SZ-Serie: Machtlos:Bescheidener Interimsregent

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Der scheidende Bürgermeister Wolfgang Jirschik hat in Baierbrunn in gut zwei Jahren viel erreicht

Von Udo Watter, Baierbrunn

Wolfgang Jirschik ist weder übertriebener Eitelkeit verdächtig noch regelmäßig als mediale Rampensau aufgefallen. Gleichwohl hat es der Baierbrunner Bürgermeister in seiner Amtszeit geschafft, frei nach Andy Warhols berühmtem Zitat einmal "15 Minuten Weltruhm" zu erlangen. Anlässlich des Gautrachtenfestes im Juni 2018 interviewte ihn eine Reporterin der New York Times, die nach Baierbrunn gekommen war, um eine Geschichte über Bayern und Populismus zu recherchieren und Parallelen zwischen Markus Söder und Donald Trump zog. Der Baierbrunner Rathauschef wird wie folgt zitiert: "As Wolfgang Jirschik, mayor of Baierbrunn, a small village in the Isar valley near Munich put it: 'There is no need to make Bavaria great again. It is already pretty great.'"

Nein, sich aufblasen, von der eigenen Großartigkeit zu schwärmen - eine Neigung, die im Mia-san-mia-Land durchaus verbreitet ist - liegt dem gebürtigen Pullacher wirklich nicht. "Es ist nicht so meine Art, mich groß in Szene zu setzen", erklärt der 70-Jährige, nicht ohne vorher kritisch angekündigt zu haben, dass er sich jetzt selber loben werde. Angenehm uneitel, umgänglich, kultiviert und an der Sache orientiert - Wolfgang Jirschik von der Überparteilichen Wählergemeinschaft (ÜWG) verkörpert diverse Tugenden, die einem Bürgermeister gut anstehen, nicht zu vergessen sein leiser Humor. Dass der ehemalige Realschullehrer überhaupt zweieinhalb Jahre auf dem Chefsessel im Baierbrunner Rathaus Platz nahm, war unerwarteten Umständen geschuldet: Seine Vorgängerin Barbara Angermeier von der Baierbrunner Interessengemeinschaft (BIG) war im November 2017 überraschend aus persönlichen Gründen zurückgetreten. Jirschik hatte als Zweiter Bürgermeister zunächst für dreieinhalb Monate interimistisch die Geschäfte übernommen und dann nach einem souveränen Wahlerfolg gegen Felix Maiwald (CSU) und Peter Tilmann (Grüne) für weitere rund zwei Jahre.

Diese enden nun am 30. April, die Baierbrunner bekommen in Patrick Ott (ÜWG) erstmals einen hauptamtlichen Bürgermeister. Jirschik, der Anfang des Jahres 70 wurde, hätte als Altersgründen ohnehin nicht mehr antreten können. Dass sein Nachfolger auf eine Mehrheit aus ÜWG und den kooperationswilligen Grünen im Gemeinderat bauen kann, freut Jirschik, zu dessen Leidenschaften der Umweltschutz gehört und der bereits 1984 zu den Gründungsmitgliedern des örtlichen Bundes Naturschutz zählte sowie Mitglied im Isartalverein ist. "Da kann einiges bewegt werden."

Auf so eine zuverlässige Mehrheit konnte er in seiner Amtszeit nicht kontinuierlich zählen, neben der CSU waren es vor allem die Mitglieder der BIG, die Jirschik regelmäßig Kontra gaben (die BIG trat zur vergangenen Kommunalwahl nicht mehr an). In solchen Momenten, gerade wenn es aus seiner Sicht unsachliche Vorwürfe waren, stieg Jirschik schon mal leichte Zornesröte ins Gesicht - die Fassung verlor er aber nie. Generell war das Gesprächsklima im Baierbrunner Gemeinderat selten giftig. Gab es mal polemische Zuspitzungen und ins Persönliche lappende Invektive zeigte sich Jirschik als maßvoller Moderator, der auch seinen Gemeindemitarbeitern im Fall des Falles zur Hilfe kam. Überhaupt: "Mir macht sogar Verwaltung Spaß", sagte Jirschik mal in einer Podiumsdiskussion und diese hilfreiche Neigung zeitigte entsprechende Wirkung. Klar ließ sich in der täglichen Arbeit nicht jede Dissonanz vermeiden, nicht jede Befindlichkeit umschiffen, wie Jirschik zugibt, aber generell war das professionelle Klima in der Rathausverwaltung, zumal nach der Atmosphäre der Verunsicherung unter seiner Vorgängerin, ein gutes. "Ich bin sehr, sehr zufrieden und stolz, dass es sich so entwickelt hat," sagt Jirschik. Der ehemalige Lehrer, der auch viele Jahre am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) tätig war, ist einer, der weiß, was er will.

