SZ-Serie: Oh, mein Gott!:Zurück vom anderen Mond

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Naturwissenschaftler und gläubiger Katholik: Heinz-Gerd Hegering in der St.-Severin-Kirche in Garching. (Foto: Stephan Rumpf)

Der emeritierte Informatik-Professor Heinz-Gerd Hegering kümmert sich als Kirchenpfleger um die Verwaltung der Pfarrei St. Severin in Garching. Als Christ vermisst er die Aufbruchstimmung, die in den Siebzigern herrschte.

Von Gudrun Passarge, Garching

"Ich dachte, ich wär' auf einem anderen Mond", so beschreibt Heinz-Gerd Hegering seine ersten Eindrücke, als er 1973 nach Garching kam und dort den Gottesdienst besuchte.

Es war die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, eine Zeit der Öffnung auch für die Ökumene, die dazu führte, dass in Garching auch mal Abendmahl und Kommunion in einem Gottesdienst gefeiert wurden und die Pfarrer in ihren Predigten politisch heiße Eisen anpackten. "Diese Welle, die Hoffnung machte, diesen frischen Wind würde ich mir wieder wünschen", sagt der 72-Jährige, der sich stets in der Pfarrgemeinde engagiert hat. Nach seiner Emeritierung versieht der Informatik-Professor jetzt das Amt des Kirchenpflegers in der Pfarrei St. Severin.

Hegering brachte berufliche Erfahrungen in Haushaltsfragen mit

Dabei war das kein Amt, nach dem er sich gestreckt hätte, "aber man hat mich gefragt". Und da Hegering ein Mensch ist, der weiß, dass er "was tun muss", hat er sich bereit erklärt. Das bedeutet, er ist jetzt Mitglied der Kirchenverwaltung und betreut die Bereiche Haushalt, Liegenschaften, Personal und Verwaltung. Zusammen mit dem Pfarrer muss er Verträge unterschreiben. Aber als Leiter mehrerer Institute, darunter zweier Lehrstühle für Informatik an der TU und der LMU sowie des Leibniz-Rechenzentrums, habe er Erfahrungen gesammelt, was Haushalt und Personalangelegenheiten angeht.

Dabei hat es Hegering gleich mit einer ganz besonderen Aufgabe zu tun bekommen, denn er hat erlebt, wie schwer es sein kann, geeignetes Personal für die drei Kindergärten der Pfarrei zu finden, St. Josef, St. Katharina und St. Franziska Romana. "Wenn man Pech hat, hat man eine hohe Fluktuation, dann kann man alle naselang wieder neu suchen", erzählt er. Aber im Moment sei wieder Ruhe eingekehrt. Jedenfalls auf der Personalebene, denn die Pfarrei hat große Pläne.

Naturwissenschaftler und gläubiger Katholik: Heinz-Gerd Hegering vor dem Kirchturm von St. Severin. (Foto: Stephan Rumpf)

Sie wird die Kindergärten St. Josef und St. Katharina abreißen lassen und stattdessen ein neues viergruppiges Kinderhaus auf das Areal stellen - ein Projekt, das Hegering fordert. Allerdings nicht so, dass nicht noch Zeit für eines seiner Steckenpferde bliebe. 2017 wird die Kirche St. Severin 50 Jahre alt. Ein guter Anlass, um eine "gescheite Chronik" zu schreiben, findet Hegering. "Das wird mein nächster Job, das gehört aber nicht zu den Aufgaben eines Kirchenpflegers dazu", sagt er.

