorbenen Frau Renata benannte. Die erste Kapelle und die dazugehörige Klause, auch Klösterl genannt, brannte ab, der Neubau musste 1684 den Platz räumen für Schloss Lustheim. Heute ist sie im südlichen Pavillon neben dem Schloss untergebracht.

In der Renatusklause lebten anfangs Augustiner, sie betrieben dort das Handwerk der Wachszieherei, was wohl auch die Ursache des Brandes war, wie Bürger vermutet. Doch nicht in allen Klausen lebten Mönche. Es waren Priester, Soldaten, Lehrer, Studenten, Organisten oder auch Handwerker, die sich um so einen Klausenplatz bewarben, oft auch als Altersversorgung. Ihre Aufgabe war es, Gott zu dienen, zu beten, die Glocken zu läuten, Gottesdienste abzuhalten, Arme und Kranke zu besuchen. Dem Klausner von St. Wilhelm kam auch die Rolle des Schulhalters zu. Für ihren Dienst an Gott bekamen sie auch Lohn: Brot, Käse, Schmalz und Bier sowie 30 Gulden Kleidergeld im Jahr für Priester. Laienbrüder bekamen zwölf Gulden und im Unterschied zum Bett für Priester nur eine Matratze. In der "Instruction" für Clausner von 1642 wurde auch bestimmt, dass sich kein Klausner ohne Erlaubnis entfernen durfte. Was manche nicht hinderte, trotzdem auf Pilgerreise nach Rom, Jerusalem oder Loreto zu gehen. Auch gab es einige, deren Lebenswandel alles andere als christlich anmutet. Da war etwa Frater Maximilian Söllner, ein ehemaliger Landsknecht, den seine Mitbrüder als "ungeschlachten und ungehorsamen Menschen, Vollsäufer und Rebell" bezeichneten. Berüchtigt waren seine Raufereien. In seiner Lieblingskneipe in München soll er einem Soldaten einen Keferloher über den Schädel gezogen haben. Das blieb nicht ohne Konsequenzen. Tags darauf lauerten ihm Freunde des Soldaten auf und verpassten ihm eine schreckliche Tracht Prügel. Er erntete dafür viel "Hohn und Spott", wie der Lehrer Hans Gruber in seiner Abhandlung von 1956 über die Schleißheimer Klausen schreibt. Bürger sagt, solche Vorkommnisse seien keine Seltenheit gewesen, es gab Klausner, die wurden wegen Diebstahls oder liederlichen Lebenswandels entlassen. Und später wurden sie gar als "unnütze Leute, Müßiggeher und dem gemeinen Wesen überlästiges Personal" bezeichnet, so hatte sich Kurfürst Carl Theodor um 1778 herum geäußert. Schon damals waren nicht mehr alle Klausen mit Eremiten besetzt, das endgültige Aus kam mit der Säkularisation. Trotzdem können Wanderer heute wieder Schritte zählen - beten und die Geschichte Revue passieren lassen.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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