Einer, der sich schon früh gesellschaftspolitisch engagiert hat und sich als Bürgermeister schon auch als Kümmerer erwies, der nicht zuletzt kleine Anliegen der Bürger zu bearbeiten sich auf die Fahnen schrieb. Dafür zu sorgen, dass rote Straßenmarkierungen eingerichtet werden, damit spielende Kinder besser vor rasenden Autos geschützt werden oder notwendige Investitionen für den örtlichen Sportverein auf den Weg zu bringen, aber auch Kuriositäten zu begegnen, wie der Anfrage eines Bürgers, was man denn jetzt mit der zugeflogenen Fledermaus machen solle, oder dem Hilferuf wegen eines Hündchens, das vor der aggressiven Katze in der Nachbarschaft geschützt werden muss. "Es ist eine sehr vielfältige, sehr interessante Aufgabe. Langeweile oder Zeitlang hatte ich nie", urteilt Jirschik.

Natürlich hat sich nicht alles hat sich so entwickelt wie geplant oder erhofft. Die Idee, die Grundschule neu am Wirthsfeld zu bauen, musste wieder fallen gelassen werden, der scheidende Rathauschef ist allerdings mit dem Planungsstand jetzt - der Erweiterung der alten Schule an der Hermann-Roth-Straße - zufrieden. "Lehrerschaft und Eltern schätzen den alten Standort. Inzwischen sind alle Vorarbeiten gemacht, sodass der Gemeinderat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben kann." Grundschule und Nachmittagsbetreuung waren ein Dauerthema - hinzu kamen später noch Gedankenspiele, die Mittelschule von Pullach nach Baierbrunn zu holen - und nicht nur da spürte Jirschik schmerzlich, dass Baierbrunn finanziell nicht auf Rosen gebettet ist. Der Gestaltungsspielraum war auch in anderen Bereichen limitiert, ab und an musste er sich vorwerfen lassen, zu wenig dafür zu tun, Gewerbe nach Baierbrunn zu locken. Auch bei anderen potenziellen Problemen wie der drohenden Verödung des Ortskerns inklusive Wirtshaussterben oder der Verkehrsproblematik waren Jirschik oft die Hände gebunden. Die zeitweilige sommerliche Vermüllung des Isartals hat man in den Griff bekommen, darüber hinaus freute sich Jirschik über die gewachsene Kooperation zwischen Bund Naturschutz, Gemeinde und Grundschule, was umweltpolitische Projekte am Ort und vor allem im Isartal angeht. Dass die letzten Wochen seiner Amtszeit alles andere als gemütlich ausklingen, sondern enormen Zeit- und Energieaufwand wegen der Corona-Krise bedingen, muss Jirschik hinnehmen. Groß zur Ruhe kommen, wird er auch als Bürgermeister a. D. nicht. Einen geplanten Gartenkultururlaub in Amsterdam hat der Naturliebhaber zwar schon absagen müssen, weitere Reisepläne sind noch nicht komplett aufgegeben, aber zu tun hat Jirschik auch so. "Zuhause ist sehr vieles liegen geblieben in den letzten Monaten, meine Frau hat schon eine lange To-do-Liste gemacht." Baldmöglichst möchte er auch seien Enkel besuchen, im benachbarten Solln, aber auch in Regensburg. Man darf davon ausgehen, dass er sich auf die ein oder andere Art auch weiter in seiner Heimatgemeinde engagieren wird. Den weltweiten Bekanntheitsgrad von Baierbrunn zu erhöhen, gehört eher nicht dazu - um den muss man sich ja seit dem Sommer 2018 ohnehin kaum mehr Gedanken machen.

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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