Im Kirchenchor singt er mit seiner Frau zusammen

Das ist typisch für den Mann, der sich schlecht in Schubladen stecken lässt. Aufgewachsen in einer "sehr katholischen Familie" am Rande des Münsterlandes, hat er sämtliche Stationen einer katholischen Laienlaufbahn durchlaufen. Ministrant, Oberministrant, als Gymnasiast Gesamtgruppenleiter im Bund Neudeutschland, einer von Jesuiten gegründeten Organisation, dann beim Mathematikstudium in Münster Mitglied einer katholischen Studentenvereinigung. Und stets begleitete ihn der Gesang, früher habe er gregorianische Choräle mitgesungen, berichtet Hegering. In München sang er im Kirchenchor, genauso wie in Garching, wo er zusammen mit seiner Frau eingetreten ist, gleich als sie zugezogen waren. Ganz selbstverständlich. "Es hat für mich nie eine andere Umgebung gegeben", sagt er.

Hegering sitzt auf seiner Eckbank im Esszimmer, hinter ihm steht ein geschnitzter heiliger Florian, was gut passt, denn Feuerwehrkommandant war der Professor auch viele Jahre lang in Garching. Den Glauben sieht der 72-Jährige als "konstantes Wertesystem, das nicht so populistisch hin und her springt". Hegering, der beruflich und privat viel von der Welt gesehen hat, schätzte es, in anderen Ländern Gottesdienste zu besuchen, "und es ist genau der Gleiche wie zu Hause". Wenn sich das auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil geändert hat, weil die Gottesdienste dann nicht mehr auf Lateinisch abgehalten wurden. "Das war auch ein Segen für die Leute", sagt Hegering, "aber mir hat das Lateinische nichts ausgemacht, weil ich es verstanden habe".

Die Sechziger- und Siebzigerjahre - eine spannende Zeit

Insgesamt hat er die Sechziger- und Siebzigerjahre als spannende Zeit in Erinnerung. Wahlgremien wie der Pfarrgemeinderat wurden eingerichtet, Pastoralassistenten und -referenten eingeführt. Die durften damals sogar noch selbständig predigen, wie Hegering sagt, "das wurde später wieder eingeschränkt". Wie auch die Öffnung zur Ökumene teils wieder zurückgedreht wurde. Der Professor erinnert sich noch gut an die Pfarrer, die aktuelle Themen in die Predigt aufnahmen, etwas, das er sich auch in heutigen Zeiten stärker wünschen würde, "Gegenwartsprobleme in klarem Deutsch.

Die Leute müssen das doch verstehen können". Das sei heute oft anders. Hegering erzählt, dass ihn jüngst jemand nach dem Gottesdienst gefragt habe, worum es in der Predigt gegangen sei: "Ich konnte mich nicht erinnern. Das darf nicht passieren."

Hegering wünscht sich mutige Pfarrer

Hegering wünschte sich mehr Pfarrer, "die sich trauen, etwas zu machen". Das müsse nicht gleich in der Liga des Münchner Pfarrers Rainer Maria Schießler sein, dessen Aktionen er nicht allen folgen kann. Aber die "Verkrustung der Formen", die sollte aufgebrochen werden, sagt Hegering.

Dabei nennt er den Papst als Beispiel, wobei er deutlich die Aufgabe der katholischen Kirche betont, Lösungen für die ganze Welt und nicht nur für einzelne Länder anzubieten, was nicht alle verstehen würden. Franziskus falle durch einzelne Äußerungen auf und durch frische Taten. Wobei er nicht an den Grundfesten der Kirche rüttele. "Das sind ja eher Überraschungsangriffe", sagt Hegering. Aber allein das und die Hoffnung, dass der Papst vielleicht den Bischöfen mehr Verantwortung übertrage, stimmt den 72-Jährigen optimistisch.

So fällt auch seine Prognose aus: "Wenn ich die vielen Gruppierungen, Arbeitskreise und Einzelpersonen sehe, die sich als ehrenamtliche Laien in die Gemeinden einbringen, dann wird mir um die Zukunft einer lebendigen Kirche nicht bange." Aber die Amtskirche dürfe nicht in die Rolle von "Helikopter-Eltern" verfallen: "So wie Kinder brauchen auch Gläubige für ihr Reifen gewisse Entfaltungsfreiräume, natürlich ohne dabei die Glaubensessenz aufzuweichen."

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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