Stadt am Rand:Die ungenannte Dimension

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Mit bis zu 660 Güterzügen am Tag rechnet die Tunnel-Bürgerinitiative in Johanneskirchen und Daglfing. Die Bahn schweigt

Von Ulrike Steinbacher, München

Was hat Daglfing mit dem Brenner-Basis-Tunnel zu tun? Warum soll die Johanneskirchner interessieren, dass China den Hafen von Triest zum Zielpunkt seiner neuen Seidenstraße macht? Güterzüge, lautet die Antwort, sehr viele Güterzüge sogar. In München kreuzen sich zwei große transeuropäische Güter-Trassen, die Achse Kopenhagen-Sizilien und die Strecke Paris-Bratislava. Und wenn die Münchner nicht aufpassen, sagt Klaus-Walter Kröll, dann würden diese Züge oberirdisch durch den Osten der Stadt rattern, ein jeder 750 Meter lang, bis zu 100 Stundenkilometer schnell, pro Tag 220 bis 660 Stück, je nach Prognose.

Kröll ist Vorsitzender des Vereins Bürgerinitiative für Bahntunnel von Zamdorf bis Johanneskirchen und das Szenario, das er am Mittwochabend vor mehr als 100 Zuhörern entwickelte, hat er sich nicht ausgedacht, sondern zusammen mit seinen Mitstreitern aus Veröffentlichungen des Bundesverkehrsministeriums und der Deutschen Bahn zusammengetragen. Der Verein fordert seit 30 Jahren einen Bahntunnel für die gut vier Kilometer lange Strecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen. Auf den Gleisen dort sind S-Bahnen und Güterzüge unterwegs, erst kurz vor der Stadtgrenze trennen sich die Schienen, die S 8 fährt zum Flughafen, der Güterverkehr rollt zum Rangierbahnhof.

Seit 1989 soll der gemeinsame Streckenabschnitt viergleisig ausgebaut werden. Die S-Bahn, für die der Freistaat Bayern zuständig ist, kann dann als Expresszug im 15-Minuten-Takt zum Flughafen fahren. Darauf konzentriert sich die öffentliche Debatte bisher, darauf und auf die Forderung der Stadt München, die vier Schienenstränge unterirdisch zu führen - aus Lärmschutzgründen, aber auch um die Entwicklung eines neuen Stadtviertels östlich der Bahnstrecke zu ermöglichen. Das Geld für den Tunnel will München selbst aufbringen, wie der Stadtrat 2016 beschlossen hat. Ob die unterirdische Variante gebaut wird oder ein Trog oder ob es bei oberirdischen Gleisen bleibt, untersucht die Bahn gerade. Die Bürger lässt sie dabei nicht mitreden, und auch Infoveranstaltungen hat sie bisher nicht angeboten. Nur mit Mitgliedern des Bezirksausschusses Bogenhausen haben Vertreter der DB Netz AG zweimal gesprochen, jeweils nicht öffentlich.

Dies ist auch der Grund, warum nun der Pro-Tunnel-Verein zur Informationsveranstaltung einlud. "Wir sind nicht die Bahn-Fachleute", sagte Kröll gleich zu Beginn. "Wir sind nur Bürger, die sich fragen, was um sie herum passiert." Er wies außerdem darauf hin, dass nicht die Deutsche Bahn die Grundsatzentscheidungen zum Verkehrswegeausbau treffe. Sie bekomme ihre Aufträge vom CSU-geführten Bundesverkehrsministerium.

Den größten Teil seines Vortrags widmete Kröll dem in Bogenhausen bisher wenig beachteten Thema Güterverkehr. Die Prognosezahlen aus dem Bundesverkehrswegeplan - 226 Güterzüge auf der Strecke zwischen Zamdorf und Johanneskirchen im Jahr 2030 - seien schon überholt gewesen, als das Bundeskabinett das Gesetz 2016 verabschiedete, sagte er. Der Verkehrszuwachs durch den Brenner-Basis-Tunnel sei darin überhaupt nicht berücksichtigt. Und inzwischen habe auch noch Österreich seine Lkw-Transitregeln verschärft. Die Trimode-Studie des Verkehrsministeriums, im Januar 2019 aktualisiert, liefere neue Zahlen: Eines der vier Szenarien gehe auf dem Brennerzulauf zwischen Rosenheim und Kufstein bis 2050 von 459 Güterzügen pro Tag aus. Die meisten davon würden durch München fahren, sagte Kröll, konkret durch Bogenhausen, denn zusätzlich plane die Bahn auch noch, Ostbahnhof und Südring vom Güterverkehr zu entlasten. Dort verkehrten 115 weitere Güterzüge, die dann den Nordring ansteuern würden, ebenfalls via Daglfing und Johanneskirchen - macht zusammen mit den 83 Zügen, die heute dort unterwegs sind, knapp 660 pro Tag.

Von der Bahn gibt es bisher keine offiziellen Zahlen für München. Aber dass angesichts der massiven Steigerung des europäischen Güterfernverkehrs allein die Stadt für die Kosten eines neuen Tunnels aufkommen soll, hält Kröll für falsch. Da müsse die Bahn mitzahlen. Lärmschutz und Ausbaustandard einer Strecke berechneten sich nach den Zugzahlen.

Weiterer Kritikpunkt ist die kleinteilige Planung für den Knoten München: Um den Südring freizuräumen und den Güterzügen aus allen Himmelsrichtungen die Weiterfahrt in alle Richtungen zu ermöglichen, werden die Truderinger und die Daglfinger Kurve sowie die Truderinger Spange ausgebaut, ein Vorhaben, mit dem die Bahn Mitte 2020 ins Planfeststellungsverfahren gehen will. Hinzu kommen der viergleisige Ausbau zwischen Daglfing und Johanneskirchen mit oder ohne Tunnel und der barrierefreie Umbau der Bahnhöfe Riem und Trudering. Zum Nachteil der Stadt und ihrer Bürger sei alles in separate Abschnitte mit festgelegten Übergabekoordinaten aufgeteilt. Weil für Güterzüge nur ganz leichte Steigungen und Gefälle von 12,5 Promille zulässig sind, hätten Verkehrsministerium und Bahn damit bereits die Höhenlage der Trasse festgezurrt, sagte Kröll. Tunnel seien wegen dieser "intransparenten Vorentscheidungen" schwerer zu realisieren. "In München wird dieses Verkehrsinfrastrukturprojekt für die nächsten 50 bis 70 Jahre eben immer noch nicht als Gesamtprojekt verstanden und politisch und verwaltungsseitig begleitet, sondern eher wie ein Puzzle für Anfänger."

Der Verein sammelt jetzt Unterschriften für eine Petition an Bundesverkehrsministerium, Staatsregierung und Stadt, die einen Tunnel zwischen Daglfing und Johanneskirchen und optimalen Lärmschutz fordert. Zudem solle die Stadt endlich die Verknüpfung von S 8 und U 4 vorantreiben und formal den geplanten Kreuzungsbahnhof in Englschalking beantragen. 140 Unterschriften haben die Tunnel-Befürworter inzwischen bekommen, die meisten am Mittwoch.

© SZ vom 11.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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