Halbzeit im Rathaus Unterföhring:Im Dauerwahlkampf

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Sieht sich selbst als Taktgeber: Andreas Kemmelmeyer beim Anzapfen auf dem Unterföhringer Volksfest. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Nachdem er überraschend die rote Hochburg Unterföhring erobert hat, macht dem parteilosen Andreas Kemmelmeyer der Gemeinderat das Regieren mitunter schwer - dabei versucht der Bürgermeister selbst, es allen recht zu machen.

Von Sabine Wejsada, Unterföhring

Im Unterföhringer Rathaus sitzt an diesem Nachmittag ein gut gelaunter und aufgeräumt wirkender Bürgermeister. "Ich bin kein Mensch, der weit rückwärts schaut, sondern lieber in der Gegenwart etwas für die Zukunft bewegen will", sagt Andreas Kemmelmeyer, der im März 2014 für die Parteifreie Wählerschaft (PWU) das Bürgermeisteramt geholt hat - und man glaubt es ihm, auch wenn in der Stadtrandgemeinde immer wieder Stimmen laut werden, dass nichts vorwärts gehe. In der Stichwahl hatte sich der heute 50-Jährige mit 62,9 Prozent der Stimmen deutlich gegen Thomas Weingärtner von der SPD durchgesetzt. Die Sozialdemokraten stehen in der früheren "roten Hochburg" Unterföhring nurmehr in der zweiten Reihe, stellen nicht mehr den Bürgermeister und haben, obwohl der Gemeinderat wegen gestiegener Einwohnerzahl von 20 auf 24 Sitze angewachsen ist, auch noch ein Mandat verloren, während alle anderen Parteien hinzugewannen.

Die Stimmung im Gemeinderat ist seither mehr oder weniger im Keller. Ein Umstand, der Kemmelmeyer durchaus anficht. "Ich habe das Gefühl, der Wahlkampf hat nicht aufgehört", sagt der Bürgermeister und erinnert an die "Gegenrede" des geschlagenen Bürgermeisterkandidaten Weingärtner zum Hausgalt 2015 und das Nein der Sozialdemokraten zur Finanzplanung für die Jahre 2016 bis 2018. Auch jüngst wieder hat sich Kemmelmeyer geärgert, als die Gemeinderatsmehrheit den Ausbau des Kreisverkehrs auf der Kreisstraße M 3 an der Einfahrt zum Unterföhringer Gewerbegebiet auf Eis legte. "Das ist schon enttäuschend", sagt Kemmelmeyer, der sich dennoch als "Taktgeber" sieht, der "vor meiner Verwaltung und dem gesamten Gemeinderat steht".

Als größte Herausforderung sieht der 50-Jährige nach wie vor sein bereits im Wahlkampf gegebenes Versprechen, "sich durch das Amt nicht verbiegen zu lassen". Die "Bürgermeisterei" sei anstrengend, er aber könne sich keinen besseren Job vorstellen, sagt Kemmelmeyer, der 2020 ein weiteres Mal antreten will und seine Kraft nach eigenen Angaben vor allem durch den Rückhalt in seiner Familie erlangt.

Auf die Fahne schreibt er sich selbstbewusst, den Kontakt zu den mehr als 2500 Betrieben am Ort - vom kleinen Handwerker bis zu den beiden Dax-Konzernen - wieder belebt zu haben. "Ich fühle mich nicht nur als Bürgermeister der 11 500 Unterföhringer, sondern auch der 22 000 Beschäftigten im Gewerbegebiet." Dass die Unternehmen diese Haltung goutieren, lässt sich an den gut besuchten Wirtschaftsgesprächen ablesen oder aktuell an der gemeinsamen Initiative zum Ausbau des Föhringer Rings. Auch der von der Gemeinde an die Firmen verschickte Newsletter mit Entscheidungen und Terminen sei ein Erfolg, findet der Rathauschef.

Wichtig ist Kemmelmeyer darüber hinaus der direkte Kontakt mit der Bevölkerung. Der Bürgermeister gibt sich nicht nur bürgernah, er ist es auch, wie etwa die gut besuchten Sprechstunden im Rathaus zeigen oder der Termin mit zahlreichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei dem diese Altersgruppe ihre Wünsche und Kritik äußern konnte. Reformiert hat Kemmelmeyer zudem die Bürgerversammlung, wo es keine stundenlangen Jahresberichte mehr gibt, und die Sportlerehrung. Letztere ist seit seinem Amtsantritt eine eigene Veranstaltung und findet nicht mehr im Bierzelt auf dem Bürgerfest statt.

