SZ-Adventskalender:Plötzlich todkrank

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Ein Vater wünscht sich nach der Krebsdiagnose Zeit mit der Familie - und einen Urlaub

Von Christina Hertel, Taufkirchen

Einen Tag nach seiner Hochzeit liegt Stefan Heine mit heißem Kopf, kalten Händen und blassem Gesicht in der Notaufnahme. Zwei Tage danach verliert er sein Haar. Und heute, gut acht Wochen später, sitzt er im Esszimmer und sagt, dass er keine Angst vor dem Sterben habe. Auf einem Teller vor ihm liegen Lebkuchen und Spekulatius, an der Fensterscheibe kleben Weihnachtsmänner, an der Wand hängt ein Bild: er im Anzug, seine Frau im weißen Kleid, auf den Armen ein Junge und ein Mädchen, eineinhalb und drei Jahre alt. Stefan Heine sagt: "Es ist für mich nicht schlimm zu sterben." Doch er frage sich: Was macht dann meine Frau? Was wird aus den Kindern? Wie soll das für sie sein, alleine?

Stefan Heine ist 35 Jahre alt, als ihm ein Arzt Anfang Oktober mitteilt, dass nicht klar sei, wie lange er noch zu leben habe. Vielleicht Wochen, vielleicht Monate. Wenn er Glück hat, ein paar Jahre. Heine lässt sich damals untersuchen, weil er einen Druck in seinem Magen spürt. Die Ärzte glauben an eine Entzündung. Doch die Medikamente wirken nicht. Dann sehen sie Metastasen auf seiner Leber, entdecken einen Tumor hinter seinem Magen und stellen die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine besonders seltene Art, gleichzeitig eine besonders gefährliche. Eine vollständige Heilung sei nicht wahrscheinlich. Selbst wenn er den Krebs besiegen kann, komme er in so einem Fall meist nach ein, eineinhalb Jahren zurück. "Ich habe aufgehört, große Pläne zu machen", sagt Heine. "Ich versuche, den Moment möglichst schön und gut zu nutzen." Und das bedeute für ihn, viel Zeit mit seiner Familie zu verbringen, einen normalen Alltag zu haben. Vergangenes Wochenende waren sie zusammen auf dem Christkindlmarkt, nach dem Interview will Heine einen Weihnachtsbaum kaufen, an Heiligabend gibt es Fondue.

Eigentlich heißt Stefan Heine anders. Seinen echten Namen will er nicht nennen, weil er nicht möchte, dass alle wissen, wie es ihm geht. Er sei immer ein fitter Mensch gewesen, habe viel Sport gemacht. Er könne sich gar nicht daran erinnern, wann er vor dem Krebs zuletzt Fieber hatte. Für seinen Beruf sei er um die ganze Welt geflogen, Saudi-Arabien, Israel, jetzt sollte er eigentlich in Indonesien sein. Doch das geht nicht mehr, weil er alle paar Wochen für die Chemotherapie ins Krankenhaus muss. "Danach fühlt man sich, als ob man zu viel gesoffen hätte." Kopfschmerzen, Übelkeit. Jedes Mal hört er in seinem Ohr einen Tinnitus. Nach ein paar Tagen habe er sich von all dem immer wieder erholt. "Jetzt gerade geht es mir gut", sagt Heine. "Ich merke gar nicht, dass ich krank bin." Doch sein Immunsystem ist schwach. Heine hat immer eine Tube Desinfektionsmittel dabei, vermeidet U-Bahn-Fahrten, wenn es doch nicht anders geht, versucht er, so wenig wie möglich zu anzufassen. Denn er will nicht, dass sich das wiederholt, was einen Tag nach seiner Hochzeit passierte: eine spontane Infektion und so starkes Fieber, dass er ins Krankenhaus musste.

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(Foto: Catherina Hess)

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Ein unglaublicher Schock sei das gewesen, sagt seine Frau Christiane Heine. Vor drei Jahren lernte sich das Paar über das Internet kennen. Sie zogen zusammen in ein Reihenhaus, in einer Gegend, wo kaum Autos fahren und vor der Haustür ein Feld liegt. Christiane Heine hatte damals eine Tochter und bekam mit Stefan noch einen Sohn. Sie hatte nach der Elternzeit gerade wieder begonnen zu arbeiten, als die Diagnose kam. Zuerst nahm sie sich all ihren Urlaub, dann ließ sie sich krankschreiben. Wenn ihr Mann im Krankenhaus ist, wenn er Untersuchungen hat, wenn er die Chemo bekommt, sitzt sie neben ihm. Und danach die ersten Tage, wenn er wieder zu Hause ist, auch. Denn dann sei er erst mal schwach. "Da kann ich ihn nicht alleine lassen", sagt Christiane Heine. Volles Gehalt bekommt das Paar inzwischen nicht mehr. 70 Prozent vielleicht, meint er. Am Ende gehe es immer auf null raus, sagt sie. Aber im Raum München brauche eine Familie eigentlich zwei, die arbeiten und Geld verdienen.

Am Anfang, erzählt Stefan Heine, hätten seine Frau und er oft über die großen Fragen gesprochen. Über die Angst, die Zukunft, die Liebe, die Kinder. "Es hat uns enger zusammengeschweißt", sagt er. Doch diese Gespräche seien irgendwann seltener geworden, weil es für die beiden sonst nicht auszuhalten sei. "Mein Mann ist jetzt da", sagt Christiane Heine. "Wir wollen den Moment sehen." Gerade schlage die Chemotherapie gut an. Wenn diese vorbei ist, wollen beide noch einmal gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Irgendwohin, wo es warm ist, nicht zu weit weg. "Griechenland", sagt Heine, "das wäre schön".

© SZ vom 22.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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