SZ-Adventskalender:Hausbesuch vom Sozialpädagogen

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Christian Kokott aus Unterschleißheim wünscht sich Ersatz für sein zusammengestückeltes „Bastelfahrrad“. (Foto: Catherina Hess)

Die Fachstelle "Ambulant begleitetes Wohnen" hilft Menschen mit unterschiedlichen Problemen, weitgehend selbständig zu leben.

Von Gudrun Passarge, Unterschleißheim

Ganz gleich, ob es um Probleme mit dem Pflegepersonal, mit dem Vermieter oder um die Mutter geht, die dem Vater das Besuchsrecht des gemeinsamen Kindes verweigert - die Mitarbeiter der Fachstelle "Ambulant begleitetes Wohnen" des Heilpädagogischen Centrums des Augustinums sind zur Stelle. Sie begleiten 51 Klienten in der Stadt München und im Landkreis, Menschen mit körperlicher oder kognitiver Einschränkung, die alleine leben, aber in mancher Hinsicht der Hilfe bedürfen. Die Leiterin der Fachstelle, Regina Langenmayr-Geuder, vermittelt ein klares Bild der Arbeit: "Wir stehen an der Seite. Wir betreuen nicht von oben herab, stehen auch nicht hinter den Klienten und schubsen sie oder laufen vor ihnen her."

Oft haben die Betroffenen zuvor in betreuten Wohneinrichtungen gelebt. Es gibt aber auch die Fälle, in denen Eltern sich melden, weil sie ihre Kinder nach einem Auszug gut versorgt wissen wollen, oder gesetzliche Betreuer klopfen an. Manchmal würden sich die Menschen auch selbst melden, sagt die Sozialpädagogin, häufig verbunden mit der Frage, ob das Augustinum keine Wohnung für sie habe. "Das ist ein Missverständnis", sagt Langenmayr-Geuder, sie selbst könne da nichts anbieten. Die Wohnsituation sei inzwischen schwierig. Vor fünf bis sechs Jahren sei das noch anders gewesen: "Da habe ich gesagt, gar kein Problem, eine Wohnung finden wir." Aber jetzt ist Wohnraum knapp, bezahlbarer und barrierefreier noch dazu.

Wenn aber jemand eine Unterkunft gefunden hat, gibt es viel zu beachten. Die Leiterin und ihre acht Kollegen beraten zunächst vor einem Wohnungswechsel, sie wissen, welche Zuschüsse man für Umzugskosten und die Erstausstattung beantragen kann und sie sagen den Klienten, dass die Mietverträge erst dem Sozialhilfeträger vorgelegt werden müssen. Die eigentliche Arbeit der Mitarbeiter beginnt jedoch erst nach dem Umzug. Je nach Bedürftigkeit bezahlt der Bezirk eine oder mehrere Stunden pro Woche. Die Probleme, mit denen es die Sozialpädagogen zu tun bekommen, sind vielfältig. Eine junge Frau mit Kind braucht einen Kindergartenplatz, ein Mann mit Down-Syndrom und beginnender Demenz braucht jemanden, der öfter nach ihm schaut, darauf achtet, dass er sich richtig anzieht und die Wohnung in Ordnung gehalten wird.

Wieder andere Probleme hat die Frau Mitte 30, die an einer fortschreitenden Muskelerkrankung leidet. Sie fährt einen Elektrorollstuhl, der aber plötzlich seinen Dienst verweigert hat. Da ist schnelle Hilfe gefragt. Auch bei ihrem Problem mit den Pflegekräften war die Fachstelle behilflich. "Das ist sehr heikel", erklärt Langenmayr-Geuder, denn die Frau habe Angst gehabt, dass ihre Kritik nicht gut aufgenommen wird und die Pflegekraft sie das nach einer Beschwerde würde spüren lassen. Die Sozialpädagogin war bei mehreren Gesprächen mit der Frau und den Pflegern dabei, inzwischen hat sich das Problem gelöst, weil die Frau eine 24-Stunden-Pflege braucht, die ein neuer Pflegedienst übernommen hat. Jetzt muss sie auch mit dem Zu-Bett-Gehen nicht mehr warten, bis ein Pfleger Zeit hat für sie - mitunter war das erst gegen Mitternacht.

"Bei uns fallen sämtliche Probleme an, wie in der Gesamtgesellschaft auch", sagt Langenmayr-Geuder. So gibt es auch mal einen Klienten mit Drogen- oder Alkoholproblem. Die Leiterin weist auf einen dicken Aktenordner auf ihrem Schreibtisch hin, Schriftverkehr mit Krankenkassen und Behörden, alle von einer Frau. "Da merkt man erst, mit wie viel Bürokratie die Leute befrachtet sind, um zu dem zu kommen, was ihnen zusteht." Denn welche Hilfe es wo gibt, das könne niemand alles wissen. "Das ärgert mich manchmal sehr", sagt Langenmayr-Geuder.

Horst Mende ist einer der Begleiter. Der Sozialpädagoge betreut 14 Menschen. Er schätzt die unterschiedlichen Anforderungen und er mag es auch, flexibel sein zu müssen, sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Heute führt ihn sein Weg zu Christian Kokott, der in Unterschleißheim in einem kleinen Apartment wohnt. An der Innentür begrüßt einen ein Paddington-Bär von einem Kino-Plakat. Kokott, schwarzer Wuschelschnitt und silberne Kreolen im Ohr, hatte einen Hirntumor und wurde operiert. Er leidet seitdem unter massiven Kopfschmerzen. Schmerztabletten darf er nicht nehmen, weil sich das mit den Pillen nicht vertragen würde, die er wegen seiner epileptischen Anfälle braucht. Der 56-Jährige arbeitet als eine Art Hausmeister. Mittags hat er jedoch Pause, auch weil er da sein autogenes Training macht. Eine halbe Stunde etwa, "das hilft gegen Stress", sagt er.

Christian Kokott hat einen besonderen Wunsch. Er hätte gerne wieder ein gutes Fahrrad. Denn er erledigt alle Wege mit dem Fahrrad, auch die zu seinem Neurologen nach Sendling, den er einmal im Monat aufsucht. Öffentliche Verkehrsmittel meidet er, seit er 1975 Bayerns damals schlimmstes Zugunglück miterlebt hat. Das war bei Warngau. "Da waren viele Schreie und es ist Blut geflossen", erinnert er sich. 41 Menschen starben, viele wurden schwer verletzt. "Seitdem habe ich keine Lust mehr, mit dem Zug zu fahren", erzählt er. So ein Allwetterfahrrad, das wäre für ihn die richtige Alternative. Momentan hat er sich ein Fahrrad aus Einzelteilen zusammengesetzt. "Ein Bastelfahrrad" nennt er es und hofft, dass es eine Übergangslösung ist.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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