Unterföhrings Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer. Die SZ-Serie "Halbzeit im Rathaus" porträtiert die Amtsträger im Landkreis drei Jahre nach der Kommunalwahl. (Foto: Claus Schunk)

Die im Ort vielfach geäußerte Meinung, der neue Bürgermeister und sein Gemeinderat brächten nicht wirklich etwas zustande, zum Beispiel beim Feststadel oder beim Gockl-Wirt, nimmt Kemmelmeyer gelassen: "Wir haben in den ersten drei Jahren vieles auf den Weg gebracht, in den nächsten drei Jahren steht die Umsetzung all der Projekte an." So werden der Feststadel, die zwei Parkhäuser im Gewerbegebiet, der Sportpark und natürlich der Campus mit Gymnasium und zweiter Grundschule Gestalt annehmen.

Was sein größter Wunsch ist? "Dass manche Diskussion im Gemeinderat sachorientierter geführt wird", formuliert es Kemmelmeyer - und wohl auch weniger vom Dauerwahlkampf geprägt. Die Sitzungen in Unterföhring dauern vielfach bis Mitternacht, was an der enormen Diskussionsfreude der meisten Lokalpolitiker im Gremium liegt. Man sei am Überlegen, den Ausschüssen, die bislang größtenteils nur Empfehlungen an den Gemeinderat geben können, mehr Macht zu geben. "Dann dauert es hoffentlich nicht mehr so lang."

Manfred Axenbeck, Fraktionschef der CSU, empfiehlt "meinem Freund Kemmelmeyer", wie er sagt, die Zügel etwas anzuziehen und Sitzungen nicht im Monats-, sondern Drei-Wochen-Rhythmus anzusetzen. Johannes Mecke, Sprecher der Grünen, würde es begrüßen, wenn durch die Gestaltung der Tagesordnung die Sitzungen weniger lang dauern würden. Ansonsten rechnen Mecke und Gisela Fischer dem Bürgermeister "hoch" an, "dass wir als kleine Fraktion das Gefühl haben, inhaltlich ernst genommen zu werden".

Zweite Bürgermeisterin Betina Mäusel (CSU) ist nicht ganz so euphorisch. So kritisiert sie zum Beispiel die langen Wartzeiten auf beschlossene, aussagekräftige Studien, wie etwa zum Verkehr oder zum Gockl-Wirt. "Und dann muss es im Gemeinderat auf einmal ganz schnell gehen und man muss innerhalb von ein paar Tagen die Studien sichten und entscheiden", bemängelt Mäusel. Und: "Er versucht, es allen recht zu machen, das geht aber nicht." Zudem rät sie ihm, sich nicht angegriffen zu fühlen, wenn "seine PWU keine Mehrheit bei Entscheidungen findet". Was man besser machen könnte? "Weniger Zeitdruck und dass wir uns unabhängig vom Bürgermeister im Gemeinderat nicht in endlosen Debatten verzetteln, sondern straff die Diskussionen führen."

Nicht so recht beurteilen mag Jutta Schödl, bis zur Halbzeit Fraktionssprecherin der SPD im Gemeinderat, den Bürgermeister: "Eine Bewertung der Arbeit von Herrn Kemmelmeyer steht mir eigentlich nicht zu, das ist meiner Meinung nach die Aufgabe der Bürger, zum Beispiel bei der nächsten Kommunalwahl." Die Zusammenarbeit mit der SPD sei "kollegial, auch wenn wir politisch nicht immer einer Meinung sind", so Schödl, die als Vorsitzende der Fraktion unlängst von Philipp Schwarz abgelöst wurde. Dieser beklagt, dass der Gemeinderat jüngst immer öfter zu hören bekomme: "Das geht nicht anders." Das sei beim Zindlerhaus so gewesen und auch beim Geburtenbaumprogramm, "weil man angeblich keine Flächen mehr hat, obwohl nördlich der A 99 viele Gemeindeflächen zur Verfügung stehen".

Die PWU-Fraktion sieht in Kemmelmeyer jemanden, der um Konsens bemüht ist, im Gemeinderat wie auch außerhalb. "Er geht auf die Leute zu und nimmt deren Anliegen ernst. Er scheut es nicht, bohrend und nervend bei Staatsministern oder Staatssekretären die Anliegen seiner Gemeinde anzubringen", lobt Dritter Bürgermeister Johann Zehetmair (PWU). Fraktionsvorsitzender Manuel Prieler assistiert: Der Bürgermeister nehme sich für alles Zeit. Kritisieren wolle er nur die zu langen Tagesordnungen. Für die zweite Halbzeit wünscht sich Prieler, "dass der Bürgermeister die Früchte seiner Arbeit ernten kann". Etwa bei der Einweihung des Gymnasiums, wie auch Kemmelmeyer selbst sagt - und optimistisch hinzufügt: "Im September 2020 möchte ich gerne als Bürgermeister unser Gymnasium eröffnen."

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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