SZ-Serie "Landmarken":Auf den Kopf gestellt

Lesezeit: 3 min

Die Ottobrunner Pfadfinder haben die Räume selbst gestaltet. (Foto: Angelika Bardehle)

Für das eigentümliche neue Haus der Ottobrunner Pfadfinder haben die Architekten sogar einen Preis gewonnen. Zweckmäßig ist wenig an dem umgedrehten Zelt. Aber es ziert die Gemeinde

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Der Treppenwitz hat 20 Stufen und ist mit einfachen Bohlen belegt. Er beginnt in der ersten Etage und verengt sich dann bis ins Parterre. Unten angekommen geht es geradewegs auf eine Fensterscheibe zu - nur öffnen lässt sich diese nicht. Aber zumindest hat dieses Fenster eine Glasscheibe, die einen Blick auf die Welt da draußen erlaubt. Das ist im Ottobrunner Pfadfinderhaus nicht bei allen Fenstern der Fall. Dafür lassen die sich öffnen. Doch dazu später.

Die Sehenswürdigkeiten der flächenmäßig kleinsten Gemeinde im Landkreis liegen eher im Verborgenen. Ja, es gibt das Wolf-Ferrari-Haus, aber das verströmt den Charme jener Zeit, in der es gebaut wurde - der Achtzigerjahre. Die Terrassenwohnanlage in der Unterhachinger Straße gehört auch zu den Baudenkmälern - und glänzt mit dem Flair der Siebziger. Das Waldschlösschen wiederum, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts schmucke Gaststätte und mit ihrem Türmchen so etwas wie die Visitenkarte der Ortschaft, liegt an der viel befahrenen Prinz-Otto-Straße. Heute rauschen hier - anders als früher die Pferdekutschen - unzählige Autos vorbei und zu den Nachbarn gehören eine Tankstelle und eine Bank.

1 / 4
(Foto: Angelika Bardehle)

Romy Zillober auf der Treppe ins Nichts.

2 / 4
(Foto: Angelika Bardehle)

Im Sommer wird das Haus allerdings recht heiß - und zu wenig Stauraum hat es auch.

3 / 4
(Foto: Angelika Bardehle)

Das Pfadihaus ist ein Schmuckstück.

4 / 4
(Foto: Angelika Bardehle)

Architekten haben für das eigentümliche Haus einen Preis gewonnen.

Ottobrunn hält seine Schönheit ganz gelungen im Verborgenen.

Doch wer sich auf die Suche begibt, der findet auch außergewöhnliche Ecken, Bauwerke - und eben Treppen. Im Osten sieht die Gemeinde aus wie überall. Wohnhäuser, Einfamilienhäuser, gepflegte Gärten, der Sportplatz, die Grundschule, ein kleiner Supermarkt. Und viel Grün.

Vom Erdboden bis in die Baumkronen

Pfadfinder lieben das Grün, Bäume, die Natur. Das war einer der Gründe, warum die Gemeinde diesen Flecken Ottobrunner Erde als neuen Standort für das Pfadfinderhaus des Stamms der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) ausgewählt hat. Ein Haus, das dem Willen der Architekten vom Büro Palais Mai aus München nach an ein Zelt erinnern soll. Liegt bei Pfadfindern, die bekanntermaßen ständig irgendwo in abgelegenen Regionen in Zelten campieren, auch nahe. Aber es bedarf schon eines Kopfstandes, um den schmucken Bau tatsächlich als Zelt zu enttarnen, denn der Klotz mit seinen ungewohnten Formen lässt sich schwerlich auf den Kopf stellen.

"Ist schon schick", sagt Romy Zillober, während sie um den Bau herumschlendert. Auf zwei Stelen ruht das "Pfadihaus", wie der Stamm sein Heim nennt. Der Boden ist etwas feucht, aufgeweichte Rinde bildet die oberste Schicht des Waldbodens. Eingerahmt wird das "Zelt" von weit aufragenden Bäumen - und die Architekten wollten auch weit hinaus, den Bau "vom Erdboden in die Kronen" heben. "Die Umgebung ist schon sehr cool", sagt die 23-Jährige. "Und es ist so anders als unser altes Pfadihaus."

Besser gesagt: Der Kontrast könnte kaum größer sein. Ihr altes Haus musste 2008 dem neuen Feuerwehrhaus weichen. Der Vorgängerbau war ein kleines Haus mit verziertem Holzbalkon und Lagerschuppen in der Ottostraße, das einen Eintrag als Baudenkmal verdient gehabt hätte. Und es besaß genügend Stauraum.

"Und genau den brauchen Pfadfinder", sagt Romy Zillober, als sie die Tür in ihr neues Refugium, das sie 2009 bezogen haben, aufschließt. Das mit dem Aufsperren gelingt ihr dann zwei Türen weiter auch noch, nur wirklich öffnen lässt sich der Eingang zum Stauraum nicht. Bis obenhin habe die Pfadfinder hier ihre Zelte, Bänke, Segel, Werkzeuge, Grills, Fahnen, Taschen und Rucksäcke gestapelt. "Es reicht hinten und vorne nicht", sagt die Leiterin. "Aber es passt schon, wir kriegen das irgendwie immer hin."

Eine Treppe ins Nichts, Fenster ohne Scheiben - zweckmäßig ist das nicht

Das Haus selbst ist in Holzbauweise konstruiert worden, die Außenhaut besteht aus zwei Schichten Polycarbonat-Stegplatten. Milchige Verkleidungen, die an sonnigen Tagen nicht verhindern, dass es im umgedrehten Zelt ziemlich heiß wird. An manchen Stellen in den Wänden lassen großzügige Fenster viel Licht herein, die Räume wirken hell - freilich auch, weil die Pfadfinder sie sehr hell ausgestattet und belassen haben. Dann fällt der Blick von Romy Zillober auf eine Stelle an der Wand: "Das ist ein Fenster", sagt sie - und lacht. "Also es sollte eines sei, aber wir wissen auch nicht recht, was wir damit anfangen sollen." Denn das Fenster hat keine Glasscheibe, sondern eine graue Platte, die bestenfalls als Pinnwand dient.

Die Architekten haben einst für das Pfadihaus einen Preis gewonnen. Würde es einen für Pfadfinder-artgerechtes Bauen geben - sie hätten ihn eher nicht abgeräumt. Die Treppe ins Nichts: Sieht schön aus, sagt Romy Zillober: "Aber anfangen können wir damit wenig. Wir haben Regale für die Schuhe eingebaut." Denn die mehr als 140 Ottobrunner Pfadfinder von den junge Wölflingen bis zu den Rovern, den Ältesten, laufen nur in Hausschuhen durch das Haus. Oder sitzen in der Arena, einer kleinen Aula, die auch als Treppe gestaltet worden ist. Zweckmäßig ist an der Ausstattung nicht alles. Aber die Pfadfinder haben von den Toiletten bis zur Küche alles so hergerichtet, wie sie es brauchen.

Und an der Optik hat die Leiterin Zillober eh nichts auszusetzen. Vor allem nicht an der Front zur Straße hin: Da haben die Pfadfinder mit ihrem "Ottobrunn ist bunt"-Banner ein politisches Statement gesetzt. "Das war uns wichtig", sagt Romy Zillober. Und es ergibt Sinn, dass es draußen hängt. Schließlich verbringen die Pfadfinder die meiste Zeit im Freien.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: